Berlin. Im Sommer ging ihr Gesicht um die Welt: Carola Rackete bot als Kapitänin des Rettungsschiffs „Sea Watch 3" dem damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini die Stirn - und steuerte ihr Schiff mit 53 Flüchtlingen an Bord trotz ausdrücklichen Verbots der italienischen Behörden in den Hafen von Lampedusa. Dort wurde sie festgenommen und stand für drei Tage unter Hausarrest.
Mit ihrer Rettungsaktion polarisierte die 31-Jährige. Für die einen war sie die mutige Heldin, die Menschenleben rettete. Viele Rechtspopulisten in Europa griffen dagegen den von Salvini geprägten Vergleich mit einer „Piratin" auf.
Aktuell fährt Rackete nicht zur See, stattdessen engagiert sie sich für mehr Klimaschutz und schloss sich unter anderem den Demonstranten von „ Fridays for Future" und „ Extinction Rebellion " an. Im November erschien ihr Buch „Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation". Wen sie damit meint, warum sie zu zivilem Ungehorsam aufruft und wie sie sich ihre Zukunft vorstellt, erzählt Carola Rackete im Interview.
Frau Rackete, Sie haben nach ihrer Rettungsmission im Mittelmeer ein Buch geschrieben, das sich auch mit dem Klimaschutz befasst. Es heißt „Handeln statt hoffen". Der Untertitel lautet: „Aufruf an die letzte Generation". Glauben Sie, dass Ihre Generation die letzte sein wird?
Carola Rackete: Wir sind die letzte Generation, die noch etwas tun kann. Für zukünftige Generationen wird es zu spät sein, um den Klimawandel als existenzielle Krise noch aufzuhalten.
Was erwarten Sie denn konkret von der Politik, um diese existenzielle Krise, wie Sie sagen, zu verhindern?
Rackete: Ich erwarte zumindest mal, dass man sich an die internationalen Abkommen hält. Die Bundesregierung sollte sich natürlich an das Pariser Klimaabkommen halten. Es gibt viele Staaten, die das überhaupt nicht tun.
Ihr Buch haben Sie allen Opfern des zivilen Ungehorsams gewidmet. Ist das als ein direkter Aufruf zu zivilem Ungehorsam zu verstehen?
Rackete: Ja, ich rufe auch zu zivilem Ungehorsam auf. Ich denke, wir als Bürgerinnen und Bürger unserer Länder müssen einfach verstehen, dass wir mit allem, was wir tun, und auch mit allem, was wir nicht tun, natürlich das aktuelle System unterstützen. Auch dadurch, dass wir uns nicht aktiv dagegen stellen. Wir haben eine Verantwortung und wir müssen uns bewusst machen, dass auch Nichthandeln ganz krasse Konsequenzen mit sich zieht.
Zum Beispiel?
Rackete: Sollte sich das Erdklima tatsächlich um zwei Grad erwärmen, dann setzen wir physikalische Prozesse in Gang, die wir nicht mehr umkehren können. Ich glaube, das haben in der Dramatik viele noch nicht verstanden. Der Klimawandel wird auch innerhalb Europas zu Flucht führen, dazu, dass Regionen extrem unter Wasserknappheit leiden werden, es wird mehr Überschwemmungen geben und die Niederschläge fallen irgendwo, wo sie nicht geplant sind oder zu anderen Zeiten. Für die Landwirtschaft ist das ein unglaubliches Problem. Die Bauern machen schon jetzt Verluste.
Und das rechtfertigt zivilen Ungehorsam?
Rackete: Ich würde sagen, dass ziviler Ungehorsam sehr notwendig ist. Weil im Moment viele politische Entscheidungen getroffen werden, die diese katastrophalen Folgen haben werden. Die CO2-Emissionen sind seit 1990 um 60 Prozent gestiegen. Es ist an der Zeit, das endlich zu ändern.
Wo haben Sie den Klimawandel denn selbst schon konkret erlebt?
