Praktisch täglich werden wir mit aktuellen Statistiken konfrontiert. Sie sollen Erfolge zurückliegender Reformen und Fortschritte in unzähligen Bereichen bekräftigen oder beschwichtigen, wenn es um sensible Themen wie etwa Armut und Arbeitslosigkeit geht. Im besten Fall untermauern sie Glaubwürdigkeit. Umgekehrt wirken Statistiken auch manipulierend und führen Bürger in die Irre – zum Schaden der Demokratie. Wie gesichert, überzeugend und wasserdicht sind Statistiken und Umfragen, die uns im Brustton der Überzeugung von Politik, Wirtschaft, aber auch von den Medien dargeboten werden? Nachgefragt!
Im Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Bosbach. Der Experte ist Mathematiker, arbeitete u.a. einige Jahre im Statistischen Bundesamt und lehrt bis zum Ruhestand im August 2019 an der Hochschule Koblenz in den Fachgebieten Empirie und Statistik. Danach wird er auch weiterhin mit Forschungstätigkeiten und dem Lehrauftrag befasst sein.
Gerd Bosbach, die Bürger werden mit einer Vielzahl an Statistiken konfrontiert. Zu den diesbezüglich regelmäßigen Veröffentlichungen zählen etwa die monatlichen Arbeitsmarktzahlen. Geben Sie mir recht, wenn ich sage, sie sollten mit äußerster Vorsicht betrachtet werden?
Ja, völlig richtig. Jemand der Zahlen liefert, hat meist ein Interesse und kann entsprechend aus der Menge von Zahlen die zu seiner Absicht passende heraussuchen. Oder er wählt einen gut aussehenden Vergleich aus den fast unendlich vielen Vergleichsmöglichkeiten.
Können Sie uns das anhand eines Beispiels veranschaulichen?
Sicher. Bei meiner früheren Arbeit bei den Kassenzahnärzten etwa sollte ich innerhalb von drei Wochen mal Zahlen geben, dass Zahnärzte nur wenig verdienen und bei ihnen nicht gekürzt werden kann und danach, dass sie gut verdienen, damit der Vorstands-Chef wieder gewählt wurde.
Beides kein Problem. Einmal habe ich das aktuelle Einkommen mit dem von 10 Jahren zuvor verglichen – da war das Einkommen gerade besonders hoch -, habe zusätzlich die Preissteigerungen berücksichtigt und bekam ein saftiges Minus.
Zum Loben der Arbeit des Vorsitzenden habe ich zum Vergleich ein Jahr ausgewählt, wo das Einkommen niedrig war – wegen gesetzlicher Änderungen, die aber schon längst vergessen waren – habe die Preissteigerungen nicht berücksichtigt und bekam ein Plus von 20%. Tosender Applaus und Wiederwahl des Vorsitzenden waren die Folge. Gelogen wurde in beiden Fällen nicht, nur passend ausgewählt.
Gut, hier haben die Interessen dominiert. Aber bei Arbeitslosigkeit gibt eine Bundesbehörde die öffentlich stark beachteten Zahlen heraus.
Ja, aber auch Behörden haben Interessen und Abhängigkeiten. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit wird von der Bundesregierung ernannt! Muss ich mehr sagen? Klar hat jede Regierung das Interesse nach gut aussehenden Daten. Deshalb werden direkt viele „Schönungsmethoden“ gewählt. Neben passenden Vergleichszahlen wie bei den Zahnärzten ist vor allem die Definition von arbeitslos zu nennen. Kranke zählen nicht dazu, die meisten der über 58-Jährigen ohne Arbeit ebenso nicht und selbst die, die zur Arbeitsvermittlung an Private weitergereicht wurden, gelten offiziell nicht als arbeitslos.
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