2 abonnements et 2 abonnés
Article

Frische Ideen, made in Hessen

48 Teams stellten im September in Frankfurt ihre jungen Unternehmen vor. Das Ziel: Die Jury zu überzeugen, dass sie den Gründerpreis verdient haben.

In den Frankfurter Design Offices herrscht dicke Luft. 48 Teams junger hessischer Unternehmen füllen Mitte September die Räume des Coworking-Anbieters am Wiesenhüttenplatz, unweit des Frankfurter Hauptbahnhofs. Die Stimmung ist gut, alle hier sind schließlich Halbfinalisten des hessischen Gründerpreises, aber die Luft ist schlecht.


Kein Wunder bei dem Stress - gleich beginnen die Pitches: Jedes Team hat insgesamt zehn Minuten - fünf Minuten für den Vortrag, fünf Minuten für die Fragen der Jury.


Ein Pitch ist ein Kurzvortrag. Mit ihm versuchen junge Unternehmen, mögliche Geldgeber von einem Investment zu überzeugen - oder, wie beim Halbfinale des hessischen Gründerpreises, eine Jury. An diesem Septembermorgen gilt: Wer die Jury für sich und sein Geschäftsmodell einnimmt, darf zum Finale nach Wetzlar fahren. Ein Geldpreis wartet dort nicht, aber mediale Aufmerksamkeit, die für junge Unternehmen oft überlebenswichtig ist.


In vier Kategorien wird der Preis verliehen: Innovative Geschäftsidee, zukunftsfähige Nachfolge, gesellschaftliche Wirkung und Gründung aus der Hochschule. In vier Räumen der Design Offices sitzen die entsprechenden Jurys. Vor der Tür mit dem Schild „Gesellschaftliche Wirkung" steht Miriam Frömel-Scheumann. Mit ihrer Mutter hat sie Dabelino gegründet - einen Verlag, der ökologische Papierprodukte wie Grußkarten oder Geschenkpapier vertreibt. „Ich bin vorfreudig angespannt", sagt sie. Vor den Jurorinnen und Juroren hat sie keine Angst: „Unsere Kinder sind die härtesten Kritiker - wir sind harte Nachfragen gewohnt."


Während Frömel-Scheumann draußen wartet, hat der Pitch von Serghei Glinca bereits begonnen. Mit seinem Startup Crystals First will Glinca die Suche nach neuen Arzneistoffen revolutionieren. Künftig soll die Suche nur noch ein Zehntel der Zeit dauern und deutlich günstiger sein. Ein spannendes Thema, aber Glincas Vortrag ist kompliziert. Er spricht in biochemischen Fachbegriffen. Die Modelle von Proteinen, die er während seines Pitches zeigt, sind nur schwer verständlich.


In der anschließenden Fragerunde hat die Jury dann auch viele Fragen: Wieso ist darauf noch niemand gekommen? Ist das patentrechtlich geschützt? Was genau ist das Geschäftsmodell? Ist der Cash-Flow positiv? Glinca und sein Co-Gründer Stefan Merkl beantworten die Fragen ausführlich - zu ausführlich, findet Jurorin Doris Brelowski von der Wirtschaftsförderung Frankfurt. „Bitte halten Sie sich sehr kurz." Fünf Minuten - die Zeit ist wichtig, es gibt keine Ausnahmen, auch wenn das Thema spannend ist.


Schon vor Beginn der Pitches hatte Brelowski alle Teams gewarnt, die Fünf-Minuten-Grenze nicht zu verletzen. Ein ungemütliches Klima herrscht jedoch nicht. „Wir sind höflich, positiv und freuen uns über alle", sagt Brelowski über sich und ihre Jury-Kollegen. „Aber wir werden genaue Fragen stellen."


Nach seinem Pitch ist Serghei Glinca zufrieden. Der CEO von Crystals First ist genaue Fragen gewohnt. Sein Unternehmen begann als Projekt an der Universität Marburg. Seit März 2018 ist das Startup eine GmbH, hat sieben Mitarbeiter und inzwischen vier Pharmaunternehmen aus den USA als Kunden gewinnen können.


„Es ist wie ein Muskel, den man trainiert", sagt der Biotech-Unternehmer über Pitches. Seit der Gründung von Crystals First hat Glinca mehr als 50 Kurzvorträge gehalten. Natürlich ging auch mal ein Pitch schief: Bei einem anderen Wettbewerb landete das Startup nur auf Platz sechs - die Begründung der Jury laut Glinca: „Ihr seid was für Silicon Valley, nicht für Deutschland. Hier steht man auf Produkte, nicht auf Visionen."


