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Explosives Mittelmeer

Es brodelt im Mittelmeer: neuentdeckte Erdgasvorkommen verstärken die politischen Konflikte in der Region.

Die Europäische Union könnte von Erdgasvorkommen vor der zyprischen Küste profitieren - doch stattdessen verstärken die Gasfunde die Spannungen zwischen Zypern und der Türkei. Der Konflikt im östlichen Mittelmeer bekommt eine neue, explosive Facette.


Es geht um alte Konfliktlinien, neue Begehrlichkeiten und einen europäischen Traum; Unabhängigkeit vom russischen Gas. Aphrodite, eines von drei Erdgasfeldern, die in den letzten Jahren vor der zyprischen Küste gefunden wurden, beflügelt diesen Traum. Zyprisches Gas, das wäre auch europäisches Gas. Eigentlich eine gute Nachricht für einen Kontinent, dessen Gasreserven in der Nordsee immer schneller zur Neige gehen. Denn momentan sind die Pipelines, durch die russisches Gas nach Europa strömt, die Herzschlagader der europäischen Energieversorgung. Gas aus Zypern könnte Europas Traum, diese Abhängigkeit endlich zu überwinden, ein ganzes Stück realer werden lassen.

Die drei bisher entdeckten Gasfelder wecken die Hoffnung, dass in Zyperns Gewässern noch mehr Gasvorkommen schlummern könnten. Die Aussicht auf weitere Gasfelder weckt nicht nur bei den Europäern Begehrlichkeiten. Über die Frage, wer vor Zyperns Küste nach Erdgas suchen darf, wird seit Jahren gestritten. Die Türkei erkennt Zyperns sogenannte "Ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ) nicht an, die 200 Meilen rund um die Küste des Inselstaates liegt. Nach Richtlinien der UN haben Staaten in dieser Zone das alleinige Recht, vorhandene Bodenschätze auszubeuten. Stattdessen sucht die Türkei in Zypers AWZ seit 2013 immer wieder selbst nach Gas und verstärkt damit die permanenten Spannungen zwischen den beiden Ländern.

Hintergrund ist die Teilung Zyperns: Der Nordteil der Insel ist seit 1974 von der Türkei besetzt, nur sie erkennt die "Türkische Republik Nordzypern" als souveränen Staat an. Die Republik Zypern, die eigentlich die ganze Insel umfasst und zur EU gehört, ist für Ankara dagegen nicht existent. Die Türkei behauptet außerdem, Teile von Zyperns AWZ würden zum türkischen Festlandsockel gehören. Vor allem in diesen Gebieten haben türkische Schiffe in der Vergangenheit nach Erdgas gesucht.

Die EU betrachtet das Vorgehen der Türkei als Verstoß gegen UN-Konventionen und hat es im November 2019 sanktioniert. Die Türkei reagierte, in dem sie unter militärischem Schutz ein weiteres Forschungsschiff in die zyprische AWZ schickte. Zwischen einem Europa, das die Türkei nicht zum Rückzug bewegen kann, und einem Nachbarn, der Zyperns bloße Existenz in Frage stellt, versucht der kleine Inselstaat Fakten zu schaffen: Anfang Dezember hat die Regierung offiziell Bemühungen eingeleitet, den Streit um seine AWZ vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Außerdem hat sie Lizenzen für die kommerzielle Nutzung des Aphrodite-Gasfeldes vergeben. „Zypern ist fest entschlossen die Erschließung der Erdgasfelder fortzuführen und sein souveränes Recht auszuüben", bekräftigte der zyprische Präsident Nicos Anastasiades Anfang Dezember auf einem Symposium für Energiepolitik in Nikosia.

Zypern träumt seinen eigenen Traum von politischem Einfluss und Wachstum, der mit den Erdgasfeldern vor seiner Küste Realität werden soll. Der Weg dahin ist allerdings weit und voller technischer und finanzieller Hürden. Das gefundene Gas schlummert am Meeresboden in über 1000 Metern Tiefe. Das macht seine Nutzung und die Suche nach weiteren Ressourcen teuer und anspruchsvoll. "Der Gaspreis ist unsere größte Herausforderung", sagt Demetris Fessas, stellvertretender CEO der staatlichen Öl- und Gasfördergesellschaft Zyperns, mit Blick auf die Zukunft.

Weil es im Mittelmeer keine Pipeline gibt, in die das Erdgas ohne weiteres eingespeist werden könnte, muss es bisher erst verflüssigt werden, damit es mit dem Schiff um die Welt geschickt werden kann. Das macht es im Vergleich zum russischen Gas aus der Pipeline deutlich teurer.

"Der Schlüssel für die erfolgreiche Vermarktung des Mittelmeer-Gases ist Kooperation auf allen Ebenen - auf der technischen, der finanziellen und der politischen. Ich bin sehr froh, dass das bereits die Realität ist", sagt Demetris Fessas von der zyprischen Öl- und Gasfördergesellschaft. Weil die Infrastruktur, mit der Erdgas verflüssigt werden kann, auf Zypern bisher nicht vorhanden ist, kooperiert der Inselstaat mit Israel und Ägypten. Die beiden Staaten haben schon vor einigen Jahren damit begonnen, Gasfelder in ihren Küstengewässern kommerziell zu nutzen.

Eine Pipeline, die das östliche Mittelmeer über Griechenland und Italien mit Europa verbindet: Diesen Traum träumen die mediterranen Gasproduzenten gemeinsam. Die Region hätte dann einen direkten Zugang zum europäischen Markt, und das Gas könnte zu einem kompetitiven Preis angeboten werden. Das sogenannte "east-med-Pipeline"-Projekt sei in Arbeit, wie der zyprische Präsident versichert, aber noch zögern die Investoren. Vor Zypern wird intensiv nach weiteren Gasfeldern gesucht und auch der griechische Archipel gilt als vielversprechende Region. Wenn hier größere Gasvorkommen gefunden werden, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Pipeline gebaut wird, ist sich Andreas Koutsoulides, Manager bei der zyprischen Öl- und Gasfördergesellschaft, sicher.

Europas Traum, sich vom russischen Gas zu emanzipieren, werden aber auch diese Gasvorkommen, so sie denn gefunden werden, nicht wahr machen können. Davon ist Erdölgeologe Constantinos Nicolaou überzeugt: "Das Gas im östlichen Mittelmeer kann Europas immensen Energiebedarf nicht allein decken. Wir können einen Teil dazu beitragen, aber Europa wird noch lange auf russisches Gas angewiesen sein, ob uns das gefällt oder nicht."

*der Artikel ist Anfang Dezember 2019 entstanden.

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