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Frankreich: Ein halbes Land in Kurzarbeit

Sophie (Name geändert) ist sich sicher: "Dass die Kurzarbeit etwas bringt, das ist offensichtlich." Sie arbeitet in der Personalabteilung eines der größten Baukonzerne Frankreichs. "Wir haben Mitte März mehr oder weniger alle Baustellen zugemacht", sagt sie. Als eine der wenigen in der Firma hat Sophie momentan trotzdem jede Menge Arbeit, die sie im Homeoffice erledigt: Stapelweise bearbeitet sie die Anträge, mit denen sie den Großteil ihrer Kolleginnen und Kollegen in Kurzarbeit schickt. Um 79% ist die landesweite Produktion in der Baubranche nach offiziellen Statistiken aufgrund des Corona-Lockdowns eingebrochen. Das französische Wort für Kurzarbeit Chômage partiel (partielle Arbeitslosigkeit) kommt der Realität hier näher. Denn Sophies Bauarbeiter arbeiten momentan nicht kurz, sondern gar nicht mehr. Sie behalten aber ihre Arbeitsverträge und einen großen Teil ihres Gehalts; in der Hoffnung darauf, dass es irgendwann weitergeht.

Wie andere EU-Länder setzt auch Frankreich in der Corona-Krise massiv auf Kurzarbeit-Programme, um die Wiederkehr der Massenarbeitslosigkeit, wie sie die Finanzkrise 2009 mit sich brachte, zu verhindern. In Sophies Bauunternehmen scheint der Plan aufzugehen: "Wir reden momentan überhaupt nicht über Kündigungen", sagt sie. Und das, obwohl ihre Firma auch fünf Wochen nach dem großen Lockdown nur bei etwa 20% ihrer regulären Auslastung liegt und der Fahrplan, wie und wann es auf den Baustellen wieder weitergeht, noch völlig unklar sei.

Macron: "Wir haben die Gehälter verstaatlicht"

Sophies Arbeitgeber ist eines von 863.000 Unternehmen, die in Frankreich bereits Anträge auf Kurzarbeit gestellt haben. Stand Montag haben die Behörden diese schon für 10,8 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bewilligt. Das heißt: Mehr als 50% aller im Privatsektor Beschäftigten des Landes schlüpfen unter den gigantischen Rettungsschirm der Regierung. Staatspräsident Emmanuel Macron brachte es in einem Interview kürzlich auf den Punkt: "Wir haben die Zahlung der Gehälter verstaatlicht."

"Sowas hat es in unserem Land noch nie gegeben", pflichtete Arbeitsministerin Muriel Pénicaud ihrem Präsidenten im Fernsehen bei, als sie Ende letzter Woche das Erreichen der symbolischen Zehn-Millionen-Marke verkündete. "Wir haben Millionen Menschen vor Kündigungen bewahrt."

Die Kurzarbeit ist Frankreichs Mittel der Wahl, um das Land wirtschaftlich klug, aber auch sozial verträglich, durch die Krise zu leiten. Die Regierung in Paris ließ sich dabei ausdrücklich von Deutschland inspirieren. Dort, so die allgemeine Lesart, die sich schon zur Amtszeit von Macrons Vorgänger François Hollande durchsetzte, hatte der massive Rückgriff auf Kurzarbeit im Frühjahr 2009 verhindert, dass die Arbeitslosenzahlen so drastisch anstiegen wie anderswo in Europa. Und als die Konjunktur wieder an Schwung gewann, hatten deutsche Unternehmen gleich alle benötigten Fachkräfte wieder zur Verfügung, weil sie sie nie endgültig entlassen hatten.

Der Arbeitsmarkt liegt auf der Intensivstation

Allein: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise waren in Deutschland 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Zwar geht man in Berlin davon aus, dass diese Zahl in der aktuellen Krise übertroffen werden dürfte - die Bundesregierung rechnet derzeit mit knapp über zwei Millionen Kurzarbeitern. In Frankreich ist die Dimension dagegen eine ganz andere: Selbst wenn von den bewilligten zehn Millionen Anträgen unter Umständen nicht alle voll ausgeschöpft werden, dürfte die Zahl der Kurzarbeiter in Frankreich um ein mehrfaches höher liegen als in Deutschland.

Das hat Folgen für die Kosten. Geht die Bundesagentur für Arbeit in Deutschland momentan von Mehrkosten von zehn Milliarden Euro aus, hat das französische Parlament am Donnerstag ein Haushaltsgesetz verabschiedet, in dem 25,8 Milliarden Euro für das Kurzarbeitergeld vorgesehen sind. Dieses Geld ist der Wetteinsatz der Regierung darauf, dass Massenentlassungen nachhaltig ausbleiben.

"Der Arbeitsmarkt liegt gerade auf der Intensivstation", sagt Bruno Ducoudré, Volkswirt am Pariser Konjunkturforschungsinstitut OFCE. Am massiven Kurzarbeitsgebrauch hat er - genau wie fast alle anderen Ökonomen des Landes - dennoch wenig zu kritisieren. Das mit Abstand Wichtigste sei vielmehr, wie gut die Wirtschaft aus der durch den Lockdown bedingten Krise wieder herauskomme. Entscheidend dürfte dabei das Konsumverhalten der Franzosen werden, also die Frage, wie die Haushalte ihr durch die Ausgangssperren angespartes Geld nach dem Lockdown ausgeben. "Explodierende Arbeitslosenzahlen ruinieren das Vertrauen", so Ducoudré. "Wir dürfen die Fehler der letzten Finanzkrise nicht wiederholen."

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