Die Künstlerin Astrid Klein versteckt sich gern in der Münchner Pinakothek der Moderne. Eine sechs Meter hohe Spiegelwand - schon beim Aufstieg aus der Rotunde oberhalb der Treppe nicht zu übersehen - hat sie mit einer Neun-Millimeter-Pistole durchschossen. Das ist im Moment die einzige Spur von ihr. Patronen stecken noch in manchen Löchern, aber sind nicht mehr warm. Ist die Flüchtige eine Konzeptkünstlerin mit hochrotem Kopf, die im Vorbeihetzen diese Spiegel übel zugerichtet hat? Schießt sie aus der Hüfte?
Ganz im Gegenteil. Astrid Klein geht kühl und besonnen vor. Das Craquelé, das jeden Einschuss-Stern zur Blume macht, wurde akribisch von ihr geplant und Sprung für Sprung mit dem Hämmerchen gezeichnet, der Schuss allein gab es nicht her. Sie will sich als Malerin verstanden wissen und ihr nüchternes Material als Antithese zu den gewaltigen Motiven. Die zwei Raster - das erste der Spiegelplatten und das zweite der Scherben - sind hier die harten Grenzen der Collagetechnik, die es in ihren Werken so oft zu finden gilt. Jetzt tritt Klein hinter einer Wand hervor und gibt sich zu erkennen, gänzlich unbewaffnet. „Wenn man älter wird, schaut man lieber in die Zukunft als zurück", sagt die 1951 geborene Klein mit einem Lächeln, das sich des Widerspruchs bewusst ist. Und erklärt: „Bei ,Retrospektive' erschieße ich mich."
In der Pinakothek der Moderne bestand diese Gefahr für sie nicht. Hier waltet die puristische Kraft von Corinna Thierolf, der scheidenden Gründungskuratorin des Hauses. In den letzten Jahren hat Thierolf die sogenannten Künstlerräume ins Leben gerufen hat, um darin einzelne einst getrennte Werkgruppen zu vereinen. „Jede Galerie will für sich nur das beste Flavin-Monument haben", sagt sie. „Dabei wollte Flavin, dass sie aufeinander bezogen werden, so wie hier." Für ihren letzten Streich hat sie Astrid Klein einen Künstlerraum gewidmet, in dem eine Sechsereinheit wiederhergestellt wird. Zwei vorhandene Werke konnten dank einer Stiftung um vier Neuerwerbungen ergänzt werden. Sie alle hängen sich auf dem quadratischen Grundriss des Raumes gegenüber. Vergangene Woche wurde der Künstlerraum als Ausstellung eröffnet.
Thierolf vergleicht diese Sammlungsstrategie mit einem Orchester, in dem ihr die Soli besonders wichtig seien. Das trifft sich gut, denn Astrid Klein komponiert ihre Collagen regelrecht und kann dabei jedes Material wie auch seine Harmonien hören. Nicht bloß ihre Textschnipsel aus Literatur, Philosophie und Regenbogenpresse, die bei ihr keinen Primat mehr vor den Bildern haben, klingen für sie; auch die Fotografien, deren Urheberschaft sie von sich weist, und die abstrakten malerischen Elemente, die sie mit Nachdruck für sich reklamiert.
Klatschzeitschrift oder Diktatur?„Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe", steht wie eine Glückskeks-Botschaft über der Umarmung einer Frau durch einen Mann. Er hat die Augen sinnlich geschlossen, seine Nase in ihre verwuschelten Haare vertieft. Sie sieht unbehaglich aus, doch käme nicht weg, rücklings wird ihr Arm von ihm fixiert. Die Fotoarbeit von 1979 hat ein Pendant aus dem Vorjahr, erst jetzt hängt es daneben und darf ihr antworten. Ein anderer zweifelhafter Gentleman hat seine Partnerin neckisch von hinten am Schopf gepackt. Nur an ihrer Mimik, die dem Betrachter zugewandt ist, wird auch die Spannung ablesbar, unter der Augenlider und Lippen stehen müssen. Darin liegen die Parallelen zu der Umarmung/Angstaustreibung, die hier bereits bekannt war. „Eine Frau muss geliebt werden und sie muss wissen, dass sie geliebt wird", rät diesmal der Blätterwald, den Klein als Fundus benutzt, seit sie als junge Frau in den Keller eines Pariser Zeitungskiosks herabgestiegen ist und dort ihre Schere ausgepackt hat.
Anders als beim politischen Großmonteur John Heartfield verhält sich Klein zu den Zitaten und den Fotos nicht, sie will nichts entlarven oder aushöhlen, nachdem es ihr schwarz auf weiß begegnet ist, macht aus den Kulturschnipseln nie einen Erpresserbrief. „In meiner Welt ist sogar sie es, die den Satz darüber spricht", sagt Klein. In ihrer Welt, denn ebenso gut könnten diese Aussagen von dem abgebildeten Mann, einer wohlmeinenden Klatschzeitschrift oder aber einer volkserzieherischen Diktatur stammen.
Klein überwand einen falschen RealismusFür das Gelingen ihrer medientheoretischen Arbeiten über den „Machismus" und die Stellung der Frauen, die Klein schon in den siebziger Jahren umtrieben und sie heute in den Zeitgeist fügen (2018 und 2019 wurde sie in Hamburg und Berlin ausgestellt), müsse stets ein Denkraum Abstand zum Betrachter bleiben. Bei „Cut IX" (1986), einem von beiden Seiten in Klarglas gerahmten Transparentfilm, verlangte sie von der Pinakothek zusätzlich drei Zentimeter auf der anderen Seite, zwischen Film und Rückwand, wo die Elemente Schatten werfen. Im Zentrum der Collage steht die Ikone Romy Schneiders. Zeit ihres Lebens wurden ihr von außen Eigenschaften zugeschrieben, wie es hier geschieht und dieser Satz es tut. Man könnte sagen: Schneider war Projektionsfläche und wird nun zum transparenten Gegenstand der Projektion erhoben, wenn im Raum das Licht angeht.
Astrid Klein sind als Künstlerin ähnliche Festlegungen widerfahren. Zwar zeigen die „Sonntagsarbeiten" von 1980 Frauen in unbequemen Positionen. Doch ist deren Leid nicht immer unverschuldet, nachdem Klein ihnen lustvoll mit einem Bachmann-Zitat die Augen verbindet beziehungsweise sie in Pressemanier anonymisiert. Eigentlich wird der Raum aber von der sieben Meter breiten Arbeit „Endzeitgefühle II" (1982) beherrscht, mit der Kleins Werk kurz darauf nochmals eine neue Richtung einschlug. War die Collagetechnik zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine Abkehr von mimetischer Kunst, so überwand Klein nun zum zweiten Mal einen falschen Realismus: Sieben identische nachtschwarze Hunde sind bei ihr Furien gewordener politischer Furor und privater Albtraum zugleich. Sie laufen erst graffitoartig über eine Mauer, dann jedoch quer über eine Tür. Beim Übertreten dieses Rasters verraten sie sich als Nachbearbeitung. Das untersuchte Medium ist die Mauer selbst, sie wurde Klein bei einer Ausstellung zur Verfügung gestellt. Indem sie diese Rückwand mit der Kamera aufs PE-Papier bannte und dann erst behängte, schien erneut der Grund durch, auf dem ein Bild vermittelt wird.