Dynamo-Angreifer Justin Eilers (26, Foto) hat sich innerhalb weniger Wochen beim Dresdner Publikum den Status „Fußballgott" erspielt. Als Pokalheld gegen Schalke und Hexenschuss-Jubler gegen Bochum erlangte der Neuzugang auch überregional Bekanntheit. Im Transfermarkt-Interview spricht Eilers über seinen langen Weg zum Erfolg, den Traum von der Bundesliga, das DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Borussia Dortmund - und natürlich seinen kuriosen Krückstock-Jubel.
Transfermarkt: Justin, Sie haben sich vor Ihrem Doppelpack im DFB-Pokal gegen den VfL Bochum einen Hexenschuss zugezogen - bei der Hausarbeit. Haben Sie mittlerweile eine Putzfrau gefunden?
Justin Eilers: Es gab einige Interessenten. Sogar mein Nachbar hat mir eine Haushaltshilfe vorgeschlagen, sie wird in dieser Woche das erste Mal bei mir sein.
Transfermarkt: Ihr Krückstock-Jubel hat Sie überregional bekannt gemacht. War das spontan, und wie zieht man sich bei der Hausarbeit überhaupt einen Hexenschuss zu?
Eilers: Ich wollte meinen Geschirrspüler ausräumen. Plötzlich zog der Schmerz in meinen Rücken hinein. Danach hat der Verein alles getan, um mich gegen Bochum aufs Spielfeld zu bringen. Den Jubel hatte ich mir vor dem Spiel nicht überlegt, das kam spontan. Die Aktion hat ganz gut gepasst, denke ich.
Transfermarkt: Regionale Medien spekulierten über einen Bluff.
Eilers: Das ist komplett an den Haaren herbeigezogen. Die Schmerzen waren wirklich extrem. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich spielen kann, aber da hat die Reha-Nord in Dresden hervorragende Arbeit geleistet.
Transfermarkt: Die begeisternden und leidenschaftlichen Siege gegen Schalke und Bochum waren Ihre ersten DFB-Pokalspiele. Kommt Ihnen der K.o.-Modus entgegen?
Eilers: Das waren zwei super Spiele für das ganze Team. Jeder hat sich unglaublich reingehängt. Wir hatten als Team nichts zu verlieren, so sind wir auch aufgetreten. Dass ich dann insgesamt drei Tore mache, hat mich sehr gefreut.
Transfermarkt: Wie erklären Sie sich Ihren plötzlichen Leistungssprung zum Toptorjäger der 3.Liga? Haben Sie vor dieser Saison etwas anders gemacht als in den vergangenen Jahren?
Eilers: Eigentlich nicht. Ich bin einfach ein Spielertyp, der das Vertrauen braucht vom Umfeld, vom Trainerteam, der Mannschaft, um erfolgreich Fußball zu spielen. Das habe ich hier von vornherein gespürt. Es wurde mir sehr leicht gemacht, hier Fuß zu fassen. Das versuche ich jetzt Woche für Woche zurückzuzahlen.
Transfermarkt: Bei Dynamo herrscht ein neues Wir-Gefühl im Team. Wie ist das aus Ihrer Sicht entstanden?
Eilers: Wir sind ja ein komplett neuer Kader und sind im Trainingslager eine Mannschaft geworden, haben uns eingeschworen. Da hat sich der Charakter der Mannschaft gebildet. Wir haben gute Typen im Team, verstehen uns einfach gut, das ist ein sehr wichtiger Faktor, der zu sportlichem Erfolg führen kann. Gerade, da in der 3.Liga viel über die Kompaktheit des Teams läuft, ist das sehr wichtig.
Transfermarkt: Ihre Karriere verlief bereits in der Jugend nicht immer geradlinig. Wieso haben Sie bereits im Nachwuchs innerhalb Braunschweigs mehrfach den Verein gewechselt?
Eilers: Ich habe mit fünf Jahren bei Eintracht Braunschweig begonnen, war dort bis zur B-Jugend. Dann wurde mir gesagt, dass ich bei der Eintracht eher Reservist gewesen wäre, da bin ich gewechselt, dann aber nach zwei, drei Jahren zu Braunschweig II zurückgekehrt. Nach dem ersten Jahr wurde ich von Thorsten Lieberknecht in die erste Mannschaft hochgezogen. Ich kann nur positiv über ihn sprechen. Er hat es mir ermöglicht, in der 3.Liga zu spielen. Im Laufe der Saison habe ich dann aber gemerkt, dass das Vertrauen und die Unterstützung nicht zu 100 Prozent da waren und habe mich für einen Wechsel zum VfL Bochum entschieden.
Transfermarkt: Wo Ihnen nichts gelang. War das eher Pech oder fehlten Ihnen damals Ehrgeiz, Engagement, Durchsetzungsvermögen eines Profifußballers?
