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Wie werde ich zum Mutbürger?

Plakat des internationalen Wettbewerbs "Mut zur Wut", Heidelberg 2015.

Zivilcourage kann man lernen, sagt die Heidelberger Friedensaktivistin Renate Wanie

"Denen beizustehen, die bedroht sind, weil sie anders aussehen, anders denken, anders glauben oder anders lieben, verlangt nicht viel", schreibt Carolin Emcke. Für ihren Aufruf zu mehr Zivilcourage wurde die Autorin mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Ehrenamtlichen des Asylarbeitskreises Heidelberg wollten genauer wissen, welcher kleinen Schritte es bedarf, um Emckes Aufruf im Alltag umzusetzen.
Die Friedensaktivistin Renate Wanie stellte deshalb in einem Workshop einige Strategien vor - eine Anleitung für Mutbürger in Zeiten, in denen so viel Wut herrscht. "Zivilcourage kann man lernen", sagt die 68-jährige Heidelbergerin. Sie entwickelte ihr Seminarangebot erstmals, als in den 1990er Jahren Asylbewerberheime in Flammen standen. Wanie sieht die Nachfrage nach ihren Workshops als Barometer für ein Klima der Angst und der Fremdenfeindlichkeit, das jetzt wieder deutlicher zu spüren sei.

Ob beim Bäcker, auf dem Bürgeramt oder in der Straßenbahn: Rassismus kann einem überall im Alltag begegnen. Die Heidelberger Ethnologie-Studentin Tülay Arslan wurde vor einiger Zeit Zeugin eines fremdenfeindlichen Angriffs. "Als ich an der Brückenstraße in die Straßenbahn gestiegen bin, hat plötzlich hinter mir eine Frau laut aufgeschrien", erinnert sich die 26-Jährige. Eine ältere Dame hatte der Frau den Schleier vom Kopf gezerrt und sie wüst beschimpft. Arslan schritt als Einzige im Wagen ein: "Es war eine schwierige Situation: Ich habe die Täterin zurechtgewiesen, konnte mich aber nicht gleich um die verstörte Frau kümmern."

Genau diesen sozialen Mut gilt es einzuüben: Im Rollenspiel durchleben die Kursteilnehmer die Gewaltsituation noch einmal neu und entwickeln kreativ eine Lösungsstrategie. Arslan hätte zum Beispiel Mitreisende ansprechen können, um sich in Ruhe dem Opfer zuzuwenden. "Die direkte Anrede ist hier sehr wichtig, damit nicht alle in der Schockstarre bleiben", rät Wanie: "Sie da mit der roten Mütze, helfen Sie mir!" Wer in einer bedrohlichen Situation eingreift, sollte sich nie von der Aggressivität der anderen anstecken lassen. Das ist der Trainerin für gewaltfreie Kommunikation besonders wichtig.

Auch verbale Angriffe verletzen. Hier hilft es vor allem, den Fokus zu verschieben. Wer hasserfüllte Kommentare ignoriert und sich aktiv den Betroffenen zuwendet, stiehlt den Angreifern die Bühne. Schon ein belangloses Gespräch über das Wetter durchbricht die Dynamik des Hasses. Eine andere Strategie liebt Wanie ganz besonders: "Tu das Unerwartete!" Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, um die Anfeindungen zu unterbrechen: "Sprich den Busfahrer an, sing ein Lied, lass deine Wasserflasche fallen... Einmal habe ich von einer Frau gehört, die einfach angefangen hat laut wie ein Huhn zu gackern. Es hat geholfen."

Ignorieren, irritieren, Mitstreiter suchen - neben diesen Strategien lernen die Kursteilnehmer noch eine Voraussetzung für Zivilcourage: sich der eigenen Handlungsmotive bewusst zu werden. Wie Carolin Emcke schreibt, geht es darum, seine Werte mutig in der Gesellschaft zu verteidigen - und zwar am Küchentisch genauso wie in der Straßenbahn. Die eigene Meinung zu sagen erfordere Mut, so Wanie. Übung darin sammle sie selbst am liebsten im Zug: "Ich warte manchmal richtiggehend darauf, dass ich rassistischen Parolen Paroli bieten kann."


Infos zu Zivilcourage-Workshops gibt es auch beim Verein Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar unter www.praevention-rhein-neckar.de

erschienen in der RNZ vom 03. Januar 2017
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