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Von Koran bis Kulturwissenschaft: Mythos Islamwissenschaft | BR.de

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Islamwissenschaft wird wohl so sein wie ein Theologiestudium, nur halt mit Islam. Das denken viele, wenn sie vom Studiengang „Islamwissenschaft" hören. Was dieses Studienfach jedoch über Koran und Kulturwissenschaft außerdem zu bieten hat, erfahrt ihr hier.

Von: Stefanie Grolig

Stand: 02.08.2018

Mythos 1: Islamwissenschaft studieren nur MuslimInnen

Falsch! Es gibt auch viele andere junge Menschen, die sich für diesen Studiengang interessieren. Entscheidend für die Wahl dieses Studienfachs ist der Kontakt mit der arabischen, türkischen, persischen, etc. Kultur oder mit MuslimInnen. Viele Studierende haben diesen bereits zuhause in ihrer Familie und wollen dann später auch mehr über ihren Glauben lernen. Auf der anderen Seite gibt es genauso Studierende, die keine MuslimInnen sind und das Studium meist aus einer Faszination für Sprache, Kultur, Kunst, Geschichte und Religion gewählt haben. Viele Familien fahren z.B. in die Türkei oder nach Südspanien, um Urlaub zu machen. Dort kann man islamische Kultur und Kulturerbe hautnah erleben. Nach dem ersten Kontakt mit dieser vielfältigen Kultur entscheiden sich dann manche jungen Menschen für ein Studium der Islamwissenschaft.

Mythos 2: Islamwissenschaft ist wie Theologie zu studieren, nur eben im/über den Islam

Jein. Es gibt in Deutschland 18 Bachelorstudiengänge im Bereich Islamwissenschaft. Zunächst muss man zwischen sprachlich ausgerichteten Studien wie Arabistik, Turkologie und Iranistik und der Islamwissenschaft unterscheiden, welche theologische, historische und kulturwissenschaftliche Kernbereiche beinhaltet. Hier gibt es noch die Unterscheidung in Islamische Theologie, Nahoststudien oder Studiengängen die auch „Islamwissenschaften" genannt werden. Wie so oft hat der Studiengang an jeder Universität einen anderen Namen und teilweise auch andere Inhalte bzw. Themenschwerpunkte. Oft ist das intensive Arabischlernen fester Bestandteil des Grundstudiums, da man den Koran und andere arabische Schriften wie Literatur oder politische und wissenschaftliche Texte sonst nicht im Original lesen kann. Dieses Konzept ähnelt den bekannten Theologiestudiengängen in Deutschland: Bei Katholischer Theologie ist es bis heute auch Brauch, Latein, Altgriechisch und Hebräisch zu pauken. Ihr seht also schon, Islamwissenschaft ist ein breites und abwechslungsreiches Fach.

Mythos 3: IslamwissenschaftlerInnen braucht doch keiner, Stichwort: brotlose Kunst, Orchideenfach

Falsch! Von dem/der SicherheitsberaterIn im Kanzleramt bis zu Seelsorge von MuslimInnen. Es gibt viele Bereiche in der Gesellschaft, wo Menschen mit speziellen Fach- und Sprachkenntnissen gebraucht werden. Dennoch wird die Islamwissenschaft bis heute als eines der Orchideenfächer verstanden. Orchideenfächer sind sehr speziell ausgerichtete Studiengänge, die meist auf kein konkretes Berufsbild hinführen. Anders als beim Ingenieur, Jurist, Lehrer oder Mediziner muss man sich bei den Orchideenfächern selber entscheiden, in welcher Branche man später mit seinem Abschluss arbeiten will und auch genommen wird.

Anstatt mit vierhundert Studierenden in einem großen Vorlesungssaal, sitzt man hier oft nur zu fünft oder zu zehnt im Seminarraum. Wie bei vielen geisteswissenschaftlichen Fächern ist es sehr empfehlenswert während dem Bachelorstudium bereits Praktika zu machen, um dann nach dem Abschluss nicht den Anschluss an die Arbeitswelt zu verpassen.

