Menschen fallen wegen eines Fingerschnipses in komatösen Schlaf, tanzen wie Affen auf der Bühne herum oder plaudern ihre tiefsten Geheimnisse aus. In Filmen sind hypnotisierte Leute komplett willenlos und lassen alles mit sich machen. Es wäre ganz schön krass, wenn das außerhalb von Hollywood auch funktionieren würde. Wir haben uns gefragt: Wie ist das eigentlich hypnotisiert zu sein? Das will ich bei Diplompsychologe und Hypnose-Therapeut Martin Rosenauer herausfinden. Ich besuche ihn in seiner Praxis in München, wobei er auch Onlinekurse zur Rauchentwöhnung mit Hypnose anbietet.
„Trance ist ein natürlicher Zustand, in dem wir uns mehrmals täglich befinden" erklärt Martin mir. „Irgendwo zwischen Verstand und Schlaf ähnelt es dem Moment kurz vor dem Aufwachen oder Einschlafen. Das können wir therapeutisch nutzen: Wir holen unterbewusste Situationen ins Bewusstsein. Je weniger unser Verstand dabei reflektiert und kontrolliert, ob unsere Vorstellung gerade der Realität oder Fantasie entspricht, desto tiefer sind wir in Trance. Es ist eine Spielerei mit dem Vorstellungsvermögen."
Was zur Hölle mache ich hier?Die Hypnose-Therapie ist seit 2006 in Deutschland offiziell als Therapieverfahren anerkannt. Klinisch wird sie angewandt, um Traumata und Ängste zu überwinden. Ich bin heute aber nur „zum Test" hier und nicht zur Therapie. Deshalb machen wir eine sogenannte Regression: Eine Rückführung in eine schöne Situation aus meiner Kindheit. „Ein bisschen aufgeregt" wäre stark untertrieben: Ich bin mega nervös und je länger ich mich mit Martin unterhalte, desto bewusster wird mir, was ich hier eigentlich vorhabe: Ich werde die Kontrolle über mein Unterbewusstsein an jemanden abgeben, den ich seit knapp einer Stunde kenne. Ganz kann ich mir noch nicht vorstellen, was gleich auf mich zukommt. Aber so viel sei schon mal vorweg genommen: Zwei Tage später finde ich immer noch unglaublich, was passiert ist.
„Jeder kann theoretisch hypnotisiert werden. Es kommt nur darauf an, wie suggestibel jemand ist", erklärt Martin. Also wie stark zum Beispiel welche Worte einen Einfluss auf unser Erleben und Verhalten haben. Deswegen ist ein ausführliches Vorgespräch so wichtig. Er erklärt das an einem Beispiel: Du willst, dass dein Freund mit dem Rauchen aufhört. Er verbindet zwar viele gute Erinnerungen damit, geht aber deinetwegen zur Hypnose. „Das würde nicht funktionieren, seine persönliche Motivation würde fehlen." Ich muss mich also voll und ganz darauf einlassen.
Selbst dann kann es sein, dass die Hypnose nicht klappt. Zum Beispiel wenn unser Unterbewusstsein den Verstand noch kontrolliert und wir unterbewusst noch nicht dazu bereit sind, uns mit dem Problem auseinanderzusetzen. Oder andersrum: Wir haben im Unterbewusstsein starke Gefühle und in unseren Augen stehen schon die Tränen, aber wir behaupten fest: Traurig sind wir nicht. Da übernimmt das Bewusstsein die Kontrolle und hält die Emotionen zurück.
Wenn aber während der Hypnose alles unterbewusst passiert, werde ich mich danach überhaupt noch daran erinnern können? „Mit der Hypnose ist es wie mit einem Traum: An wichtige Träume erinnern wir uns, an andere eben nicht", sagt Martin. Ich - als auch sonst eher vergessliches Wesen - soll mich also an etwas erinnern, was mein Unterbewusstsein irgendwo in mir hervorruft? Wir werden sehen, dann geht es los.
Es könnte kaum klischeehafter sein als ich es mir vorgestellt habe:
Ich liege inmitten unzähliger Kissen mit einer flauschigen Decke auf
einer Couch, das Licht ist gedimmt und im Hintergrund läuft sanfte
Musik, die ich nach wenigen Sekunden nicht einmal mehr bemerke. Martin
vergewissert sich, dass ich mich wirklich hypnotisieren lassen möchte.
Natürlich, dazu bin ich hier. Dann soll ich meine Augen schließen. Er
fängt an zu reden und nach ein paar Minuten fühle ich mich bereits so
entspannt, als hätte ich zwei Wochen Strandurlaub hinter mir.
