ZEIT ONLINE: Herr Fuest, kann man Populisten an ihren wirtschaftspolitischen Forderungen erkennen?
Clemens Fuest: Das kann man. Populisten beginnen in der Regel damit, dass sie die Gesellschaft unterteilen. In eine angeblich korrupte Elite, die etablierte Politik auf der einen Seite und in die scheinbar homogene Bevölkerung auf der anderen Seite. Populisten orientieren sich stark international, lehnen Globalisierung und nationalen Handel ab. Fremde und Immigranten werden für politische Probleme verantwortlich gemacht. Typisch populistisch ist auch, dass man nicht die Kosten und den Nutzen wirtschaftspolitischer Maßnahmen abwägt. Populistische Wirtschaftspolitik ist außerdem sehr kurzfristig orientiert.
ZEIT ONLINE: Lässt sich der typische Wähler populistischer Parteien auch so leicht erkennen?
Fuest: Das ist unterschiedlich. Man muss zwischen Populismus in Lateinamerika und Populismus in den USA und Europa unterscheiden. In Lateinamerika kommen diese Wähler oft aus einer großen, wenig gebildeten und teils wenig demokratieerfahrenen Bevölkerung. In den USA und Europa kommen sie teils aus Bevölkerungsgruppen, die in ihrer Werteorientierung eher nationalistisch und wenig tolerant gegenüber Immigranten sind. Sie erwarten von der Demokratie nicht viel. Oft leben sie auf dem Land, sind wirtschaftlich eher benachteiligt. Unter den Wählern sind aber auch viele, die von den etablierten Parteien schlicht enttäuscht sind.
ZEIT ONLINE: Aber haben die Wähler nicht gemeinsam, dass sie von der wachsenden Ungleichheit betroffen sind?
Fuest: Ich halte es für falsch zu sagen, dass Ungleichheit der entscheidende Faktor für Populismus ist. Nehmen Sie Österreich, da ist die Ungleichheit niedrig, trotzdem gibt es eine starke Unterstützung von Populisten. Oder erinnern sie sich an das Jahr 2005, in den zehn Jahren zuvor ist die Einkommensungleichheit in Deutschland gestiegen, seitdem geht sie wieder zurück. 2005 gab es praktisch keine Unterstützung für Populisten in unserem Land. In Europa ist Einwanderung der entscheidende Faktor. Es kamen die vielen Flüchtlinge und schon war beispielsweise in Deutschland die AfD politisch sehr stark.