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Bundespräsident Steinmeier zu Gast bei Obdachlosen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier isst in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin mit Obdachlosen und Bedürftigen

Beim Anblick der roten Schürze muss Frank-Walter Steinmeier kurz lachen. Bis ihm klar wird, dass er nicht umhinkommen wird, sie über den Anzug zu ziehen. Die ehrenamtlichen Helfer der Wärmestube für Obdachlose sind umfassend vorbereitet auf den Besuch des Bundespräsidenten bei ihrer Adventsfeier. Und so sitzt er kurz darauf zum Brote schmieren im Nebenraum der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg: mit Hygienehandschuhen, roter Schürze vor dem Bauch und seinem typischen Schmunzeln im Gesicht.

Doch gerade im Winter ist nicht jedem, der kein Obdach hat oder sich in der Obdachlosenhilfe engagiert, zum Lachen zumute. Das weiß auch der Bundespräsident. In seiner Ansprache nach dem Schmieren der Brote spricht er das im Gotteshaus offen an.

„Wer sich nicht nur zur Adventszeit mit Obdachlosigkeit beschäftigt, der weiß, dass vieles gleich geblieben ist", richtet er sich an Helfer und Obdachlose zugleich. Gerade in Berlin „brennt uns das Thema auf den Fingern", sagt Steinmeier. Auf dem Immobilienmarkt würden Wohnungen und Häuser mittlerweile „zu Mondpreisen" verkauft, das habe auch die Obdachlosigkeit in der Stadt „verändert", erklärt der 62-Jährige.

Nach Ansicht von Steinmeier könne eine staatliche und politische Hilfe nicht das ersetzen, was etwa in der evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde an ehrenamtlicher Arbeit geleistet werde. Das muss sie auch nicht. Aber etwas mehr könnte die Politik schon tun, findet Ulrich Davids.

Davids leitet in Kreuzberg ein Männerwohnheim für alkoholkranke Obdachlose, das ebenfalls zum sozialen Angebot der Heilig-Kreuz-Gemeinde gehört. Vor den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU auf Bundesebene ist Davids von den Sozialdemokraten gebeten worden, ein Konzept zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit, Schaffung von Unterkünften und zu einer bundesweiten Lösung zu schreiben. Teile davon finden sich im Koalitionsvertrag wieder. Allerdings werde davon nicht viel umgesetzt. „Das macht mich richtig sauer", sagt Davids.

Viel passiere auch auf Landesebene nicht. Dass sich in Berlin damit gerühmt werde, dass die Anzahl der Betten für die Kältehilfe in diesem Jahr auf 1000 gestiegen sei, „ist lächerlich" angesichts der schätzungsweise 10.000 Menschen, die hier auf der Straße lebten, meint der Heimleiter.

Schließlich gebe es genug Einrichtungen oder Organisationen, die mit Hilfe des Senats für Abhilfe sorgen könnten. Tatsächlich stehen stadtweit sogar nur 953 Schlafplätze in der Kältehilfe zur Verfügung. Mitte Dezember lag die Auslastung bei 76,7 Prozent.

Immerhin: Senatorin Elke Breitenbach (Linke) hat mit den Strategiekonferenzen zur Wohnungslosenhilfe, auf denen sich die Bezirke, die Senatsverwaltungen und die Hilfsorganisationen erstmals regelmäßig austauschen, um eine gemeinsame Lösung für die Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin zu finden, einen ersten politischen Impuls gesetzt. Das erkennt auch Davids an. „So weit hat es noch keine Senatorin geschafft", sagt er. Noch aber wirkten diese sich nicht unmittelbar auf das Leben etwa der Obdachlosen in der Heilig-Kreuz-Kirche aus.

„Die Suppe ist heiß, die Brote sind geschmiert", sagt der Bundespräsident und macht sich ans Austeilen der Bohnensuppe mit Würstchen. Anschließend setzt er sich zu den Menschen an die Tische, isst und plaudert mit ihnen. Es ist auffällig, wie viel Zeit sich Steinmeier nimmt, der zum Thema Obdachlosigkeit promovierte. Fast zwei Stunden bleibt er auf der Feier.

Sehr zur Freude von Pfarrer Peter Storck. Dass der Bundespräsident gekommen sei, nehme er „als Signal, dass er sich bemüht um die Einheit und Würde aller Menschen". In Zeiten der Spaltung zwischen „denen da oben und uns hier unten", sei das wichtig. Eine Wertschätzung, auch für die sozialen Projekte der Gemeinde, zu denen in Kreuzberg auch das Kultur- und Sozialzentrum in der Gitschiner Straße 15 und die Essensausgabe von „Laib und Seele" in der Passionskirche gehören.

Wie wichtig dieser Besuch für die Menschen wirklich ist, zeigt sich aber nicht in Worten. Während des Essens kullern bei Steinmeiers Sitznachbarn sogar leise Tränen. Und der Chor singt: „Wenn du wegschaust, siehst du nichts."


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