14 abonnements et 5 abonnés
Article

NBA-Finals: Toronto Raptors im Porträt

In seinen Händen sieht ein Basketball aus wie eine Grapefruit: Kawhi Leonard

Zum ersten Mal steht ein kanadisches Basketballteam im Finale der NBA. Die Toronto Raptors sind gegen die Seriensieger Golden State Warriors mehr als nur ein Außenseiter.

Von Thomas Fritz

Was kaum jemand weiß: Dr. James Naismith, der Erfinder des Basketballs, war Kanadier. Kanada selbst aber lange Basketball-Entwicklungsland. 80 Jahre nach Naismiths Tod aber entdecken einige Landsleute zum ersten Mal, dass es neben Eishockey, Lacrosse und Canadian Football auch noch den Sport mit den groß gewachsenen Menschen und dem orangefarbenen Lederball gibt. Den Raptors sei Dank.

Die Raptoren stehen als erste kanadische Basketballmannschaft im NBA-Endspiel. Mit ihrem Anführer Kawhi (sprich: Kwai) Leonard wollen sie die Golden State Warriors vom Thron stoßen, der Serienmeister um Superstar Steph Curry peilt den vierten Titel in fünf Jahren an. Die Best-of-Seven-Serie beginnt in der Nacht auf Freitag (3 Uhr MEZ) in Toronto.

Nach der überraschenden Niederlage der Eishockeynationalmannschaft im WM-Finale gegen Finnland ruhen die Hoffnungen der 37-Millionen-Nation nun auf den Korbjägern. Sogar Premierminister Justin Trudeau meldete sich auf Twitter zu Wort: "Es ist Zeit, die Meisterschaft nach Kanada zu holen."

Als die NBA die Toronto Raptors zur Saison 1995/1996 in die Liga aufnahm, war die Mannschaft aus dem hohen Norden unbeliebt. So unbeliebt, dass sich noch Jahre später Spieler weigerten, jenseits der US-Grenze ihre Brötchen zu verdienen. Das Team spielte die ersten Jahre chronisch erfolglos, die Winter am Lake Ontario sind noch heute frostig und lang. Die Raptors waren bisher vor allem dadurch bekannt, dass ihr Ex-Star Vince Carter bei den Olympischen Spielen 2000 über einen Gegner sprang und den Ball in den Korb stopfte.

Eine der lautesten Hallen der Liga

Die Zeiten haben sich geändert. Die Raptors sind schon länger das bestimmende Thema in den Sportbars der 2,7-Millionen-Einwohner-Metropole, in der die Hälfte der Bevölkerung einer ethnischen Minderheit angehören soll. Die Blütezeit der Maple Leafs, das Eishockeyteam mit den zweitmeisten NHL-Meisterschaften, liegt 50 Jahre zurück. Die Blue Jays gewannen zuletzt 1993 die World Series im Baseball. Sie waren der letzte kanadische Titelträger in den großen US-Sportligen.

Die Scotiabank Arena, in der fast 20.000 Menschen Platz finden, gilt als eine der lautesten der Liga. Beim Public Viewing im "Jurassic Park", dem Platz vor der Arena, herrscht während der K.-o.-Runde der Ausnahmezustand. In der ganzen Stadt ist der Slogan " We the North" zu lesen. Damit wird der Außenseiterstatus des einzigen kanadischen NBA-Teams in etwas umgedeutet, das Identität stiftet und Stärke demonstriert. Die Zeiten, als sich NBA-Profis weigerten nach Toronto zu wechseln, sind jedenfalls Geschichte. Es wird gemunkelt, das habe auch mit der landesweiten Legalisierung von Marihuana im Jahr 2018 zu tun. Immerhin steht mit Chris Boucher auch ein Kanadier im Kader - allerdings fungiert er in den Play-offs bei insgesamt vier Minuten Einsatzzeit eher als Maskottchen.

Die Chancen, tatsächlich die NBA zu gewinnen, stehen gar nicht so übel. In der regulären Saison sicherte sich der Herausforderer beide Duelle gegen den Champion aus Kalifornien - und mit 58 Siegen die bessere Gesamtbilanz. Zudem müssen die Warriors zunächst ohne die verletzten Leistungsträger Kevin Durant und DeMarcus Cousins auskommen. Sollten sie in den Finals zurückkehren, dann wohl kaum in voller Stärke. Zwar spielte das Trio um Steph Curry, Klay Thompson und Draymond Green, das die Keimzelle der kalifornischen Gewinnerkultur bildet und 2015 erstmals die Meistertrophäe nach Oakland holte, starke Play-offs. Doch die Raptors sind mit ihrem internationalen Dreigestirn um Marc Gasol, Serge Ibaka (beide Spanien) und Pascal Siakam (Kamerun) sowie dem Aufbauspieler Kyle Lowry und dem Defensivspezialisten Danny Green tiefer besetzt. In der Halbfinalserie gegen die Milwaukee Bucks zeigte das Team von Coach Nick Nurse beim 4:2-Sieg eine Defensivleistung, die bereits meisterschaftswürdig war.

