„Infinite Bow“ heißt der Track, zu dem die Komponistin und Produzentin Cornelia Breinbauer ein Musikvideo veröffentlichte, als die Single erschien. Das Video zeigt sie an verschiedenen Orten in Portugal, gefilmt von ihrem Mann Peter Pazmandi, mit wehenden Haaren, umspielt von flatternden, weißen Textilien, von neo-psychedelischen Klängen, von Gedanken rund um Mutterliebe.
Ihre künstlerische Arbeit drückt auf vielseitige Weise aus, welche Gedanken eine Mutter umtreibt – im Bezug auf ihre Identität, alle Sorgen und eine Dankbarkeit für neue Visionen. Cornelia Breinbauer hat sich für ihr Bandprojekt vornehmlich mit Frauen umgeben, die sie am Bass, an den Drums, mit Gesang und weiteren Klangelementen, teils wechselnd, unterstützen: Susanne Steinmassl, Linda-Philomène Tsoungui, Rosa Kammermeier und anfangs Mira Mann. Conni beschreibt die weibliche Zusammenarbeit als eine besondere Atmosphäre von Wärme und tiefem Wohlwollen, schließt aber Männer nicht kategorisch aus: Mit dem Produzenten Sam Irl erreichte sie einen Sound, der sich aus analogen Synthesizern, Tape Delays und Midi-Fragmenten zusammensetzt, die teils zu Hause im Schlafzimmer, teils im Studio aufgenommen wurden.
Unabhängig von ihrer musikalischen Expedition war sie im vergangenen Herbst auf einer intensiven Reise im Wohnmobil unterwegs – gemeinsam mit ihren Töchtern begaben sich Peter und sie auf einen mehrmonatigen Roadtrip durch verschiedene südliche Länder mit Surfspots, übten sich in Entschleunigung und der Fähigkeit, sich ohne ständige Vernetzung nur auf die Familie zu konzentrieren.
Ein Gespräch über die Hinwendung zueinander, zu den weiblichen Instinkten und kreativen Impulsen, aber auch über Inspiration und gesellschaftlichen Wandel.
Superpaper: Conni, welche Eindrücke hast du von eurer Reise besonders mitgenommen?
Conni: Es war eine sehr intensive Zeit – ohne Konsum und Stress, dafür mit Ruhe und Verbundenheit mit der Natur. Die Möglichkeit, auf vieles zu verzichten und Gedanken fertig zu denken, ohne Ablenkung, haben wir sehr genossen.
Superpaper: Wir leben in einer Generation, die Konsum aktuell stark in Frage stellt – durch Fridays for Future, durch Publikationen zu Ökologie und Zero Waste. Werden dadurch Musik und Natur als Inspirationsquellen umso wichtiger?
Conni: Ja, mit Sicherheit, allerdings bewegen wir beide uns auch in einer Blase, die besonderen Wert darauf legt. Auf unserer Reise sind wir vielen Menschen begegnet, die auf der Suche nach alternativen Lebensmodellen sind. Doch das ist leider nur eine kleine Schnittmenge, im Vergleich mit dem Rest der Welt. Man kann nur immer weiter sein Bewusstsein schärfen, und die Anliegen rund um Nachhaltigkeit sichtbarer machen.
Superpaper: Welche Impulse hast du thematisch bei dieser EP einfließen lassen?
Conni: Die Entstehungsphase liegt schon eine Weile zurück, in einer Zeit, in der ich mit vielen Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen hatte. Endlichkeit, Zeitlichkeit und Verluste waren Themen, die mich sehr bewegten. Meine Auseinandersetzung mit dem Schwermut, und der Melancholie, die ich in mir trage, musste eine Wandlung vollziehen, hin zu einem konstruktiven, produktiven Output. Ich brauche beim Songwriting den Impuls, dass die Musik mich stärkt und ermutigt. So findet eine Transformation statt, von Wut, Angst und Schmerz, zu Akzeptanz und positiver Energie.
Superpaper: Für dich scheinen, auf vielen Ebenen, besonders die Geburten deiner beiden Töchter mit einer großen Veränderung einher gegangen zu sein. Würdest du bestätigen, dass der künstlerische Werdegang von Frauen, von Müttern, grundsätzlich ein anderer ist, als bei männlichen Künstlern?
Conni: Das bringt das Körperliche mit sich. Der Umstand, dass Babies in einem wachsen, Frauen die Schwangerschaft austragen und körperlich gebunden sind, haben wir den Männern *noch* voraus. (lacht) Das bringt Einschränkungen mit sich, die sich nach wie vor wohl auf jeden Werdegang einer Mutter auswirken. Es bringt aber auch Erfahrungen mit sich, die ich persönlich nicht missen möchte. Dass aus einer Zelle ein Mensch wird, ist zwar das Normalste und Natürlichste der Welt, aber gleichzeitig super seltsam! Die Lösung voneinander, die bei der Geburt stattfindet, hat sich für mich so angefühlt, als würden meine Töchter aus mir etwas mitnehmen, und mich leichter zurücklassen. Als würden sie etwas nach außen tragen, als sie geboren wurden. Dieses Bild hatte ich immer wieder, wenn ich vor dem Spiegel stand und das Kind gespürt habe.
