383 000 Single-Eltern gibt es in Bayern, fast alle sind Frauen. Viele leben an der Grenze zum Burn-Out oder zur Armut.
Vom Klingelschild wurde ein Name abgerissen, vor etwa eineinhalb Jahren muss das gewesen sein. Seitdem wohnen in dem Haus in einem kleinen Dorf im Landkreis Freising nur noch Mutter, Kleinkind, Kind. Kein Vater. Nicole Jung, die eigentlich anders heißt, öffnet die Tür. Die 35-Jährige ist alleinerziehend.
Alleinerziehend, das ist ein absurder Begriff. Als würden Kinder getrennter Eltern nur noch von einem Elternteil erzogen, als wäre der andere Elternteil gar nicht mehr verantwortlich. "Ich finde den Begriff schrecklich, obwohl er bei mir leider ziemlich gut zutrifft", sagt Jung. Der Vater ist selbständig, drücke sich bisher erfolgreich davor Unterhalt zu zahlen und zeige sich auch sonst wenig kooperativ. "Ich habe Papa das letzte Mal im Februar besucht", erzählt der Sohn. Bald wird er ihn wiedersehen, er freut sich schon.
Es ist acht Uhr, Schulferien, sonst wären Jung und ihre Kinder schon längst aus dem Haus. "Heute ist alles ein bisschen entspannter als sonst", sagt sie - "gezwungenermaßen." Schule und Kindergarten haben geschlossen. Der Großvater aus München passt deswegen auf die Kinder auf, aber nicht vor 10 Uhr. Darum muss Jung an diesem Tag später und dafür länger zur Arbeit. "Zum Glück ist mein Arbeitgeber so flexibel", sagt sie. "Dieses Glück haben nicht alle Alleinerziehenden."
In Bayern werden rund 16 Prozent der Familien mit Kindern unter 18 Jahren von Alleinerziehenden gemanagt, das geht aus den neuesten Zahlen des Landesamts für Statistik aus dem Jahr 2017 hervor. Insgesamt gibt es in Bayern 383 000 Alleinerziehende - eine Wählergruppe, welche die SPD und Grünen in Bayern für sich entdeckt haben. So hat die SPD im Mai einen Antrag im Landtag gestellt, in dem sie forderte, Alleinerziehende in Bayern bestmöglichst zu unterstützen. Bei den Grünen steht fett gedruckt im Wahlprogramm: "Alleinerziehende - wir lassen euch nicht allein!" Die grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze hat jüngst bereits zum zweiten Mal zu einem Vernetzungstreffen für Alleinerziehende in München eingeladen.
Martina Hübner aus Bad Tölz ist alleinerziehende Mutter einer dreijährigen Tochter und würde sich eine Vernetzung von Alleinerziehenden auch in ländlicheren Gegenden wünschen. "In der ländlichen heilen Welt fühlt man sich als Alleinerziehende oft wie ein Exot. Es wäre toll, wenn sich Alleinerziehende dort austauschen und gegenseitig helfen würden", sagt sie.
Nicole Jung ist eine dieser Alleinerziehenden, die auf dem Land wohnen. Einen Wohnortwechsel möchte sie ihren Kindern nicht zusätzlich zur Trennung zumuten, auch wenn das Leben in der Stadt manchmal einfacher wäre. Ständig wird vom Mangel an Kita-Plätzen in den Städten berichtet. Doch auch auf dem Land ergeben sich für Eltern Probleme, ganz besonders für Alleinerziehende: Zu kurze und unflexible Kindergarten-Öffnungszeiten, fehlende Arbeitsplätze, traditionelle Familienvorstellungen und Rollenbilder, langes Pendeln und Abhängigkeit vom Auto - das sind Themen und Probleme, die Alleinerziehende auf dem Land beschäftigen.
Und ein großer Teil der Alleinerziehenden lebt auf dem Land: 44 Prozent von ihnen wohnen in Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern. Etwas mehr als ein Viertel aller Alleinerziehenden lebt sogar in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern. Gegen die dortigen Probleme ankämpfen müssen meist die Mütter: Im Freistaat sind neun von zehn Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern Frauen. Frauen, die ihre Grenzen ständig überschreiten müssen. "Krank werden fällt einfach aus", sagt Jung. "Vor kurzem habe ich ein Buch über eine Single-Mama gelesen. Der Arzt hat zu ihr gesagt: 'Herzlichen Glückwunsch, sie haben ihren Burn-out gar nicht mitbekommen.' Ich kann mir gut vorstellen, dass das Alleinerziehenden wirklich passiert." Auch Martina Hübner sagt: "Ich habe einfach keine Zeit, krank zu sein". Die Großeltern ihrer Tochter wohnen in Sachsen und können nicht helfen. Hübner ist alleine für die Betreuung verantwortlich.