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Glaubt den Frauen!

Harvey Weinstein wird nach dem Schuldspruch abgeführt.

Der Schuldspruch für Harvey Weinstein ist ein großartiges Zeichen. Aber solange Männer nicht einsehen, dass es bei sexuellen Übergriffen keine Grauzonen gibt, gibt es in der Debatte noch viel zu tun. Ein Kommentar.

„Nein heißt nein". Diese einfache Regel, und in Deutschland inzwischen auch Gesetz, zu beherzigen, kann nicht zu viel verlangt sein. Harvey Weinstein wollte das nicht verstehen - und wurde am Montag von der Jury in New York der Vergewaltigung und sexueller Nötigung schuldig gesprochen.

Einer der berühmtesten Täter Hollywoods konnte sich nicht von seiner Schuld freikaufen - trotz Spitzenanwält*innen, instrumentalisiertem Rollator, um Mitleid zu erregen, und unerschöpflichem Geldvorrat. Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Ein prominenter Sexualstraftäter spürt nun, dass er trotz Macht und Einfluss nicht über dem Recht steht.

Dass es überhaupt zu einem Prozess kam, haben wir vor allem einer Bewegung zu verdanken: #MeToo. Durch den Hashtag kam Bewegung in die Debatte über sexuelle Übergriffe. Noch bis in die 2010er-Jahre waren sexuelle Übergriffe auf Frauen für den Großteil der Bevölkerung als Problem nicht existent oder gar relevant. Man sah es als selbstverständliche Umgangsform zwischen Mann und Frau an, mal ihren Po zu streifen (so auch die Ansicht vom diesjährigen Berlinale-Präsidenten Jeremy Irons) oder sprachlich anzüglich zu werden. Wer sich beschwerte, wurde ausgelacht, als hysterisch bezeichnet.

Das alles hat #MeToo verändert. Das Thema ist präsent, wird öffentlich diskutiert und als relevant wahrgenommen. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir sein sollten. Viele Diskussionen über Sexualstraftaten klingen, als wäre das alles ein graues, undurchsichtiges Nebelfeld, in dem nie so ganz klar ist, was nun angebracht ist oder nicht. Das liegt unter anderem auch an der verfehlten Debatte um „Nein heißt nein".

Nicht wenige Männer (und sogar einige Frauen) sehen ihre „Flirtkultur" gefährdet. Für sie gehört „Nein" zum Spiel. Männer behaupten, so werde ihr „Jagdinstinkt" geweckt und so könne man auch diejenigen aussortieren, die „zu leicht zu haben" sind. Frauen wollen mit einem anfänglichen „Nein" testen, ob der potenzielle Partner sich überhaupt genug reinhängt. Wer diese „Flirtkultur" verteidigt und leben will, dem sei die Frage gestellt: Woher soll ein Mann denn dann wissen, wann ein „Nein" jetzt auch wirklich „Nein" heißt?

Die Konsequenz dieser öffentlich geführten Debatte ist nämlich: Nein heißt eben doch nicht nein. Unterbewusst bleibt bei potenziellen Tätern hängen, dass es doch alles nur ein Flirtspiel ist, und er nur dranbleiben muss. Eine gefährliche Botschaft. „Nein heißt nein" wird als eindeutiges Prinzip ständig in Frage gestellt. Es ist erschreckend, dass beide Geschlechter es anscheinend als „unsexy" wahrnehmen, wenn eine sexuelle Beziehung einvernehmlich und auf Ehrlichkeit basierend beginnt. Das liegt unter anderem an verschrobenen Geschlechterrollen in patriarchalischen Strukturen, die als Denkmuster in den Köpfen Vieler hängen.

Manche Männer sprechen davon, wie schwer es für sie sei, seit #MeToo. Beängstigende Zeiten seien es für Männer, man könne jeden Moment der Belästigung verdächtigt werden, man wisse ja nicht mehr, was man noch darf. Hier findet eine an der Realität vorbei konstruierte Täter-Opfer-Umkehr statt. Diese geschieht aus Angst vor der Verschiebung der Machtverhältnisse im so lieb gewonnen Patriarchat. Männer, die von solchen „Ängsten" erzählen, wollen in jedem Fall verhindern, dass Frauen und ihre Sichtweisen ernst genommen werden und sie an Einfluss gewinnen. Aber es ist zu hoffen, dass gewisse Männer Angst haben. Nämlich die Angst, dass alle Frauen, die sie sexuell belästigt haben, sie zur Verantwortung ziehen werden.

Den Verunsicherten kann geholfen werden: Wenn die Frau Nein sagt, meint sie auch Nein. Und nicht: „Frag noch viermal, ob ich mit dir nach Hause gehen will". Wenn ein Mann eine Frau sexuell unangemessen anspricht, anfasst, oder sie ihn bereits abgewiesen hat und er sich dennoch nicht zurückzieht, ist das sexuelle Belästigung. Es gibt keine Grauzonen. Das ist der Leitfaden. So schwer ist das nicht.

„Dieser Tag ist ein großer Tag", sagte Bezirksstaatsanwalt Cyrus Vance über die Verurteilung von Weinstein. Das Urteil habe eine Signalwirkung für Opfer sexueller Gewalt, dass die Justiz ihnen glaube. Diese Erkenntnis ist das wichtigste Zeichen in diesem Prozess. Aber: Weinstein wurde von einigen Vorwürfen freigesprochen. Die Aussagen einiger Zeuginnen waren nicht glaubwürdig genug für die Jury.

Weinsteins Verurteilung ist insofern ein wichtiger Schritt für die Bewegung, da das System, in dem die Beweislast beim Opfer liegt, zumindest bei Sexualdelikten hinterfragt werden muss. Denn es kann nicht länger sein, dass „im Zweifel gegen das Opfer" geurteilt wird.

Vor allem wollen Opfer der Polizei, Anwält*innen und Richter*innen nicht erklären müssen, wie die Gesamtsituation war. Ob sie alkoholisiert waren, was sie anhatten, ob er ein guter Freund ist, ob sie eventuell sogar schon Mal Sex mit dem Täter hatten. Sexuelle Übergriffe dürfen nicht nach solchen Faktoren bewertet werden.

Glaubt den Frauen. Sie denken sich das nicht aus. Wir leben in einer Welt, in der reflexhaft auf einen Vergewaltigungsvorwurf mit Zweifel reagiert wird. Und dann schwebt immer der Mythos der Falschbeschuldigung im Raum. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt: Der Anteil der Falschbeschuldigungen an angezeigten Vergewaltigungen variiert zwischen zwei und acht Prozent. Es ist eine Frechheit, dass so häufig erstmal von einem so unwahrscheinlichen Fall ausgegangen wird. Dieser Reflex zeigt den tiefgreifenden Sexismus in unserer Gesellschaft, die hier eindeutig der Sicht und dem Wohl des Mannes den Vorzug gibt.

Den größten Respekt verdienen die Frauen, die nun so mutig waren, Harvey Weinstein vor Gericht zu bringen. Sie nahmen die Qualen eines Prozesses auf sich, indem sie sich als Lügenrinnen diffamieren lassen mussten. Miriam Haley, Jessica Mann, Annabella Sciorra, Dawn Dunning, Tarale Wulff und Lauren Young sind die Frauen, die es auf sich nahmen, gegen Weinstein vor Gericht auszusagen. Sie haben gewonnen. Wir haben gewonnen. Und dennoch braucht es noch viel mehr.

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