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Tag der offenen Tür: Zwischen Freudentränen und Freibier

Angela Merkel nimmt sich am Tag der offenen Tür Zeit - auch für die Kleinsten

Bundeskanzlerin Angela Merkel sorgt beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung für Euphorie, Jens Spahn gibt einen aus.


Stundenlang hatten die Besucher auf diesen Moment gewartet: Begleitet von pompösen italienischen Opernklängen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag die Bühne im Ehrenhof des Kanzleramtes betreten. Wie jedes Jahr zeigte sich das deutsche Staatsoberhaupt beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung volksnah, ließ sich fotografieren und schüttelte Hände. Unterdessen bemühte sich Jens Spahn (CDU) im Finanzministerium mithilfe von Freibier um eine Debatte mit den von ihm verschmähten „elitären" Hipstern - mit mäßigem Erfolg.

Gut gelaunt und zum Scherzen aufgelegt war sie, die Kanzlerin. Ein paar begrüßende Worte ans Volk, dann ließ sie einige Bürgerfragen zu. Auf diesen Moment hatte ein 13-jähriges Mädchen aus Hof in Franken tagelang gewartet: „Warum wollten Sie Bundeskanzlerin werden?" Eine interessante Frage, befand Merkel und belohnte den Mut der Schülerin nicht nur mit einer ausgiebigen Antwort, sondern auch mit einem gemeinsamen Foto. Überwältigt von so viel Menschlichkeit schossen Leonie Tunger die Tränen in die Augen - und ihrer Mutter gleich mit. „Ich habe nicht gedacht, dass sie so reagiert und ein Foto mit uns machen will", freute sich das Mädchen. Die Bundeskanzlerin sei ja so ganz anders als im Fernsehen. „Da wirkt sie immer ein bisschen streng."

Doch an diesem Tag war Merkel alles andere als streng. „Ich wollte gerne Kanzlerin werden, weil man etwas bewegen kann", lautete ihre Antwort auf Leonies Frage. Bewegen taten sich am Sonntag in erster Linie die Besucher, nämlich überall dorthin, wo Merkel gerade war. Das Bad in der Menge schien die Kanzlerin wenig zu stören. Im Gegenteil: Sie nahm sich die Zeit. Für den Weg vom Ehrenhof hinüber in den Kanzlerpark benötigte sie knapp eine Stunde, unzählige Selfies inklusive.

Da konnte Fußball-Nationalspieler Sami Khedira fast ein wenig untergehen. Geduldig hatte er auf der Bühne mit seinem Auftritt im Kanzlergarten begonnen, Merkel kam mit etwas Verspätung dazu. Zuvor hatte sie noch einen Zwischenstopp an einem Hubschrauber der Bundespolizei eingelegt und erzählt, dass sie sich gute Beziehungen zu Russland wünsche. Merkel im roten Blazer, Khedira im blauen Maßanzug. Sie redeten über die Nationalmannschaft, über Integration und Computerspiele.

Die Kanzlerin überraschte mit forschen Fragen an den Fußballspieler von Juventus Turin. Was er denn von dem Videobeweis halte, wollte sie beispielsweise wissen. Khedira, etwas verlegen, wusste nicht so recht darauf zu antworten. Gelächter der Besucher, die sich vor der Bühne drängten. Schließlich gab der Fußballer doch noch seine Meinung preis. Der Videobeweis könne eine Hilfe sein, wenn er funktioniere. „Aber momentan ist er eher eine Behinderung", so Khedira. Seine zögerliche Kritik könnte durch einen Satz zu erklären sein, den Khedira etwas später sagt: „Der Fußball ist mittlerweile wie Big Brother." Sein Körperfettanteil werde heutzutage ebenso auf die Goldwaage gelegt wie seine Worte.

Die von Merkel, zumindest beim Tag der offenen Tür, weniger. Wahlkampf, „das passt hier nicht hin", meinte Wolfgang Eckstein. Die CDU-Politikerin sei „sympathisch wie immer" gewesen, wenngleich ihr erstes Erscheinen mit dem Musikkorps der Bundeswehr aus Siegburg „erstaunlich theatralisch" gewesen sei. Wer zum Kanzleramt komme, der tue dies natürlich auch, um Merkel zu sehen, wie er und seine Ehefrau, sagte Eckstein. Dass die Bundesregierung dem Volk durch einen Tag der offenen Türen Einblick gewährt, „sollte für eine Demokratie normal sein".

Daniela Straub, die mit ihrer Familie kurzerhand den Urlaub im Havelland unterbrach, um einmal die Kanzlerin zu erleben, findet die Aktion dagegen „klasse". Auf der Bühne sei Sami Khedira zwar etwas „trocken" gewesen, aber „Merkel hat das ausgeglichen". Ohnehin sei dieser Tag eine gute Möglichkeit, um die Kinder in Kontakt mit der Politik zu bringen, erklärte Straub. Ihre beiden Söhne interessierten sich dann aber doch mehr für Khedira. Und so war für die ganze Familie etwas dabei.

Während im Kanzleramt Sommerfest-Stimmung herrschte, versuchte Jens Spahn (CDU) im Finanzministerium seine selbst ausgelöste Debatte über „elitäre Hipster" mit Freibier abzuschwächen. Der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesfinanzminister, er selbst nannte sich am Sonntag Vertreter Wolfgang Schäubles, hatte sich kürzlich darüber beschwert, dass man in Berlin-Mitte kaum noch einen Kaffee auf Deutsch bestellen könne, und führte dies auf die sogenannten Hipster zurück, die damit zur „provinziellen Selbstverzwergung" beitrügen.

Nun lud er alle jene Hipster und Nicht-Hipster auf ein Bier ins Finanzministerium ein. „Es ist ein Angebot, wenn keiner kommt, kann ich es auch nicht ändern", sagte Spahn. Und es kam tatsächlich niemand. Jedenfalls keine Hipster mit Rennrädern, Bart und havannabraunen Hornbrillen, um einmal das Stereotype zu bedienen. Denn das Problem mit den Hipstern ist: Sie selbst würden sich nie als solche bezeichnen. Und so blieb die erhoffte Debatte aus, und Spahn nippte in Gesellschaft von Normalbürgern an seinem Craft-Bier. „Es gibt ohne Zweifel wichtigere Probleme", verteidigt sich der Politiker. Ohnehin habe die ganze Sache eine hundertmal größere Reaktion nach sich gezogen, als er erwartet habe. Spahn schiebt das auf die Medien, dabei hatte er selbst den Artikel auf seinem Twitter-Account geteilt. Und so ganz ließ er das Thema auch nicht ruhen: „Jetzt werden mit viel Aufwand alle meine Tweets durchsucht, ob ich jemals etwas Englisches geschrieben habe. Da kann ich nur zu sagen: Good luck!"


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