Wenn der argentinische Präsident Mauricio Macri in Berlin Angela Merkel und deutsche Konzernchefs trifft, will er um konkrete Zusagen für Investitionen werben. Sein Mann für Auslandsinvestitionen erklärt, warum dafür trotz hoher Inflation und Massenprotesten jetzt der richtige Zeitpunkt ist.
Horacio Reyser (46) ist oberster Berater des argentinischen Präsidenten in Sachen Auslandsinvestitionen. Zuvor war er Partner des auf Lateinamerika spezialisierten Beteiligungsunternehmens Southern Cross Group. Als Junge lebte Reyser, Sohn eines Konteradmirals, zwei Jahre in Hamburg, wo Argentinien Anfang der Achtzigerjahre bei Blohm + Voss Fregatten bauen ließ.
Señor Reyser, Ihre Regierung, seit einem halben Jahr im Amt, hat in flottem Tempo Wirtschaftsreformen vollzogen und Argentiniens Streit mit Gläubigern beigelegt. Viele Ihrer Landsleute spüren bislang aber keinen Aufschwung, sondern die drastisch erhöhten Preise für Strom und Gas. Die Inflationsrate liegt bei mehr als 40 Prozent, die Arbeitslosigkeit steigt. Wie wollen Sie das ändern?
Es war eine wirklich schwere Maßnahme, aber ein großer Teil der Gebühren musste im ersten Halbjahr berichtigt werden. Die Preise waren im internationalen Vergleich vollkommen verzerrt und mussten an ihren tatsächlichen Wert angepasst werden, damit sich Investitionen im Energie- und Transportsektor wieder lohnen.
Wir sind ziemlich zuversichtlich, dass wir im zweiten Halbjahr nun sehen werden, wie die Inflationsrate sinkt. In Argentinien hat man in den vergangenen Jahren Konsumpolitik betrieben, also Geld in Umlauf gebracht, damit die Leute Klimaanlagen und Fernseher kaufen, aber weder genug Produkte noch Dienstleistungen hergestellt, die in unserem und in anderen Ländern nachgefragt werden.
Einer unserer wichtigsten Wirtschaftszweige ist beispielsweise die Landwirtschaft, Argentinien hat hier große Wettbewerbsvorteile: Obwohl wir pro Kopf bereits einer der wichtigsten Lieferanten sind, können wir die Lebensmittelerzeugung noch um 50 Prozent steigern.
Gerade die Einnahmen durch die Ausfuhr von Agrarrohstoffen schwanken allerdings stark: Sie steigen und fallen mit den Weltmarktpreisen. Wie kann Argentinien seine Abhängigkeit von diesen Preisen verringern?
Auch wenn die Preise sinken, steigt doch die Nachfrage nach Lebensmitteln stetig, beispielsweise in China, wo mehr Menschen aus der Unter- in die Mittelschicht aufsteigen.
Wir müssen aber mehr Wertschöpfung in unsere Produkte bringen. Viele argentinische Unternehmen handeln nur mit ihren Erzeugnissen, auch wegen all der Beschränkungen, die sie bis zum vergangenen Jahr erfahren haben. Nun wollen sie ihr Angebot um verschieden stark verarbeitete Produkte erweitern. Das beseitigt zwar nicht die Gefahr volatiler Preise, aber es mildert sie ein wenig.
Außerdem ist die Landwirtschaft nicht Argentiniens einzige Quelle des Wachstums. Es braucht jetzt Investitionen, und zwar nicht nur von der Regierung, sondern auch von argentinischen und weltweit tätigen Unternehmen und Investoren.
Argentinien hat in den vergangenen Jahren ja nicht unbedingt die harmonischsten Erfahrungen mit Finanzinvestoren gemacht. Da sind Ihnen doch sicher die Gelder lieber, die in echte Projekte fließen?
Argentinien erfährt ein großes Interesse: Wir haben Staatsanleihen im Wert von 15 Milliarden Dollar ausgegeben - und die Nachfrage lag sogar bei 70 Milliarden Dollar. Irsa (Eigentümer großer Einkaufszentren und Verwalter von Bürokomplexen, die Redaktion) konnte eine Anleihe platzieren, Banco Supervieille an die Börse gehen.
Bis vor kurzem ging das überhaupt nicht und ich glaube, es zeigt, dass Argentinien nun Möglichkeiten hat, an internationale Finanzmittel zu kommen.
Aber es gibt in den kommenden Jahren auch Raum für mögliche Investitionen in Höhe von mehr als 170 Milliarden Dollar, mehr als 70 Milliarden Dollar allein in den Sektoren Energie und Bergbau.