Eilers: Ein wenig von allem. Vielleicht hatte ich damals nicht den nötigen Ehrgeiz und die 100-prozentige Einstellung zu meinem Beruf. Dazu kamen viele kleine Verletzungen, die mich immer in wichtigen Momenten aus der Bahn geworfen haben, in denen ich hätte den nächsten Schritt machen können. Speziell in Bochum war das so. Das erste Jahr dort war ich beinahe komplett verletzt. So bin ich auf der Stelle getreten, und musste den Neuanfang starten.
Transfermarkt: Hatten Sie in Bochum die Chance, in den Profikader aufzurücken?
Eilers: Es gab die Chance, ich durfte über ein, zwei Monate oben mittrainieren. Aber dann kam die nächste Verletzung.
Transfermarkt: Wäre Ihr aktuell rasanter Formanstieg ohne diese negativen Erfahrungen überhaupt möglich gewesen?
Eilers: Von meiner fußballerischen Qualität hätte ich mir das auch damals zugetraut. Aber durch dieses Tief ist in meinem Kopf etwas passiert. Ich habe eine andere Einstellung. Es läuft eben nicht alles von selbst, das ist mir erst in den letzten Jahren bewusst geworden.
Transfermarkt: Ernähren Sie sich gesünder, ziehen weniger um die Häuser?
Eilers: Ernährung ist ein Punkt. Dazu das professionelle Verhalten in der Woche, vor den Spieltagen. Mit 20 Jahren hatte ich eine andere Einstellung als heute. Ich stelle mich heute einfach besser auf den Beruf als Fußballprofi ein als damals.
Transfermarkt: Hatten Sie vor Ihrem Wechsel in die Oberliga nach Goslar die Befürchtung, dass der Traum vom Fußballprofi ausgeträumt ist?
Eilers: Nach meiner Bochumer Zeit gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Ich wollte eigentlich 3.Liga spielen, aber das hat nicht funktioniert. Ich hätte bei einigen Klubs in der Regionalliga spielen können, aber das wollte ich nicht. Ich wollte in erster Linie den Spaß am Fußball wieder finden. Den habe ich in Goslar gefunden, wo ich meinen zweiten Anlauf gestartet habe. Zudem war ich nah dran an Familie und Freunden. Das war mir zu der Zeit sehr wichtig. Weil ich verletzungsfrei geblieben bin, habe ich peu á peu wieder Fuß gefasst. Dann klopfte der VfL Wolfsburg an und jetzt erlebe ich hier den zweiten Frühling, genieße das und hoffe, dass es so weitergeht.
Transfermarkt: Welche Rolle spielten Ihre Trainer dabei?
Eilers: Manfred Wölpper und Frank Eulberg in Goslar, Valérien Ismaël bei der zweiten Mannschaft des VfL Wolfsburg haben mir sehr viel Vertrauen geschenkt und in mir etwas Besonderes gesehen. Ich habe viel gelernt von ihnen: robust zu werden, stabil zu werden. Diese drei Trainer haben viel dazu beigetragen, dass ich jetzt hier bin.
Transfermarkt: Auch bei Dynamo haben sie das Vertrauen von Trainer Stefan Böger und Sportdirektor Ralf Minge, der Sie einen Aktionsfußballer nennt. Eilers: Ich lebe davon, vom Trainerteam und der Mannschaft Rückenwind zu spüren. Wenn ich Freiräume bekomme, meine Stärke als Instinktfußballer ausspielen kann, kann ich meine Leistung bringen. Ich denke dann nicht groß nach, nehme die Aktionen, wie sie kommen. Im Moment klappt das ganz gut.
Transfermarkt: Welche Rolle spielt Ihr Berater Sören Seidel (Agentur teamplayer) für Sie?
Eilers: Sören habe ich in meiner Zeit in Goslar kennengelernt, seitdem arbeiten wir zusammen. Das ist ein sehr freundschaftliches Verhältnis, zwischen uns beiden herrscht großes Vertrauen. Vor dem Wechsel nach Dresden hatten mehrere Vereine angeklopft, unter anderem hat Zweitligist Sandhausen um mich gebuhlt. Der Wechsel zu Dynamo hat dann wegen einer Kooperation zwischen Wolfsburg und Dresden geklappt. Kompliment an Ralf Minge, dass er so vehement versucht hat, mich hier her zu lotsen. Da habe ich sofort gespürt, dass der Wille da ist, mich zu verpflichten.
Transfermarkt: Wie lief der Wechsel nach Dresden?
Eilers: Nach mehreren Telefonaten mit Ralf Minge und Stefan Böger hat Minge gesagt: „Pass auf, ,Eile', du musst unbedingt mal nach Dresden kommen. Das kann ich Dir am Telefon gar nicht alles vermitteln, das muss ich Dir zeigen." Dann stand ich hier im Stadion, bin hier das erste Mal reinmarschiert. Das war Wahnsinn, das hat mich auf Anhieb überzeugt. Dynamo Dresden ist würdig, mindestens in der 2.Liga zu spielen.
