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Grenzöffnungen: Eingesperrt und ausgesperrt

Freundschaften und Beziehungen über Grenzen hinweg, Pendeln zur Arbeit, Einkaufen und Ausgehen auf beiden Seiten - diesen Alltag hat die Corona-Pandemie jäh unterbrochen, auch Deutschlands Grenzen zu seinen Nachbarn sind weitgehend geschlossen. Wie geht es denen, die dort leben, wo die Trennung in zwei Länder bis vor Kurzem eigentlich nur noch theoretisch existierte?

Sabine R.*, 64 Jahre, Rentnerin in Freilassing

Wenn Politiker derzeit über mögliche Grenzöffnungen reden, dann geht es immer nur um die Touristen. Ich verstehe das nicht. Warum macht sich niemand Gedanken um uns Menschen, die im grenznahen Bereich leben?

Ich bin Ende 2018 vom Ammersee in Bayern nach Freilassing gezogen, das nur ein paar Kilometer von der Stadt Salzburg entfernt liegt. Für mich ist Freilassing der Vorort von Salzburg. Ich habe mich bereits in meiner Jugend in die Stadt in Österreich verliebt. Schon mit 22 wollte ich hierherziehen, aber das war damals beruflich nicht möglich. Ich habe in der Reisebranche gearbeitet. Nachdem ich mich vor ein paar Jahren von meinem Mann getrennt hatte, sah ich die Chance, mir in meiner Rente meinen Traum von damals doch noch zu erfüllen.

Wer an der Grenze wohnt, hat in den meisten Fällen auch ein Leben auf der anderen Seite. Wir haben enge Freundschaften jenseits der Grenze, engagieren uns in Vereinen. Als Europäer verbringen wir unser Leben ganz normal auf beiden Seiten, weil es die Grenze ja eigentlich nicht mehr gibt. Ich leihe mir Bücher in der Stadtbibliothek in Salzburg aus, treffe mich mit deutschen und österreichischen Freunden zum Frühstücken in der Stadt, wir hören uns Konzerte im Mozarteum an. Im Sommer fahren wir an einen See auf der österreichischen Seite, gehen Baden oder Schifferl fahren.

Jetzt ist alles anders. In meinem Haus in Freilassing wohnen viele junge Österreicher. Bevor die Ausgangsbeschränkungen in Kraft getreten sind, haben sie ihre Bündel gepackt und sind abgefahren. Ihre Parkplätze stehen bis heute leer. Niemand hat damit gerechnet, dass die Grenze so lange dicht sein wird. Ich habe einen Partner, der in Salzburg wohnt. Wir haben einander seit fast acht Wochen nicht mehr gesehen.

Wer nicht verheiratet ist, kann höchstens mit maximalem bürokratischem Aufwand seinen Lebensgefährten jenseits der Grenze treffen. Mein Partner ist leider nicht besonders technikaffin, darum klappt das mit den Videochats nicht. Wir mailen manchmal oder telefonieren. Aber es gibt Dinge, die lassen sich durch Elektronik nicht ersetzen.

Eine Freundin, die auch in Freilassing wohnt, kümmert sich um zwei schwerkranke Frauen auf der österreichischen Seite. Sie ist eng mit ihnen befreundet. Eine der beiden Frauen leidet an Krebs. Meine Freundin hat sie vor Corona jedes Mal zur Chemotherapie begleitet. Sie war ihr eine wichtige psychische Stütze. Mit der anderen Frau, sie ist an Parkinson erkrankt, ging sie regelmäßig spazieren, unterstützte sie ihm Alltag oder spielte Karten mit ihr. Das geht jetzt alles nicht mehr. Ich kenne viele solcher Schicksale in meinem Bekanntenkreis.

Wir älteren Menschen wissen, dass wir zur Risikogruppe zählen. Wir halten uns an die Abstandsregeln, waschen regelmäßig unsere Hände. Aber gerade wir sind oft auf soziale Kontakte und Hilfe in unserem Umfeld angewiesen. Viele von uns leben allein. Unsere Kinder und Enkel wohnen oft weit entfernt - oder auch auf der anderen Seite der Grenze.

Eine Bekannte aus der Nachbargemeinde Ainring hilft einer alten Dame, die in der Nähe vom Mattsee in Salzburg wohnt. Sie ist 91, lebt in sehr einfachen Verhältnissen, hat aber noch einen großen Garten und keine Familie in der Nähe. Meine Bekannte besuchte sie vor Corona mindestens einmal pro Woche. Ich frage mich, wie die Frau jetzt ohne Unterstützung zurechtkommt. Dieser Zustand ist frustrierend.

Viele von uns fühlen sich entmündigt und alleingelassen. Ich bin in einer Wandergruppe, die sich vor allem auf der deutschen Seite abspielt, aber es sind auch Österreicher dabei. Ein Salzburger hat kürzlich in unsere WhatsApp-Gruppe geschrieben: "Ich fühle mich eingesperrt und ausgesperrt." So geht es uns allen.

Protokoll: Christina Pausackl *Name der Redaktion bekannt, auf Wunsch der Gesprächspartnerin abgekürzt

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