Zur Bedeutung des Islam: Bevölkerungsanteil der Muslime weltweit

Wir haben Nicolás Heyden von der Universität Göttingen gefragt, wie es ist Islamwissenschaft im Bachelor zu studieren. Nicolás befindet sich gerade im vierten Semester seines 2-Fach-Bachelors Politikwissenschaft und Arabistik/Islamwissenschaft.

Viertes Semester Islamwissenschaft - Was sagst du zum Studium?
Wie kommt man denn überhaupt dazu, Islamwissenschaft zu studieren?

Nicolas: Ich hatte nicht so viele Bezüge zum Nahen Osten, außer das, was man in den Medien hört und es war auch eher ein Zufall, dass ich bei der Islamwissenschaft gelandet bin. Ich wollte irgendwas Interkulturelles machen und hatte so ein bisschen das Klischee im Kopf, das Islamwissenschaft tatsächlich ein Kultur- und Theologiestudium sein könnte. Ich habe dann hier den 2-Fach-Bachelor mit Politikwissenschaft gewählt. So hat man quasi was „handfesteres" und ein sehr spezielles Fach kombiniert. Die beiden Fächer sind für meinen Abschluss dann gleichwertig.

Was gefällt dir besonders an deinem Studium?

Nicolas: Was ich bis jetzt herausgefunden habe ist, in der Islamwissenschaft hat man den schönen Vorteil, dass ein paar gemeinsame Nenner im ganzen muslimischen oder auch im arabischen Raum gelten. Dazu zählen der Islam, aber auch die Hocharabische Sprache, welche sich am Koran orientiert. Der Nahe Osten an sich ist ja auch ein politisch sehr interessantes Gebiet, und so fügte sich dann eins ins andere.

Was ist dein Fazit nach vier Semestern Bachelorstudium?

Nicolas: Am meisten überrascht hat mich die Erkenntnis, dass es den einen Islam gar nicht gibt. Ich finde, da wird gerade medial, aber auch, weil es so ein komplexes Thema ist, sehr viel polemisiert. Vor allem eben in den Vorlesungen zu Geschichte und Theologie wird gezeigt, wie viele Strömungen es innerhalb des Islams gegeben hat und bis heute gibt. Das war eine große Überraschung für mich in dieser Hinsicht. Die wissenschaftlich geprägten Fächer sind mir manchmal schon sehr schwer gefallen. Dazu zählen kulturwissenschaftliche Methoden und Theorien, aber auch eine Quellenanalyse von Manuskripten, die durchaus mal mehrere hundert Jahre alt sein können. Der Arabischunterricht, ist tatsächlich das, was mir am meisten Spaß macht. Für mich war das Erlernen der arabischen Sprache auch eine der Hauptgründe für dieses Fach. Unser Textbuch im Unterricht hat auch schon Zeitungsartikel als Texte dabei. Das ist für mich als Politikwissenschaftler von den Vokabeln her natürlich super, andere Studierende mögen das manchmal weniger.

Welche Vorteile bringt ein interdisziplinär ausgerichtetes Studium?

Nicolas: Tatsächlich hat mir Islamwissenschaft sehr geholfen, wenn es um Seminare ging, die sich explizit mit dem Nahen Osten befasst haben. Das ging so weit, dass ich für eine Hausarbeit in der Politikwissenschaft sogar arabische Quellen analysieren konnte. Da hatte ich aber auch viel Glück, weil mein Dozent sehr am Thema interessiert war und dazu selbst ausnahmsweise auch noch Arabisch spricht und versteht. Nur so konnte er die Arbeit ja überhaupt zur Korrektur annehmen. Aber das Fach an sich hat mir auf jeden Fall geholfen, ja.

In welchem Berufsfeld willst du in Zukunft arbeiten?

