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Reportage

Wie Don Quichotte gegen Wassermühlen

Martina und Ernst Kirchner hatten es sich ganz einfach vorgestellt. Sie kaufen von der Stadt Herzberg das Gebäude der ehemaligen Seidenspinnerei, bringen dort ihre Machinenbaufirma unter, legen den unteren Mühlgraben in sein altes Bachbett um und reaktivieren die beiden Turbinen im Hause. Dann könnten sie nicht nur ihren Betrieb mit der Energie aus dere Wasser versorgen, sondern auch reichlich Strom in das Netz einspeisen.

Schließlich hatte Ernst Kirchner 2005 für den Verein “Wasserrad für Herzberg” eine Anlage am oberen Mühlengraben gebaut, die seitdem Strom erzeugt. Die  rundumerneuerten Turbinen im eigenen Haus sollten ein Vielfaches der Leistung erbringen. Doch seit vier Jahren kämpfen Martina und Ernst Kirchner gegen die Mühlen der Bürokratie. Immer wenn sie eine Beschwerde des Landkreises abgearbeitet haben, dann eröffnet die Verwaltung eine neue Runde. Mittlerweile füllt der Schriftverkehr zwischen Bauherren und Behörde 16 Aktenordner im Hause Kirchner. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Das Gelände am Herzberger Pfingstanger ist vermint, wortwörtlich. Rund um die ehemalige Seidenspinnerei entstand im Dritten Reich die Munitionsfabrik “Werk Kiefer”. Hier wurden Panzerminen, Wasserminen und Bomben hergestellt. Überreste der Produktion waren noch jahrzehntelang auf dem Areal verteilt. Als die Stadt 1967 das Gelände vom Alteigentümer, der einst bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft mbH (IVG) erwarb, galt das Areal als kampfmittelfrei. Auch in den 80er Jahren wurden noch einmal Minenräumungen durchgeführt.

Die erste Auflage an Ernst Kirchner lautete: “Machen Sie ihr Grundstück minenfrei.” Den Behörden war wohl klar, dass die bisherigen Beräumungen bestenfalls halbherzig durchgeführt wurden.

Als er der Aufforderung nachkam, gab es die erste Ordnungsstrafe, weil für die Beräumung Bäume gefällt wurden. Anschließen mussten die Arbeiten um ein halbes Jahr verschoben werden. “Entweder weiß ein Fachbereich beim Landkreis nicht, was der andere macht, oder es ist eine konzertierte Aktion”, zieht Ernst Kirchner ein Fazit nach vier Jahren bürokratischen Kleinkrieg.

Der nächste Streitpunkt war das Hauptgebäude. “Alles was wir wollen, ist Bestandschutz”, nennt Martina Kirchner ein Etappenziel, denn die Kreisverwaltung zweifelte lange Zeit die Existenz des Baus aus der Gründerzeit an. Begründung: Es gibt keine Baupläne.

Der Streit hat auch skurille Momente. Nach dem Verkauf durch die IVG war die ehemalige Seidenspinnerei zwischenzeitlich Firmensitz des Herzberger Glashandels. Zu dessen regelmäßigen Kunden zählte auch die Kreisverwaltung. 2012 hatte der neue Eigentümer Sicherungsmaßnahmen am Dachstuhl durchführen lassen. Daraufhin gab es den nächsten Bußgeldbescheid. Die Kreisverwaltung bestrafte Bauarbeiten an einem Gebäude, dessen Existenz sie an anderer Stelle anzweifelte. Und sie zweifelte die Existenz eines Gebäudes an, an dessen Adresse sie jahrelang Bestellungen schickte.

“Wir gehen davon aus, dass es aus dem Baujahr 1905 keine Unterlagen mehr gibt”, erklärt Martina Kirchner. Beim Ausbau zur Munitionsfabrik wurde das Gebäude der Seidenspinnerei mehrfach umgebaut. “Dass dies ohne Bauanträge geschah, dies hat das Verwaltungsgericht Göttingen schon 1997 festgestellt”, ergänzt die Unternehmerin. In der Zwischenzeit hat das Ehepaar Kirchner nachweisen können, dass der Mühlengraben sein Wasser einst über ihr Grundstück führte und erst später in die Sieber geleitet wurde. Die Wiederherstellung des historischen Verlaufs ist für ihr Projekt aber unabdingbar.

Das Werk Kiefer  und seine Altlasten waren 22 Jahre lang juristischer Zankapfel zwischen der IVG und dem Landkreis Osterode als Untere Bodenschutzbehörde. Im April einigten sich Landesregierung und Unternehmen auf eine Sanierung der Rüstungsaltlasten in Niedersachsen. Die IVG stellt den größten Teil des benötigen Geldes zur Verfügung.

Für den Pfingstanger in Herzberg wurde sogar eine Sondervereinbarung getroffen. Doch Ernst Kirchner kann daraus keinen Nutzen ziehen. Die Kreisverwaltung hat ihn verpflichtet,  sein Gelände zum dritten Mal auf Schadstoffe untersuchen lassen und dahinter stehen zum dritten Mal Kosten in Höhe von etwa 5.000 Euro.  Laut Vertragstext vom April könnte er die Beprobung über den Sonderfond der IVG regeln. Dies bestätigt auch Inka Burow als Sprecherin des Niedersächsische Umweltministeriums. Doch die Kreisverwaltung verweigert beharrlich und ohne Begründung den Zugriff auf die Mittel. Auch das Umweltministerium kann hier nicht eingreifen. Der Erste Kreisrat Gero Geißlreiter kommentiert lakonisch: "Herr Kirchner weiß, worauf er sich eingelassen hat." 

Für den Chef der Kreisverwaltung ist das alles Zukunftsmusik. Er geht derzeit davon aus, dass sich in Sachen Sanierung vor dem Sommer 2016 nichts tun wird. Ob das Gelände der ehemaligen Seidenspinnerei dann mit Mittel aus dem Sonderfond saniert werden könnte, das lässt er offen.

Wenig Unterstützung bekam Ernst Kirchner bisher aus dem Rathaus in Herzberg. Der Rat hatte dem Unternehmen vor vier Jahren deutlich gemacht, dass er auf eigenes Risiko handle, anschließend den Pfingstanger zu Nicht-Thema erklärt und bei allen Anfragen auf die Kreisverwaltung verwiesen. Schließlich ist der Pfingstanger auch Standort des städtischen Bauhofs. Nach dem Wechsel in der Rathausspitze hofft Ernst Kirchner auf die Hilfe des neuen Bürgermeisters. Konkret ist aber noch nichts.

“Man will unser Projekt verhindern, um nicht auf Schweinereien zu stoßen, die viel jünger sind”, glaubt Ernst Kirchner nach vier Jahren Kampf gegen die Bürokratie. Wenn alles gut geht, dann will er ein Wasserrad bauen, so wie damals für den Verein. Dazu könnte der untere Mühlengraben so bleiben wie er ist. Von den zwei Turbinen, die seinen Betrieb und die Nachbarschaft mit Strom versorgen, davon ist schon lange keine Rede mehr.