Transfermarkt: Vor zwei Jahren sind Sie noch gegen Bückeburg und Cloppenburg aufgelaufen, in dieser Saison gegen Schalke und Borussia Dortmund. Realisieren Sie, wie rasant sich Ihre Karriere geändert hat?
Eilers: Vor zwei Jahren hätte ich niemals damit gerechnet, dass ein Spiel von mir im DFB-Pokal live im Fernsehen übertragen wird. Ich habe lange gehofft, dass das eintritt und jetzt genieße ich die Zeit in Dresden, fühle mich sehr wohl hier.
Transfermarkt: Sie haben lange Jahre vor einigen hundert oder tausend Zuschauern gespielt. Pusht es Sie noch einmal extra, hier vor bis zu 30.000 aufzulaufen?
Eilers: Es ist ein großer Unterschied, ob man vor ein paar hundert oder 25.000 Fans spielt. Gerade wenn die Spiele auf des Messers Schneide stehen, ist das Publikum Gold wert. Wenn dich 25.000 nach vorn peitschen, pusht mich das enorm. Da bekommt man in Schlussphase des Spiels schon eine zweite Luft.
Transfermarkt: Mit dem großen Kontrast können Sie offenbar gut umgehen.
Eilers: Zu meinem Drittligadebüt bei Eintracht Braunschweig 2008 mit 20 Jahren war das noch anders. Ich war nervös, vor einer solch großen Kulisse zu spielen. Inzwischen kann ich das genießen und frei aufspielen.
Transfermarkt: Schon als Kind war die Bundesliga Ihr Traum, träumen Sie noch immer davon?
Eilers: Ich bin jetzt 26, im mittleren Fußballeralter. Klar, habe ich den Traum, in den nächsten Jahren mal Bundesliga zu spielen. Ob es noch nach oben geht, wird sich zeigen.
Transfermarkt: Angenommen, im Frühjahr kommt ein Angebot von einem Erst- oder Zweitligisten. Haben Sie das Durchhaltevermögen, den Schritt in die 2.Liga mit Dynamo zu schaffen?
Eilers: Ich weiß, was ich an Dynamo habe. Andersherum ist es genauso. Ich habe immer schlecht daran getan, zu spekulieren, was die Zukunft bringt. Das werde ich jetzt auch nicht tun. Ich bin hier glücklich, habe Vertrag bis 2016.
Transfermarkt: Aktuell ist Dynamo von der Tabellenspitze auf Rang elf abgerutscht? Wie erklären Sie sich das?
Eilers: Hätten wir vor der Saison unterschreiben dürfen, dass wir nach 17 Spielen vier Punkte hinter dem Tabellenersten stehen, hätten wir das unterschrieben. Dass wir allerdings Elfter sind und vier Punkte hinter dem Spitzenreiter stehen, ist schon kurios. Die Liga ist ungeheuer ausgeglichen, jeder kann jeden schlagen. Im Moment haben wir die Leichtigkeit verloren.
Transfermarkt: Woran müssen Sie individuell arbeiten?
Eilers: Ich kann einiges besser machen, zum Beispiel die Defensivarbeit verstärken, allerdings nicht zu Lasten der Offensive.
Transfermarkt: Wie groß ist der Drang, mit Dynamo den Aufstieg in die 2.Liga in diesem Jahr zu schaffen?
Eilers: Wir wollen so lange wie möglich oben mitspielen, erst einmal bis zum Winter fleißig punkten, um ein positives Zwischenfazit ziehen zu können. Wenn wir dann wissen, wo wir im Frühjahr stehen, können wir uns neue Ziele setzen.
Transfermarkt: Fiebern Sie trotz der Herkulesaufgabe in der Liga schon jetzt dem gegen Spiel Borussia Dortmund entgegen?
Eilers: Ich habe mich natürlich gefreut, als das Los gezogen wurde. Allerdings hätte ich mich noch mehr darüber gefreut, gegen meinen Heimatverein Eintracht Braunschweig aufzulaufen - vielleicht im Viertelfinale. Aber im Ernst: Der BVB ist ein absolutes Bonbon, ein Bonusspiel, das wir dann im März genießen werden. Wir haben wieder nichts zu verlieren und werden auch so auflaufen. Ich freue mich darauf, gegen Spieler dieser Klasse antreten zu dürfen und zu zeigen, was ich kann. Aber um eine Sensation zu schaffen, müssen wir einen absoluten Sahnetag erwischen, der BVB einen schwächeren. Wichtig ist, dass wir bis dahin in der Liga wieder voll im Saft sind und unsere Punkte sammeln. Einen besonderen Pokaljubel habe ich mir jedenfalls noch nicht zurechtgelegt.
Interview: Ullrich Kroemer