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Reportage spécial

Israel: Krieg der Friedhöfe

Friedhöfe sind nicht nur Orte, um einzelnen Personen zu gedenken. Sie symbolisieren auch kulturelle Vergangenheit. Und sie markieren Land. Daher sorgen Friedhöfe in Israel und den Palästinensischen Gebieten immer wieder für politische Konflikte.

Wenn der 60-jährige Palästinenser Suleiman Abu-Dayyeh ausländische Besucher durch Ramallah führt, zeigt er ihnen drei Dinge: Den zentralen und lebhaften Al-Manama-Platz, auf dem junge, modern gekleidete Frauen und Männer an Dessous-Geschäften, nachgeahmten westlichen Kult-Ketten (»Stars & Bucks Café«) und Werbeplakaten für private Hochschulen vorbeischlendern. Dann das fortschrittliche Business-Viertel mit Mövenpick-Hotel, Kongresscenter, Montessori-Schule und Ampeln, die bei Grün einen lächelnden Smiley zeigen. Doch als Höhepunkt präsentiert Abu-Dayyeh etwas ganz anderes: das Grab von Jassir Arafat.

Der einstige palästinensische Anführer Jassir Arafat hat in direkter Nähe seines einstigen Amtssitzes ein modernes Mausoleum erhalten. Mit großen Glaswänden und freiem Blick gen Jerusalem. Direkt nebenan ein Museum über die jüngere ­Geschichte Palästinas. Personenkult und Nationalkult gehen hier untrennbar ineinander über. ­Suleiman Abu-Dayyeh, der in Deutschland studiert und gearbeitet hat, unterstützt in Ramallah die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, betont aber, dass er als Privatperson durch die Stadt führe.

Gräber von politischen Persönlichkeiten sind stets ein politisches Statement: das Lenin-Mausoleum etwa auf dem Roten Platz in Moskau, in dem der Revolutionsführer einbalsamiert aufgebahrt liegt, ist quasi ein Wallfahrtsort. Oder das Grab von John F. Kennedy auf dem Nationalfriedhof Arlington, auf dem eine Ewige Flamme brennt.

Und auch nur wenige Kilometer vom Arafat-Grab entfernt, auf der anderen Seite der israelisch-palästinensischen Grenze, werden die Gräber der politischen Führer inszeniert. »Gräber sind Teil des israelisch-palästinensischen Krieges geworden. Diese scheinbar gewöhnlichen Orte sind auf beiden Seite zu nationalen Symbolen geworden«, sagt Doron Bar, Professor am israelischen Schechter Institut für Judaistik.

Der israelische Anthropologe Alex Weingrod erläutert in einem Artikel über Gräber als nationale Symbole: »Tote verbinden die Vergangenheit mit der Gegenwart.« Beim jüdischen Volk wie auch bei den Palästinensern ist beides kompliziert: Vergangenheit und Gegenwart. Entsprechend groß ist die Beschäftigung mit den Überresten der Ahnen. Weingrod bezeichnet sie sogar als »israelische Obsession«. »Totengebeine sind alles andere als trocken und mürbe, sondern mit lebendiger Bedeutung gefüllt.«
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