Ein Star, der keiner sein will

Und da ist ja noch Kawhi Leonard. Der im Sommer verpflichtete Star – Spitzname "The Claw" – besitzt die mächtigsten Klauen aller Raptoren. Die Hände des 27 Jahre alten Flügelspielers messen vom unteren Ende der Handfläche bis zur Spitze des Mittelfingers fast 25 Zentimeter. Ein Basketball wirkt in den Pranken des Rechtshänders wie eine Grapefruit. Vorne lässt Leonard serienweise Dreipunkte- und Mitteldistanzwürfe durch den Ring fliegen. Beim Zug zum Korb ist der 2,01 Meter große und 104 Kilogramm schwere Modellathlet ebenfalls kaum zu stoppen. In der Defensive gilt der Finals-MVP 2014, dreifache Allstar und beste Verteidiger der Jahre 2015 und 2016 als Kettenhund. In den diesjährigen Play-offs erzielte Leonard in 18 Spielen 31,2 Punkte pro Partie, schnappte sich 8,8 Rebounds und klaute 1,6 Mal den Ball. Michael Jordan, der beste Basketballer aller Zeiten, nannte ihn 2017 "den besten Two-Way-Player" der Welt. Damit sind Athleten gemeint, die offensiv und defensiv brillieren. Schwächen? Er verliert etwas zu häufig den Ball. Das ist alles.

Leonard, der 1991 in Los Angeles zur Welt kam und mit vier Schwestern aufwuchs, verrichtet stoisch und teamdienlich seine Arbeit: Emotionen zeigt er kaum, Interviewfragen beantwortet er in monotoner Stimmlage, oft mit typischen Sportlerfloskeln. Eitle Jubelgesten wie Lakers-Star LeBron James? Gibt es nicht. Nach Aufmerksamkeit schreiende Posts in sozialen Medien? Sind für Leonard sinnlose Ablenkung vom Basketball. Er wirkt wie ein Star, der keiner sein will.

Superfan Drake

Torontos Manager Masai Ujiri nannte Leonard nach dem Einzug ins Finale den "besten Spieler der Welt", für Coach Nick Nurse ist er schlichtweg "einzigartig". So einen Unterschiedsspieler haben sie in Toronto noch nie gesehen. Weder der sprunggewaltige Vince Carter (1998-2004), noch der geschmeidige Chris Bosh (2003-2010) konnten die Mannschaft ins Endspiel hieven. Meist gelang nicht einmal die Play-off-Qualifikation. Der Allstar DeMar DeRozan schaffte den großen Wurf auch nicht. Er tauchte in entscheidenden Spielen gerne mal ab und wurde im Sommer 2018 gegen seinen Willen zu den San Antonio Spurs transferiert – für Leonard. Die Raptors entließen fast gleichzeitig, trotz 59 Siegen und nur 23 Niederlagen, ihren Coach Dwane Casey, den amtierenden Trainer des Jahres. 

Das Zocken hat sich gelohnt. Nun wird vor dem 411. Finalspiel der 72-jährigen NBA-Geschichte erstmals O Canada neben der US-Hymne erklingen. Sehr zur Freude von Rapper Drake übrigens, dem Superfan der Raptors, der stets in der ersten Reihe mitfiebert. Der frühere Lebensgefährte von Rihanna genießt durch seine emotionalen Ausbrüche bei Raptors-Fans Kultstatus – vielen gegnerischen Anhängern geht er einfach nur auf die Nerven.

Es gibt nur ein Problem: Ausgerechnet der Star Leonard könnte nach der Saison wieder zurück in die USA gehen. Sein Vertrag läuft aus, er wird mit einem Wechsel in seine Heimatstadt Los Angeles in Verbindung gebracht und vermied bisher ein Bekenntnis zu den Raptors. Das beste Argument für den Verbleib des Oberdinos wäre der Gewinn der NBA-Meisterschaft.

Rétablir l'original