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Wie Nina Hugendubel den Buchhandel neu erfindet

Nina Hugendubel, Geschäftsführerin des gleichnamigen Buchhändlers, über die Zukunft des gedruckten Buchs, Yoga im Laden und die Frage, warum sie keine Angst vor Amazon hat.


Wer durch eine deutsche Innenstadt läuft, trifft unweigerlich auf ihn: den Buchhändler Hugendubel. Über 150 Filialen betreibt das Familienunternehmen aus München in Deutschland. Die Ur-Ur-Enkelin des Gründers Heinrich Karl Gustav Hugendubel, Nina Hugendubel, erklärt im FR-Interview, warum sie trotz der digitalen Konkurrenz optimistisch auf die Buchbranche blickt.


Frau Hugendubel, wie viele Jahre hat das gedruckte Buch noch, bis es stirbt?
Ich glaube, unzählige. Ich bin wirklich fest überzeugt, dass es das gedruckte Buch immer geben wird. Natürlich zusammen mit den anderen Formen des Buches: digital, als Hörbuch, als Verfilmungen. Wir sehen es heute selbst: Diese Dinge können wunderbar nebeneinander existieren, wie auch das Fernsehen das Radio nicht abgelöst hat.


Aber das Medium Buch – und damit die ganze Branche – steht unter Druck. Viele Menschen schauen Serien bei Netflix, hören Hörbücher bei Audible oder wischen sich durch Instagram. Das sind doch eher schlechte Zeiten für Buchhändler.
Das Interessante ist, dass die Zahlen tatsächlich eher das Gegenteil sagen: Gerade ist fast eine Renaissance des Buches spürbar. Vor einem Jahr hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels ja die Studie „Buchkäufer – quo vadis?“ mit dem Ergebnis veröffentlicht, dass es einen Käuferrückgang gibt. Seitdem erleben wir, dass die Zahl der Käufer zunimmt, dass die Frequenz in den Buchhandlungen steigt. Ich habe den Eindruck, dass, gerade wenn man viel Zeit am Bildschirm verbringt und sehr viel Zeit in den schnelllebigen Medienkonsum steckt, man sich dann freut, sich die Zeit zu nehmen für ein Buch. Dass das Buch als Ausgleich zu dem schnellen und bildschirmgetriebenen Alltag also durchaus eine Renaissance erfährt, sei es digital oder in gedruckter Form.


Der erhobene Zeigefinger („Kauf ein Buch“) hilft beim Werben um Kundschaft nicht. Wie locken Sie die Menschen?
Bücher machen so viel Spaß – und das ist genau das, was wir vermitteln wollen. Wir wollen den Spaß an Inhalten, den Spaß an Büchern, den Spaß am Lesen vermitteln und, dass es nicht etwas Schweres und Angestaubtes ist, sondern spannend und eben auch modern. Mit den neuen Konzepten in einiger unserer Filialen wollen wir Inhalte zum Leben erwecken. Und damit auch ganz neu Kunden und Kundengruppen für das Lesen begeistern.


Bislang setzen Sie das neue Konzept „Buchshop der Zukunft“ in drei Filialen um. Nach einer Renovierung zum Beispiel seit rund einem Jahr im Hugendubel am Münchener Stachus. Dort sind Bücher nicht mehr nach Warengruppe, Genre oder Autoren sortiert, sondern stehen in fünf Themenwelten.
Genau, wir wollten wirklich etwas Neues ausprobieren und nicht nur renovieren – eben auch unter dem Eindruck der Studie des Börsenvereins. Wir haben uns gesagt: Wir müssen Menschen wieder für Bücher begeistern. Deswegen sind wir mit einer Kundenbefragung an die Bedürfnisse der Kunden gegangen: Warum lesen Menschen? Was wollen Leser erreichen, wenn sie ein Buch – egal in welcher Form – in die Hand nehmen? Daraus haben wir fünf Welten gebildet, die die Bedürfnisse abbilden und die wir in den Filialen verteilen: Zum Beispiel die Welt „Abtauchen“. Da stehen Liebesromane, Fantasyromane, Science-Fiction, aber auch Mangas und Comics – Bücher für Menschen, die eine schöne Geschichte lesen und ihrem Alltag entfliehen wollen. Das ist die Basis: dass wir die Warengruppen auflösen und über die Anordnung des Sortiments eher auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Das allein reicht aber nicht, wir wollen ja viel mehr. Wir wollen Spaß vermitteln. Und das machen wir mit ungewöhnlichen Veranstaltungen, sei es mit Yoga vor Ladenöffnung, einer Showküche oder mit einem Escape Room. Wir wollen Treffpunkt werden, auch für die jungen Menschen.


