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Noble Fassaden auf rissigem Papier

Die Baupläne der Grandhotels in Wiesbaden überstanden den Krieg. Neun Monate dauerte ihre Restaurierung im Stadtarchiv.

Streit um Emissionen, Motorisierung und Bauprojekte - für Wiesbaden ist das nichts Neues. Schon um 1900 bestimmten diese Themen das Wiesbadener Stadtgespräch. Während es heute allerdings um Fahrradwege und bezahlbaren Wohnraum geht, wurden damals Pferdeställe abgerissen und Grandhotels für den europäischen Geldadel gebaut. Innerhalb kürzester Zeit hatte die Kurstadt die höchste Grandhotel-Dichte weltweit. Zur Jahrhundertwende kamen circa 30 Grandhotels auf rund 100 000 Wiesbadener.


In den historischen Hotels logierten Berühmtheiten wie Fjodor Dostojewski. Dem Glücksspiel verfallen, wurde dem russischen Schriftsteller allerdings bald nur noch Tee serviert - mehr konnte er sich nicht leisten. Doch von solchen Anekdoten können nur noch wenige Gebäude wie der Nassauer Hof oder das Palasthotel erzählen. Andere Grandhotels wie das Hotel Kaiserhof mit seinem luxuriösen Augusta Victoria-Bad wurden im Krieg zerstört oder im Laufe der Jahrzehnte umgebaut. Umso wichtiger sind die Dokumente, auf deren Grundlage die Grandhotels gebaut wurden. Das Wiesbadener Stadtarchiv hat Grundrisse, Außenansichten und andere Zeichnungen der Architekten bewahrt. Sie zeigen zum Beispiel Fassaden im Jugendstil oder Pläne für den Einbau von Toiletten.


Dass der Blick in diese Vergangenheit möglich ist, ist nicht selbstverständlich: Während des Zweiten Weltkriegs blieb Wiesbaden von Bombeneinschlägen zwar weitgehend verschont. Doch im Februar 1945 vernichtete ein Bombentreffer das Wiesbadener Bauarchiv fast vollständig: Fast alle Akten, Baupläne und Zeichnungen gingen in Flammen auf. Nur rund 500 Dokumente überstanden den Krieg - darunter die Pläne der Grandhotels.


Das Wiesbadener Stadtarchiv hat diese Dokumente nun aufwendig restaurieren lassen. Sie waren in keinem guten Zustand: Über Jahrzehnte wurden die großen Zeichnungen der Fassaden und Grundrisse in den städtischen Ämtern in deutlich kleinere Umschläge gesteckt. Wollte man die Zeichnungen anschauen, musste man sie erst auf-, dann wieder zusammenfalten. Das Papier wurde spröde. Risse kitteten die Mitarbeiter der Verwaltung mit Klebestreifen - Gift für das empfindliche Papier.


Brigitte Streich, die Direktorin des Stadtarchivs, beugt sich über die Dokumente. „Ich frage mich immer, wie Verwaltungsleute so mit Zeichnungen umgehen konnten", sagt sie und schüttelt den Kopf. Rund neun Monate dauerte die Restaurierung der alten Blätter. Das Papier musste langsam geplättet werden. Die Klebebänder wurden abgelöst und das Papier angefasert, um es stabiler zu machen. Auch nach der Restaurierung ist den Akten ihr Alter anzusehen. Das Papier ist vergilbt und wirkt brüchig. An den feinen Zeichnungen haben die Klebestreifen ihre Spuren hinterlassen.


Die Restaurierung sei notwendig gewesen, sagt Kulturdezernent Axel Imholz (SPD). Die Dokumente der Grandhotels seien Teil des kollektiven Stadtgedächtnisses. „Wir müssen auf diese Erinnerungen zurückgreifen können." Einer breiten Öffentlichkeit sind die Unterlagen aber bisher nicht zugänglich. Wer die Zeichnungen ansehen will, muss in das Wiesbadener Stadtarchiv gehen. Künftig soll man die Dokumente auch im Internet anschauen können. Aber das sei schwierig, sagt Brigitte Streich. „Dazu ist viel Speicherplatz notwendig." Neben der Restaurierung anderer Dokumente stehen die Archivare also vor einer zweiten Herausforderung - der Digitalisierung.

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