"Lieber eine schöne Schlafstadt, als eine leerstehende Einkaufsstadt." Der Modekonzern Esprit will 50 Filialen schließen. Die Hälfte seiner Läden in Deutschland. Und mehr als 1000 Stellen streichen - auch in der Verwaltung. Esprit mit Sitz in Ratingen befindet sich jetzt in einem Insolvenzverfahren. Die Modekette leidet wie viele andere auch unter den wochenlangen Schließungen der Läden wegen der Corona-Pandemie. In Düsseldorf gibt es vier Filialen, aber auch in umliegenden Städten wie Hilden, Neuss und Mönchengladbach hat Esprit Geschäfte.
Gerrit Heinemann ist seit 2005 Professor für BWL, Management und Handel an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Er beschäftigt sich mit der Zukunft des Handels.
Welche Fehler hat Esprit in der Vergangenheit gemacht?
Esprit hat schon einige Jahre große Probleme. Esprit hat als einer der ersten im großen Stil Geschäfte eröffnet, aber trotzdem noch Großhandel betrieben. In dieser Kombination ist es schlicht und ergreifend schwierig. Entweder man betreibt ausschließlich eigene Geschäfte und verkauft nicht an Dritte. Oder man betreibt Großhandel. Beides ist nicht zusammen zu bringen. Esprit hat dieses Problem auch nicht lösen können.
Was hat die aktuelle Situation mit Corona und der Online-Konkurrenz zu tun?
Definitiv ist die derzeitige Lage auch strukturell bedingt. Corona ist Katalysator, Brandbeschleuniger für Probleme, die es schon vorher gab. Ich habe mich eigentlich die letzten zwei drei Jahre gewundert, dass es Esprit überhaupt noch gibt - und jetzt auch noch gibt, also insofern Hut ab.
Ist Esprit denn überhaupt noch zu retten?
Also wenn ich versuchen sollte eine realistische Lagebeurteilung für den Textilhandel zu machen, wäre das nicht möglich. Experten prognostizieren ein Minus von 30 Prozent im Textilhandel- und Bekleidungshandel für dieses Jahr. Und davon ist auch Esprit direkt betroffen. Wenn das dann wirklich so kommt hat Esprit, glaube ich, keine Chance mehr.
Esprit ist ja noch eine der bekannten Marken, die man in den Innenstädten als Verkaufsgeschäfte sieht.
Wie werden die Innenstädte in Zukunft aussehen, wenn diese Läden weg sind?
Der Handelsverband Deutschland geht von 50.000 Geschäftsaufgaben dieses Jahr aus. Ich gehe von deutlich mehr aus: Es könnten sogar bis zu 200.000 werden - dann sehen die meisten deutschen Städte wie ein Schweizer Käse aus. Es sei denn, die Stadtväter erkennen die Entwicklung und steuern gegen. Das geht! Wenn man an Leerständen festhält und an leeren Fußgängerzonen, dann haben die Städte sicherlich ein Problem.
Wie könnte man gegensteuern?
Indem man den Rück- oder Umbau zu Wohnraum ermöglicht. Denn wir benötigen Wohnraum in Innenstädten. Oder die Vermietung in Gewerbeflächen. Aber eins wird nicht funktionieren, auch nicht bei den Warenhäusern, die ja jetzt auch schließen: Diese leere Flächen mit Einzelhandel wieder zu füllen.
Welche anderen Unternehmen, gerade aus der Textilbranche und verwandte Branchen könnten denn bald ins Wanken geraten?
Vor allem betroffen sind die kleinen Händler, die lokalen Händler, die nicht filialisiert sind. Davon gibt es etwa um die 400.000, je nachdem was man reinrechnet. Die machen vielleicht noch 15 Prozent Marktanteil aus. Wenn die Hälfte davon aufgeben wird, das wird richtig reinhauen. Die sind in erster Linie betroffen.
Was können die Kommunen machen, um die Innenstädte zu verändern?
Ich glaube, dass die Städte und Kommunen sich unabhängig vom Einzelhandel machen müssen. Die Innenstadt lebt nicht nur von Einzelhandel. Aber jede Stadt läuft der Vision der Einkaufsstadt hinterher. Das wird nicht funktionieren. Mein Motto ist: Lieber eine schöne und attraktive Schlafstadt als eine hässliche und leerstehende Einkaufsstadt.
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