Welche Art von Projekten meinen Sie?
Im Bergbau ist Argentinien stark, was Gold angeht, Silber, Kupfer und auch Lithium, das für Batterien verwendet wird. Im Norden haben wir, neben Bolivien und Chile, eines der größten Lithium-Vorkommen und koreanische, kanadische und australische Unternehmen investieren dort bereits.
Es gibt Firmen, die beabsichtigen, die Batteriefertigung einzubinden und Elektrofahrzeuge für den Stadtgebrauch herzustellen. Dann die Entwicklung von Öl- und Gasreserven, vor allem der unkonventionellen...
...also Schieferöl und Schiefergas...
...da hat Argentinien den Gaspreis bereits auf ein Niveau angehoben, das Investitionen lohnenswert macht. Dow Chemical beispielsweise plant, etwa 500 Millionen Dollar zu investieren.
Wenn es Argentinien gelingt, seine Gasförderung wieder zu steigern, kann es auch hier die Wertschöpfung erhöhen.
Nun sind Öl und Gas ja eher die Energieformen des vergangenen Jahrhunderts. Hat Argentinien mit seinem starken Wind in Patagonien im Süden und den vielen Sonnenstunden im Norden nicht ganz andere Vorteile?
In der Tat erwarten wir bei den erneuerbaren Energien in den kommenden zehn Jahren zwischen 15 und 20 Milliarden Dollar an Investitionen. Die erste Ausschreibung erfolgte im Mai, es geht jetzt erst einmal um die Netzknoten.
Aber um unsere Leistung in zehn Jahren von 25 Milliarden um zehn Milliarden Megawatt zu steigern, wird es Investitionen in Trassen brauchen, gerade für das geschätzt mehr als 500 Kilometer lange Netz in den Süden.
Damit diese sich lohnen, werden jetzt die Bedingungen geschaffen, und es wird Koalitionen brauchen, ob als Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft oder innerhalb des gesetzgeberischen Rahmens.
Heißt das, Sie planen eine Reform der Unternehmenssteuer?
Wir glauben, das größte Hindernis stellten der fehlende freie Devisenverkehr und verzerrende Steuern wie die Besteuerung der Ausfuhren dar. Die haben wir aufgehoben.
Wir glauben nicht, dass es uns im Vergleich zu anderen Ländern in der Region wesentlich an Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Für 2016 gibt es derzeit also keine Pläne für strukturelle Veränderungen.
In Zukunft wird Argentinien aber seine steuerliche Effizienz im Hinblick auf Investitionen auswerten und wenn es Gründe gibt, diese zu modifizieren, um Investitionen zu erleichtern, wird Argentinien sicher Veränderungen vorschlagen.
Ich glaube, dass man das Steuersystem in Argentinien weiter vereinfachen wird, allerdings langsam und begleitet von einer Reduzierung des Staatsdefizits, das wir in den kommenden vier Jahren von den geerbten acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Null bringen wollen.
2014 fielen die ausländischen Direktinvestitionen in Argentinien um 42 Prozent auf 6,6 Milliarden Dollar, im Vergleich dazu lagen sie in Chile bei 22 Milliarden Dollar, in Brasilien bei 62,5 Milliarden...
...ich betrachte die Investitionen, die Argentinien erhalten hat, sogar als nahe Null. Warum? Weil die ausländischen Unternehmen ihre Überschüsse nicht mehr in ihr Heimatland überweisen konnten und gezwungenermaßen im Land investieren mussten.
So haben in einigen Fällen Industrieunternehmen Immobilien gekauft, um ihre Gelder an einem einigermaßen sicheren Ort zu haben, aber das waren keine echten Investitionen.
Argentinien startet also mit großem Potenzial und sollte auf jeden Fall Summen erreichen, die mehr als 20 oder 25 Milliarden Dollar betragen, das ist unser gerechter Anteil.
Es wird dauern, aber wenn wir unsere Sache gut machen und der Welt beweisen können, dass die Bevölkerung und die Opposition uns in gewissen grundlegenden Beschlüssen zustimmen, wird Argentinien diese Investitionssummen für viele Jahre erreichen und sogar übertreffen können.
Das zu beweisen ist schwer, wenn wie Ende April Hunderttausende gegen Entlassungen und die hohe Inflation protestieren, oder?
Die Regierung hat eine Reihe sozialer Maßnahmen angekündigt, in verschiedenen Provinzen, die eine große Wirkung für den Geldbeutel der Leute bedeuten werden. Die Maßnahmen, die die Rentner entschädigen werden, die den Staat verklagt hatten, weil er ihnen nicht gab, was ihnen zusteht...
