Zwischen den vielen Becken im Nordsee Aquarium, in sich denen Fische, Krebse und viele andere Meeresbewohner tummeln, müssen Besucher bei einem Becken besonders viel Geduld oder Glück mitbringen. Denn in dem unscheinbaren Tank, ausgestattet mit schroffen Felsbrocken versteckt sich ein ganz besonderer Bewohner in einer Höhle an Grund: Otto, ein Krake.
Es liegt in der Natur des achtarmigen Kopffüßers, sich vor potentiellen Fressfeinden zu verstecken. Und so entgeht manchem Besucher, der an einem vermeintlich leeren Becken vorbeigeht, welch faszinierende Fähigkeiten der Oktopus zeigen kann. Oktopoden besitzen drei Herzen, acht Arme, die autonom voneinander agieren können und in denen das Gehirn des Tieres fortgesetzt ist, die Fähigkeit Form und Farbe ihrer Haut in einem Bruchteil von Sekunden an ihre Umgebung anpassen zu können sowie einen starken Schnabel zum Knacken von Beutetieren aber kein Skelett. Kein anderes Lebenwesen gleicht dem Oktopus, er scheint ein "Alien der Evolution" zu sein.
"Otto wurde wild gefangen und ist nun etwa ein dreiviertel Jahr alt", sagt Olaf Mertes, Tierpfleger im Nordsee Aquarium im Allgemeinen und im Besonderen zuständig für die Pflege und Betreuung des Tieres. Otto, benannt nach dem ostfriesischen Komiker, ist bereits der vierte Oktopus, der im Nordsee Aquarium zuhause ist.
Kraken gehören zu den intelligentesten Tieren überhaupt. Umso erstaunlicher ist es, dass die Tiere nur eine relativ kurze Lebensdauer haben. Otto etwa wird wohl nur um die zwei Jahre alt werden, so Mertes. Bis sein kurzes Leben endet, ist Otto jedoch besonders betreuungsintensiv. Denn das intelligente Tier, das seine Pfleger auch erkennt, braucht Beschäftigung. "Wir denken uns täglich neue Herausforderungen für ihn aus", sagt Mertes. Stundenlang überlegen die Pfleger dann, wie sie den Oktopus aus der geistigen Reserve locken können. "Jedoch dauert es meist dann nur wenige Minuten bis Otto das Rätsel geknackt hat." Ob verschlossene Kisten, Schraubverschlüsse oder andere Hindernisse, hinter denen Mertes lebende Krabben oder Garnelen versteckt.
Da Otto täglich gefüttert wird, müssen Mertes und seine Kollegen auch permanent kreativ sein. "Bei manchen Aufgaben ist Otto zu ungeduldig und will aufgeben. Ich zeige ihm dann wie etwa verschiedene Boxen ineinander verschachtelt sind", sagt Mertes. Otto schaue ihm dann zu und ahme sein Verhalten nach. Mit Erfolg: Bisher hat der Krake noch jede Mahlzeit aus seinen Rätseln gefischt. Eines seiner Leibspeisen sind Austern. Das sei jedes Mal ein richtiger Kampf zwischen Oktopus und Auster, meint Mertes. Denn die Meeresfrüchte würden mit viel Kraft ihre Schalen zusammenhalten. "Otto kann gut und gerne zehn Kilo heben. Die Auster hat deshalb auf lange Sicht keine Chance", sagt Mertes. Otto breche die Schale an und sauge dann die Meeresfrucht aus.
Der Krake nutzt die übrig gebliebenen Austernschalen aber noch anderweitig: Otto sorgt mit dem Auftürmen und Drapieren der Reste vor seiner Höhle für mehr Privatsphäre. Weil Kraken Einzelgänger sind, lebt Otto auch allein in seinem Tank. Das wird sich wohl auch nicht mehr ändern, denn zwar würden sich Kraken zur Paarung treffen. Doch da ein Vermehren und Aufziehen von Oktopoden in Gefangenschaft bisher nicht erfolgreich war, wird wohl auch Otto keine Partnerin bekommen.
In der freien Wildbahn hingegen sieht es für die Kopffüßer gerade im Nordseeraum gut aus. Studien des Centre for Environment, Fisheries and Aquaculture Science (Cefas) in England zeigen, dass die durch den Klimawandel verursachte Erwärmung der Nordsee für viele bisher heimische Fische von Nachteil ist. Nicht aber für Kopffüßer. Die Population der Oktopoden ist in der Nordsee von rund 20 Prozent in den 1980er Jahren auf 60 Prozent im Jahr 2014 gestiegen, wie John Pinnegar von Cefas schreibt. Zudem sei die Überfischung von natürlichen Fressfeinden wie dem Dorsch ein weiterer Faktor, der zur Ausbreitung von Kopffüßern in der Nordsee führt. Während Kälte liebende Arten also verschwinden, rücken Wärme liebende Arten wie Kraken nach. Gut möglich, dass Tintenfische wie Otto in Zukunft keine Seltenheit mehr in Bremerhaven sein werden.
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