Rackete: Nach meinem Nautik-Studium habe ich auf dem deutschen Forschungseisbrecher Polarstern gearbeitet. Schon 2011 auf meiner ersten Reise zum Nordpol ist eigentlich meine ganze Vorstellung davon, wie der Nordpol aussieht, komplett zerstört worden: Ein durch ewiges Eis schwer zu erreichender Ort. Wir konnten einfach durchfahren, so dünn war das Eis. Forscher prognostizieren bereits, dass es schon vor 2050 in den Sommermonaten kein arktisches Meereis mehr geben wird.
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Welche Ideen haben Sie, um diesen Veränderungen entgegenzuwirken?
Rackete: Das Beste wäre, wenn wir alle zur Vernunft kommen und anerkennen, was notwendig ist. Dass wir radikal Emissionen einschränken, dass wir schauen, wie wir die Ressourcen, die wir haben, auf dem Planeten gerecht verteilen können, und dass wir eine Gesellschaft haben, die solidarischer ist und die Menschenrechte aller achtet.
Das sind in erster Linie gesellschaftliche Forderungen.
Rackete: Nun, die Technologien, um der Erde beispielsweise CO2 zu entziehen, gibt es noch gar nicht und es ist unrealistisch zu erwarten, dass es diese in einer Größenordnung geben wird, in der wir sie bräuchten. Das Pariser Klimavertrag beruht zum Beispiel auch darauf, dass wir solche Technologien hätten. Was es dagegen gibt, sind Technologien, um emissionsfreie Energie zu schaffen. Für diese müsste man aber jetzt anfangen, die komplette Infrastruktur zu ändern.
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Es stellt sich neben den technologischen Lösungsansätzen ja auch die Frage, was jeder Einzelne im Kleinen tun kann.
Rackete: Woran wir leicht etwas ändern könnten, ist unser Konsum. Und ja, da ist es eine rein gesellschaftliche und auch politische Frage, ob wir das umsetzen wollen oder nicht.
Selbst damit ließe sich der Klimawandel wohl dennoch nicht aufhalten.
Rackete: Das stimmt. Ich kann schlecht sagen: Wenn wir jetzt massiv viel verändern, werden die klimatischen Veränderungen und die Zerstörung der Ökosysteme nicht eintreten. Wir werden sie trotzdem erleben. Es ist nur die Frage, wie viel davon. Und da geht es ganz konkret auch darum, wie viele Menschen etwa an Hungersnöten sterben werden, wie viele Menschen an Konflikten um Ressourcen wie Wasser und Nahrungsmittel sterben werden. Es geht um Menschenleben.
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Was wünschen Sie sich denn für ihre persönliche Zukunft? Die Erlöse ihres Buches spenden Sie, eine feste Arbeitsstelle haben Sie aktuell nicht. Wie soll es in ihrem Leben weitergehen?
Rackete: Ich lebe seit zweieinhalb Jahren von meinen Ersparnissen. Ich hatte nie eine Wohnung oder ein Auto, konnte so durch meinen Beruf als Nautikerin Geld zurücklegen. Das brauche ich momentan auf. Eigentlich würde ich nach wie vor sehr gerne in Polargebieten arbeiten. Aber: Man kann die Zerstörung des Ökosystems nicht in den Polargebieten lösen. Man muss es politisch lösen und sich einbringen.
Das heißt, Sie wollen sich weiter auf der Straße engagieren, wie zuletzt bei den Fridays for Future-Demonstrationen oder den Protesten von Extinction Rebellion?
Rackete: Es ist, glaube ich, nicht die Frage, ob ich das will, sondern ob ich das muss. Wir können es nicht den Indigenen und Kleinbäuerinnen überlassen, den Menschen im Pazifik und in der Sahel-Zone, für eine klimagerechte Welt zu protestieren. Ihr Leben wird schon jetzt massiv von den Folgen der Klimakrise beeinträchtigt.
Das bedeutet?
Rackete: In dem Moment, in dem ich verstehe, was wirklich passiert, kann ich nicht mehr so tun, als hätte ich nichts gewusst. Und deshalb ist es im Moment für mich effizienter, für eine andere Politik zu protestieren, als noch mehr wissenschaftliche Fakten zu produzieren.