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Berlin: Diese Firma läuft auch ohne einen Chef sehr gut

Waldemar Zeiler hat Einhorn gegründet, ein Startup für nachhaltige Kondome.

Waldemar Zeiler führte eine Firma, bis er jede Hierarchie abschaffte. Seither gibt es Rekordumsätze


Berlin. Wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte, darüber macht sich Waldemar Zeiler schon seit Jahren Gedanken. Der Gründer des veganen Kondomherstellers Einhorn hat dazu über die Zeit eine eigene Philosophie entwickelt. Eine, die keine Chefs vorsieht, die sich jeglicher Hierarchie entledigt hat und bei der die Unabhängigkeit das höchste Gut ist. Ohne Marketing, und ohne Investoren. Genau dafür hat sich Zeiler bei Einhorn eingesetzt, und sich in der Konsequenz selbst als Chef abgeschafft. Kein leichter Schritt, der seine Firma und Mitarbeiter kurzzeitig ins Chaos stürzte.

Denn die Veränderungen gingen nicht spurlos an Zeiler und seinem Team vorbei. „Es sind auch Tränen geflossen", gibt der 36-Jährige zu. Zwar waren alle nun gleichberechtigt, aber damit auch jeder Entscheidungsträger. Das machte es schwierig, überhaupt noch Entscheidungen zu treffen. Die unterschiedlichen Meinungen, was das Beste für die junge Firma sei, knallten ungebremst aufeinander. Trotzdem ist der Visionär überzeugt: „Dass einer alleine entscheidet, das funktioniert nicht mehr."

Vor allem nicht bei den jungen Arbeitnehmern der Generationen X und Y, glaubt Zeiler. Sie langfristig an eine Firma zu binden, sei schwierig, sagt er. Deshalb gelte es, sie in Entscheidungsprozesse mit einzubinden. „Man erwirtschaftet damit einen Mehrwert für alle, die beteiligt sind." Zeiler spricht immerhin aus eigener Erfahrung. Die Einhorn-Mitarbeiter beziehungsweise das Geschäftsführerkollektiv schätzen ihre neue Verantwortung. Und ihre neuen Freiheiten. Zu diesen zählt auch, die Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Jeder kann kommen und gehen, wann er oder sie will. Das gilt auch für den Urlaub.

Als Dank erwirtschafteten sie Einhorn 2018 einen Rekordumsatz von deutlich über zwei Millionen Euro. Das System Einhorn, es funktioniert. Wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten.

Wenn Kritiker Zeilers Vorhaben einst noch als unternehmerisches Himmelfahrtskommando abtaten, so erwies es sich stattdessen als effektiv. Und möglicherweise als Prototyp der Unternehmensstruktur für morgen. Denn mittlerweile zieht der Kondomhersteller das Interesse großer Konzerne auf sich. Circa alle zwei Wochen kommen deren Geschäftsführer in die „Höhle der Einhörner", so nennen sie ihre Büroräume, um das Einhorn-Prinzip kennenzulernen. Darunter auch weltweit tätige Unternehmen, wie Coca-Cola, SAP, und alle deutschen Automobilhersteller.

Zeiler ist in den kostenpflichtigen Seminaren forsch. Er kitzelt die Alphatiere der Wirtschaft dort, wo sie empfindlich sind. Wie seht ihr das? Warum könnt ihr das nicht? Mit diesen Fragen verunsichert der Vollbart- und Wollmützenträger selbst die härtesten Geschäftsführer in den feinsten Maßanzügen. Wie ein moderner Narr macht Zeiler ihnen den Hof, aber die Botschaft ist klar: „Es ist uncool, was ihr macht." Eine immer wiederkehrende Erkenntnis sei etwa, dass viele Chefs nicht das Gefühl hätten, große Macht zu haben. Egal wie hoch ihre Position sei, sagt Zeiler, der appelliert: „Wir müssen Führung infrage stellen."

Er wettet sogar darauf, dass der klassische Kapitalismus über kurz oder lang zugrunde geht. Die Schnelllebigkeit der Arbeitswelt, immer weniger feste Verträge, dazu die Investoren, durch die die Ungleichheit immer eklatanter wird - bis es „unweigerlich zu einer Art Revolution kommt", prognostiziert der Gründer. Das sei jedoch „etwas auf die Spitze getrieben". Oder das, was uns bevorsteht.


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