Aber was genau macht Crystals First eigentlich? Das Unternehmen nutzt eine neue Methode zur Stabilisierung von Proteinkristallen. Mit 3D-Modellen prüft es mögliche Arzneistoffe auf ihr Wirkungspotential. „Es ist super simpel", sagt Glinca im Gespräch nach seinem Pitch. „Man könnte sagen, wir testen 200 Legosteine - wie sie sich miteinander verbinden, wo sie andocken." Das Ziel des Startups: in zehn Jahren passgenaue Medikamente für jede Krankheit entwickeln zu können.


Sabine Sauber ist Jurorin in der Kategorie „Gesellschaftliche Verantwortung". Nach rund der Hälfte aller Pitches ist sie beeindruckt: „Tolle Unternehmen mit einer sehr unterschiedlichen Bandbreite." Die Vielfalt der Projekte mache die Auswahl allerdings sehr schwer.


Bei den Kurzvorträgen achte sie besonders auf die Glaubwürdigkeit der Gründerteams, erzählt Sauber, die es als Sprecherin von Design Offices gewohnt ist, vor Menschen vorzutragen. „Mich interessiert immer der persönliche Bezug zur Idee", so Sauber. Sie achte auf ihr Bauchgefühl „und wie stimmig die ganze Geschichte ist". Aber natürlich gehe es auch um betriebswirtschaftliches: „Es muss alles zusammenpassen."


Zwischen den Pitches stehen die Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer in kleinen Grüppchen zusammen. Das Halbfinale ist auch ein Ort zum Netzwerken: Vielleicht hat er oder sie ein Produkt, das zu der eigenen Geschäftsidee passt. Es gibt Kaffee und verschiedene Limonaden. Die Eisheiligen, ein Eishersteller aus dem osthessischen Gersfeld, verteilt Heu-Eis. Andere müssen arbeiten, nehmen letzte Änderungen an ihren Pitches vor, beugen sich über Laptops oder führen Telefonate.


Was auffällt: Die Teilnehmerinnen sind an diesem Morgen in der Unterzahl. Das ist nicht ungewöhnlich: Laut einer Studie der Boston Consulting Group hatten seit 2008 nur vier Prozent aller Jungunternehmen in Deutschland ein rein weibliches Gründerteam. Zehn Prozent der Startups waren gemischt und in 86 Prozent der Jungunternehmen waren die Gründer ausschließlich männlich.


„Und wir sind gleich zwei dieser seltenen Spezies", sagt Dabelino-Gründerin Miriam Frömel-Scheumann über sich und ihre Mutter. Auch deswegen sei das Halbfinale des Gründerpreises wichtig: sich vernetzen, mit anderen Gründerinnen in Kontakt kommen. „Mit Ellenbogen kommt man nicht weiter. Man muss sich gegenseitig unterstützen."


Vielleicht liege der Männerüberschuss daran, dass manche Frauen etwas weniger mutig seien, glaubt Jurorin Sabine Sauber. Sie selbst kämpfe dafür, Frauen zu motivieren. Ihr Tipp: „Wenn du daran glaubst und die Idee gut ist, dann probier's einfach."


Miriam Frömel-Scheumann präsentiert als allerletzte. „Das Schöne daran ist, dass wir als erste Feedback bekommen haben", sagt sie nach ihrem Kurzvortrag. Wie viele ihrer Gründerkolleginnen und -kollegen ist sie zufrieden. „Die Juroren hatten viele Fragen, auch in den Zweiergesprächen nach unserem Pitch." Einen kleinen, ganz persönlichen Sieg hat sie bereits errungen, wie Frömel-Scheumann lachend erzählt: „Wir sind mit unserem Pitch knapp unter dem Limit von fünf Minuten geblieben."


Ob es für den Finaleinzug gereicht hat, werden die Halbfinalisten erst drei Tage später erfahren: Serghei Glinca darf sich freuen - sein Traum vom Finale des Hessischen Gründerpreises erfüllt sich. Für Miriam Frömel-Scheumann ist dagegen nach dem Halbfinale Schluss. „Leider", sagt Frömel-Scheumann, lässt sich aber nicht entmutigen. Kurz nach dem Ausscheiden startet sie eine Crowdfunding-Kampagne für ein neues Produkt - ökologisches Geschenkpapier: „Wir wollen ein klimapositives, nicht nur klimaneutrales Geschenkpapier produzieren."

Rétablir l'original