Nicolas: Also am liebsten würde ich weiter beide Fächer kombinieren, eher im modernen Kontext. Was ich mir vorstellen könnte, das wäre zum Beispiel erst mal noch einen Master in Großbritannien zu machen. Die Universitäten sind dort in der Kombination von Politikwissenschaft, Nahost und Islam einfach noch viel weiter als hier in Deutschland. Das King's College finde ich zum Beispiel toll. Dort arbeiten sie zu Sicherheitspolitik, Global Terrorism, sowas zum Beispiel. Für ganz später kann ich mir tatsächlich vorstellen beim Auswärtigen Amt zu arbeiten. Davon träumen ja sehr viele. Ich schau mir das jetzt erst mal selbst vor Ort an. Im nächsten Semester mache ich ein Praktikum bei der Deutschen Botschaft im Oman. Während dem Bachelor kann man seine Lieblingsfächer meistens schon etwas vertiefen. Spätestens im Master sind dann viele Spezialisierungen möglich. Hier mal ein paar Beispiele:

Islamisches Recht

Universität Göttingen, Universität Erlangen-Nürnberg

Muslimisches Leben in Deutschland, Islam in Europa

Universität Erlangen-Nürnberg, Universität Kiel

Politik und Gesellschaft im Modernen Islam

Freie Universität Berlin

Geschlechterfragen und islamische Bewegungen in Europa

Freie Universität Berlin

Geschichte und Kultur des Modernen Nahen Ostens

Universität Tübingen

Weiterbildung von Imamen

Universität Münster, Universität Osnabrück, Universität Tübingen

Bildungsforschung (Wissensvermittlung und Selbstrepräsentationen im Islam, Wissensproduktion zu Islam und Muslimen)

Universität Göttingen

Arabische Literatur

Universität Marburg

Islamische Archäologie

Universität Bonn

Geistesgeschichte des modernen Nahen und Mittleren Ostens

Universität Kiel

Iranische Kulturgeschichte und Gegenwartskunde

Universität Hamburg

Die moderne Türkei

Universität Kiel

Türkische Geschichte und Gesellschaft

Univerisät Bonn

Mathias Rohe ist Professor für Islamisches Recht an der Universität Erlangen/Nürnberg. Wir haben ihn gefragt, wie er auf das Fach gestoßen ist.
Wollten Sie schon immer dieses Fach studieren? Was war Ihr Traumjob als Kind?

Prof. Rohe: Tatsächlich hat das bei mir angefangen, als ich acht Jahre alt war. Meine Familie ist mit mir damals in die Ost-Türkei gefahren. Danach habe ich zu Hause an der Volkshochschule Arabisch gelernt und nach dem Abitur dann fünf Monate in Saudi-Arabien als Koch gejobbt.

Wo werden IslamwissenschaftlerInnen heute am meisten gebraucht?

Es gibt einen riesigen Wissensdurst in der Bevölkerung. An manchen Tagen hört mein Telefon gar nicht auf zu klingeln. Da kommen Fragen wie: Was ist Ramadan überhaupt? Welche Glaubenspraktiken gibt es im Islam? Flüchtlingsvereine oder Kirchengemeinden rufen an und fragen, wie sie einen guten Draht zu muslimischen Gruppen und Gemeinden aufbauen können. Ein großes Interesse besteht auch bei Themen ob und wie Islam und Demokratie vereinbar sind, zum Beispiel beim Vergleich der Scharia mit dem Grundgesetz.

Was fasziniert Sie am Studium und Erforschen des Islams als Disziplin der Wissenschaft?

Ich persönlich finde die Vielfalt der Kulturen in Verbindung mit dem Islam sehr spannend. Auch in Bezug auf Judentum und Christentum kann man hier durch diese Auseinandersetzung sehr viel lernen. Mich treiben der Austausch und der gegenseitige Einfluss der Weltreligionen bis heute an. Durch einen meiner Forschungsschwerpunkte habe ich auch muslimisches Leben in Europa viel besser kennengelernt. Gerade in diesem Aspekt will ich mit meiner Forschung dazu beitragen, den Dialog zwischen den Menschen weiter anzuregen.

Was ist für Sie der Beitrag an Gesellschaft dieses Studienfaches?

Definitiv den Dialog zu fördern. Es gibt aktuell viel Unwissen in öffentlichen und teilweise sehr hitzigen Debatten. Meiner Meinung nach müsste man das Wissen über Islam und muslimisches Leben noch zugänglicher machen. In Zukunft könnten hier vielleicht auch Apps helfen oder prominente Stimmen wie der Fußballer Sami Khedira.

Forschungsprojekt „Islam in Bayern" der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Mathias Rohe hat hier zusammen mit seinem Team unterschiedliche Aspekte muslimischen Lebens in Bayern untersucht.

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