Neben „Abtauchen“ gibt es in der umgestalteten Münchener Filiale die vier weiteren Welten „leben, wohnen, genießen“, „lernen, spielen, machen“, „Fenster zur Welt“ und „Horizonte“. Wie kam das Konzept bei den Kunden an?
Die Reaktionen waren vielfältig: Wir haben uns mit den Kunden auf eine Reise begeben und doch einen sehr großen Schritt gewagt. Nicht alles fanden die Kunden sofort toll.


Zum Beispiel?
Zum Beispiel hatten wir anfangs keine Beschriftung, weil wir dachten: Wir wollen die Bücher so präsentieren, dass sie für sich sprechen und der Kunde weiß, wo er seine Bereiche findet. Durch Kundenbefragungen hatten wir ja auch festgestellt, dass Kunden die Beschriftungen nicht wirklich lesen. Das war aber ein Irrtum, zur Orientierung braucht man sie doch. Die Haupterkenntnis war, dass wir die Welten als emotionale Begriffe hier und da einsetzen, aber nicht zur Orientierung nehmen. Deswegen sind wir dann dazu übergegangen, zumindest in den Unterbeschriftungen wieder die gängigen Begriffe zu nehmen. Die Kunden waren von Anfang an überzeugt von dem Welten-Konzept und vor allem von den Mitarbeitern, unseren Leseberatern, begeistert. Seit wir die Orientierung und auch die Atmosphäre noch einmal verbessert haben, ist das Feedback insgesamt sehr gut.


Sie haben allerdings auch die Zahl der Artikel reduziert. Statt rund 50 000 stehen nur noch rund 35 000 Artikel in dem renovierten Laden. Davon sind etwa 6000 Artikel keine Bücher mehr. Gerade haben Sie von Yoga und Showküche gesprochen – spielen Bücher künftig nur noch eine Nebenrolle?
Nein, überhaupt nicht. Bücher sind die Basis für all diese Veranstaltungen. Es gibt unzählige Yoga-Bücher und wir versuchen, die Inhalte der Bücher, die wir verkaufen, über Veranstaltungen erlebbar zu machen. Es soll eben nicht immer die klassische Lesung, sondern erlebbar, anfassbar sein. Das Buch wird immer das Kernprodukt von Hugendubel sein. Das Gute ist: Wenn jemand ganz genau weiß, was er will, etwa die fünfte Reparaturanleitung für ein bestimmtes technisches Gerät, dann bekommt er das ja auch von heute auf morgen in unserem Online-Shop. Man muss heute nicht mehr alles vor Ort in der Filiale haben, um ein tolles, großes Sortiment zu bieten. Das ist Omnichannel.


Wird das Konzept auf alle Filialen ausgeweitet?
Wir überlegen bei jeder Neueröffnung, welche Bestandteile des neuen Konzeptes wir in die Fläche hineinbringen. Das Sortimentskonzept werden wir nach und nach überall umsetzen und beim Ladenbau müssen wir schauen, was die richtige Mischung ist. Die große Neuerung ist die Sortimentszusammensetzung in Kombination mit Veranstaltungen und der Gastgeberrolle der Mitarbeiter.


Also verändert sich auch die Rolle der Buchverkäufer?
Unsere Mitarbeiter sind die ganz große Klammer für die Veränderungen. Ohne sie würde es nicht funktionieren. Es geht nicht mehr nur darum, den Kunden allein zum richtigen Buch zu bringen, sondern ihn willkommen zu heißen, dass er sich wohlfühlt, gerne da ist und bleibt – also Freude daran hat, bei uns zu sein, auch wenn er kein Buch kauft. Ein Mitarbeiter muss dem Kunden ein Wohlfühlpaket anbieten, so wie wenn er jemanden bei sich zu Hause empfängt. Es reicht nicht mehr, sich super bei Büchern auszukennen – Kunden haben einfach eine andere Erwartung.


Reagieren Sie mit dem neuen Konzept also auch auf veränderte Ansprüche der Leser?
Natürlich schauen wir genau, wie sich Kundenansprüche verändern. Wie agieren sie heute, wie kaufen sie ein? Dann denken wir weiter und sind auch bereit, große Schritte zu gehen. Wir versuchen, die Impulse, die um uns herum sind, aufzunehmen, und dann etwas Eigenes zu entwickeln.


Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?
Die Digitalisierung ist für uns in der Buchbranche inzwischen Alltagsgeschäft. Mit Tolino haben wir glücklicherweise ja auch eine weltweit einzigartige Alternative zu Amazon geschaffen und sind damit in Marktanteilen auf Augenhöhe mit Kindle. Der E-Book-Bereich wächst weiterhin, auch wenn die ganz große Dynamik von vor einigen Jahren nicht mehr da ist. Ich habe eher den Eindruck, dass es ein gutes Nebeneinander gibt. Man kannibalisiert sich nicht mehr gegenseitig. Es hat sich ein Gleichgewicht gefunden und so wird es auch weitergehen. Klar, es kommen neue Modelle: Abo-Modelle, Streaming-Modelle, aber auch da haben wir Angebote und merken, dass die Kunden sich nicht komplett in eine Richtung bewegen, sondern dass durchaus auch das gedruckte Buch wieder Zuspruch erhält.


Neben den klassischen Buchhandlungen haben Sie drei weitere Geschäftsfelder: Das Online-Geschäft, Tolino und das Fachinformationsportal für Geschäftskunden. Verdienen Sie mit gedruckten Büchern noch Geld?
Ja, das gedruckte Buch ist immer noch das, was wir am meisten verkaufen – in allen Bereichen. Das gedruckte Buch ist immer noch im Mittelpunkt.


Hugendubel ist mit mehr als 150 Filialen in vielen deutschen Innenstädten vertreten. Wohin geht die Reise – weniger Filialen, dafür mehr Showrooms?
Wir öffnen eher wieder mehr Filialen. Ich glaube weiterhin, dass man als Buchhandlung ein echter Anziehungspunkt in einer Innenstadt sein kann. Der ganze Einzelhandel in den Städten muss sich überlegen, wie er die Kunden hinter ihren Smartphones hervorlocken kann, damit sie sich auf den Weg in die Innenstadt machen. Das ist immer eine Mischung aus Gastronomie, Einzelhandel und Unterhaltung. Wenn man in die Stadt geht, geht es nicht mehr um Bedarfsdeckung – es muss ein Erlebnis sein. Genau den Anspruch haben wir auch als Buchhandlung an uns. Wir wollen ein Erlebnis bieten.


Was bedeuten Bücher Ihnen persönlich?
Ich kann mir ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen. Ich möchte auch mein Bücherregal zu Hause haben, das hat ja längst nicht mehr jeder. Es ist toll, da meine Schätze zu hüten. Das sind entweder Bücher, die ich noch lesen will, oder Bücher, die ich gelesen habe und die mich berührt haben. Ich mag die Haptik, das Anfassen. Es ist schön, ein Bücherregal zu haben und auf Bücher zu schauen.


Welches Buch liegt gerade neben Ihrem Bett auf dem Nachttisch?
Da muss ich mir gerade ein neues suchen und unsere Buchhändler fragen. Das mache ich immer am liebsten, weil jeder etwas anderes empfiehlt.


Die erste Buchhandlung Hugendubel wurde 1893 in München gegründet. Inzwischen leiten Sie den Konzern mit Ihrem Bruder. Wenn Sie jetzt – 126 Jahre später – neu starten könnten, welches Unternehmen würden Sie gründen?
Ich fühle mich die ganze Zeit halb im Gründungsprozess, weil wir ständig etwas Neues erfinden. Jetzt sind wir gerade an internen Prozessen und überlegen, was man anders machen könnte. Hier ist so viel Power, Veränderung und Wandel, dass ich noch gar nicht darüber nachgedacht habe, was ich machen würde, wenn ich es hier nicht so vorantreiben könnte.


Zur Person
Nina Hugendubel (49) führt den Buchhändler Hugendubel mit rund 1700 Mitarbeitern seit 2003 als Geschäftsführende Gesellschafterin gemeinsam mit ihrem Bruder.

Politik, Philosophie und Wirtschaft studierte sie in Passau und Berlin. Außerdem absolvierte sie eine Buchhandelslehre. Anschließend arbeitete sie beim Medienkonzern Time Warner in New York und der Verlagsgruppe Holtzbrinck in München und Stuttgart. sbh



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