Obwohl er ununterbrochen auf mich einredet, hat er dabei aber eine Stimme, die dieselbe Wirkung auf mich hat, wie damals, als mein Opa mir Geschichten erzählt hat. Es ist nicht wichtig, wo ich bin. In meinem Kopf hat jemand das Licht ausgemacht. Mein Verstand ist abgeschalten, während mein Unterbewusstsein Martins Stimme folgt, hinein in die tiefste Entspannung meines Lebens. Soweit, dass später nicht einmal wichtig sein wird, wer ich bin.
Immer wenn ich meine Augen öffnen will, soll ich sie noch mehr entspannen. Da schlafen sowieso zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, fällt mir das nicht weiter schwer. Nach ein paar Wiederholungen ist es mir schlicht nicht mehr möglich, meine schweren, entspannten Lider zu heben.
Wie ich heiße? Keine Ahnng, egal.
„Gleich wirst du dich nicht mehr daran erinnern, wie du heißt“, sagt er. Dieser Satz lässt meinen Verstand kurz aufblitzen, in Gedanken wiederhole ich mehrfach meinen Namen. Vroni. Vroni. Vroni. Als ob ich das vergesse. Später erfahre ich, dass das die Schutzfunktion meines Verstandes war. Doch Martin holt mich sofort wieder zurück in die völlige Entspannung, ein zweites Mal lassen mich seine Worte alles andere ausblenden. Ich soll meine Augen öffnen: „Wie heißt du?“ In meinem Kopf ist Leere. Ich kann nur gerade aus gucken und ein paar Mal verwirrt blinzeln. Der Zustand, der mir unter anderen Umständen extrem Angst eingeflößt hätte, ist gerade überhaupt kein Problem. Gemütlich falle ich zurück in die Kissen.
„Wie fühlst du dich?“ Gut. Das ist alles, was ich gerade herausbringe. Gedanklich versetzt Martin mich erst auf meine heimische Couch, dann an den Strand. Es ist Sommer, ich kann die Sonnenstrahlen spüren und merke, wie es ganz warm in meinem Körper wird. Gleich soll ich mich an eine Situation aus meiner Kindheit erinnern, in der ich genau dieses Gefühl hatte. Martin zählt von fünf runter. Doch all meine Kindheitserinnerungen an die Zeit vor der Grundschule sind recht ausgeblichen.
Als er aber bei eins ankommt, habe ich den Moment klar vor Augen: Ich bin vier Jahre alt. Es ist ein Sonntagmorgen im Frühling und ich liege neben meinem Papa im Bett. Die Sonne scheint uns durchs Fenster ins Gesicht, wir albern herum. Ich spüre meine kindliche Freude über diesen Moment. Martin zählt noch einmal runter, dann bin ich ungefähr sechs Monate alt. Meine Mama hat mich im Arm und steht im Wohnzimmer. Unsere Wohnung ist wieder im Zustand vor der Renovierung mit all den alten Möbeln von damals. Das warme Gefühl in mir wird immer stärker. Das geht soweit, bis ich in die Zeit zurückversetzt bin, als ich noch bei meiner Mama während ihrer Schwangerschaft im Bauch war. Dass ich das „erlebt“ habe, kann ich später selbst kaum glauben.
Nach ein paar Minuten im Zustand der völligen Wärme und Geborgenheit holt Martin mich mit meinem Einverständnis wieder zurück. Ich fühle mich benommen wie nach einem tiefen und langen Schlaf. Ich bin so entspannt und glücklich, dass ich mit jeder einzelnen Zelle meines Körpers lächle. Das, was in der letzten Stunde mit mir geschehen ist, flasht mich total. Es braucht ein paar Minuten, bis mein Verstand die Kontrolle über mich und meine Gedanken zurückgewonnen hat.
Auf dem Heimweg fühle ich mich immer noch wie in Watte gepackt und das ändert sich den Abend über auch nicht mehr. Feiern gehe ich heute garantiert nicht mehr! Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass mich weder Alkohol noch sonst irgendeine Droge auch nur annähernd in diesen Zustand versetzen könnte.
Ich weiß jetzt, dass das meiste, was Hypnotiseure auf der Bühne abziehen, reine Show ist und letztendlich kann niemand nachprüfen, ob sich jemand wirklich wie ein Affe gefühlt oder nur so getan hat. Das verrät Martin mir noch zum Abschluss. Aber rein theoretisch wäre es möglich und diese Vorstellung allein ist schon irgendwie ziemlich gruselig.
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