... die Anpassung ihrer Bezüge an die Inflation - was den Staatshaushalt, einschließlich geplanter Rentenerhöhungen, mit mehr als sieben Milliarden Euro zusätzlich belasten könnte. Steht das Ihren Plänen, den Haushalt auszugleichen und Vertrauen zu schaffen, nicht entgegen?
Es gibt einige Unvollkommenheiten, aber der Markt erkennt an, dass Argentinien nun wieder auf lange Sicht Zugang zum Kapitalmarkt haben wird. Viele Banken, die hierherkommen, sagen: Wir investieren jetzt. Unsere Zeit ist begrenzt, denn die Angebote, die Argentinien in 18 oder 24 Monaten haben wird, werden sehr viel attraktiver sein.
Zurück zu Ihren Landsleuten: Wie also überzeugen Sie die, geduldig zu bleiben?
Die Mehrheit der Bevölkerung erkennt an, dass wir zuvor Gebühren hatten, die es unserem Land beispielsweise nicht erlaubten, Energiesicherheit zu gewährleisten. Unser Land ging geradewegs auf einen Energiekollaps zu. Der Gesellschaft ist das bewusst.
Zudem erzeugt Argentinien seit fünf Jahren keine Beschäftigung, es ist nicht so, dass das jetzt erst so wäre. Und wir glauben, dass wir mit dieser Politik wieder Arbeitsplätze schaffen werden. Dass die Leute werden anfangen können, weiter in die Zukunft zu planen, als wann sie sich eine Klimaanlage kaufen, zum Beispiel mit Krediten für den Wohnungskauf.
In Zeiten der Inflation gibt es keinen Kredit. Jetzt werden die ersten neuen Kredite angeboten und das wird eine große Wirkung haben.
Viele Menschen fürchten einen Rückfall in neoliberale Zeiten, die Argentinien in den 90er Jahren verfallende Reallöhne, steigende Arbeitslosigkeit und eine sich stark erhöhende Armutsquote brachten. Sind diese Sorgen berechtigt?
Diese Regierung hat keine Ideologie. Sie folgt keiner liberalen oder neoliberalen Ideologie...
...gibt es das denn, eine ideologiefreie Regierung?
Es gibt keine Ideologie, nein. Dies ist eine praktische Regierung. Persönlich glaube ich, dass sich Ideologien auch ein wenig überleben. Heute herrscht viel mehr Zweckmäßigkeit und man klammert sich nicht mehr so an einer Denkweise fest. Die Probleme, die das Land hat, geht die Regierung mit den praktischen Mitteln an, die ihr zur Verfügung stehen, und nicht mit irgendeinem magischen Rezept.
Das Ziel ist, zu erreichen, dass alle Argentinier Arbeit haben. Um nachhaltige Beschäftigung zu schaffen, muss man Güter und Dienstleistungen herstellen, die die Welt und Argentinien nachfragen. Viele andere Möglichkeiten gibt es nicht.
Und dafür muss man Bedingungen schaffen, klare Regeln, die ohne Ideologien auskommen. Sondern klare Regeln, damit die Argentinier sparen und Ausländer sich entscheiden, in einen der wenigen Märkte weltweit zu investieren, der die Möglichkeit großen Wachstums bietet.
Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, die solche Wachstumschancen wie Argentinien bieten, wenn Argentinien die Dinge gut macht.
Im April tauchte im Zuge der Panama-Papiere Präsident Mauricio Macri als ehemaliger Direktor einer Firma auf, die 1998 von der Kanzlei Mossack Fonseca gegründet worden war und die er in seinen Vermögenserklärungen 2007 und 2008 nicht angegeben hatte. Wie sehr hat die Veröffentlichung Ihrer Regierung geschadet?
Ich glaube, das hat in Argentinien keine große Wirkung, da klar gezeigt wurde, dass der Präsident kein Aktionär war oder aus dieser Gesellschaft Gelder bezogen hat.
Vielleicht herrscht in Argentinien auch mehr Sensibilität, was das Thema solcher Strukturen betrifft. In der ganzen Welt werden Finanzkonstrukte genutzt, das ist klar. Die Frage ist, wann diese genutzt werden, um unlautere Dinge zu tun.
Unser Präsident hat sich sofort erklärt und ich glaube, das war sehr zufriedenstellend. Ich kenne jedenfalls keinen Investor und kein Unternehmen, das an unserem Präsidenten zweifelt.
Zuerst erschienen bei bilanz.de
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