Superpaper: Verändert sich der kreative Output durch Mutterschaft?
Conni: Bei mir hat das Mutterwerden einen Prozess eingeleitet, mich mit mir selbst neu auseinanderzusetzen, mit meiner Kindheit, meinen eigenen Erfahrungen. Diese Eindrücke fließen nicht unbedingt bewusst in meine Arbeit ein, aber haben die Weise verändern, wie ich die Welt wahrnehme.
Superpaper: War es eine aktive Entscheidung, in deiner Band hauptsächlich mit Frauen zu arbeiten?
Conni: Es war eine Idee, an die ich zunächst nicht unbedingt geglaubt habe, weil nach wie vor viel mehr männliche Bands am Start sind. Nach und nach hat sich die Formation so ergeben, wie sie nun ist, und birgt viele neue Möglichkeiten. Ich bin nicht fixiert darauf, Männer auszuschließen. (lacht) Die Art und Weise der Zusammenarbeit, die Nähe, und die gegenseitige Wertschätzung ist unter Frauen sehr besonders.
Superpaper: Welche Auftritte stehen für euch an?
Conni: Im Trio spielen wir beim c/o pop-Festival in Köln – ich mit Rosa Kammermeier und Tom Wu. In Nürnberg spielen wir beim Slow Down Festival in der klassischen Vierer-Konstellation, und abgesehen von einem möglichen Release-Konzert ist zunächst noch nicht so viel in Planung. Konzerte sind für mich mühsam. Live zu spielen ist nochmal ein extra Kapitel, das in der Vorbereitung Zeit kostet. Ich habe den Ansatz, einen künstlerischen Gesamtausdruck aus Kostüm, Licht und Bühne zu inszenieren. Nach heutigem Stand möchte ich an dieser Vision noch intensiv arbeiten. Die Live-Umsetzung kann auch musikalisch ganz anders sein, als die Aufnahmen.
Superpaper: Von welchem Vorbild wurdest du maßgeblich inspiriert?
Conni: Ganz aktuell habe ich Soap & Skin gesehen, deren absoluter Fan ich seit 10 Jahren bin. Ein richtiges Fangirl! Ihre Musik trifft mich sehr, und beeinflusst die Weise, wie ich Instrumente mit vorproduzierten Arrangements am Computer verbinde. Dieser Bearbeitung in der letztendlichen Entstehung noch Raum zu geben, finde ich sehr wichtig. Meine Platte an sich ist sehr elektronisch geworden, aber im Bezug auf weitere Songs bin ich völlig offen. Vielleicht wird die nächste EP eher akustisch/orchestral umgesetzt oder viel rauer, psychedelischer.
Superpaper: Verstehen deine Kinder bereits, dass du keinen „normalen Beruf“, keinen 9-to-5 Job hast? Sind sie musikalisch?
Conni: Meine ältere Tochter hat begonnen, Geige zu spielen. Und ja, sie verstehen es auf gewisse Weise, wobei sie meinen Beruf in der Tätigkeit als Bookerin der Milla sehen. Der Prozess, Musik zum Beruf zu machen, ist etwas, für das sie ein Gespür haben, weil es ein großes Thema in meiner ganzen Familie ist. Meine Ältere hat bei der Veröffentlichung des Videos erstmals gefragt, was es bedeutet „etwas zu posten“. Wir mussten zunächst mal darüber sprechen, was eigentlich das Internet ist.
Superpaper: Das hätte ich gerne gehört, wie du einer Sechsjährigen das Internet erklärst!
Conni: (lacht) Ich habe ihr den Unterschied beschrieben, dass ich mich einerseits mit dir hier am Tisch, im Interview, über meine Meinung unterhalten kann, aber dass ich sie auch mit ganz vielen Menschen teilen kann, die ich nicht kenne – über *dieses Internet*. Eine zweite Realität quasi. Dass sie verstanden hat, dass es eine Welt gibt, die über die ihrige hinaus geht, habe ich daran gemerkt, dass sie mich daraufhin gebeten hat, dass ihr Name nicht unter dem Video stehen soll, in dem sie mitwirkt. Sie möchte nicht, dass Leute ihren Namen wissen, die sie nicht kennt. Insofern verstehen meine Töchter in gewisser Weise bereits die Bedeutung der Medien für meinen Beruf als Musikerin.
Superpaper: Es ist ja auch kurios, dass du und ich noch in einer Zeit groß geworden sind, in der es diese „zweite Realität“ nicht gab; man kannte seinen Wohnort, und vielleicht das Haus der Großeltern. Maximal besaß man einen Globus, auf dem man Kenia, den Südpol und die Philippinen entdecken konnte, aber als Kinder hatten wir ja noch kein Empfinden dafür, dass all diese Orte unsichtbar „interconnected“ sind.
Conni: Absolut! Ich muss mich oft an die Situation erinnern, in der ich gerade fühle, sehe, schmecke, rieche, um mich davon nicht überfordern zu lassen, sondern mich auf meine direkte Umgebung einzulassen, mit allen Sinnen. Mein Facebook-Feed weiß ganz genau, was mich erschüttert, und lässt mich an gefolterten Tieren und hungernden Kindern vorbeiscrollen. Umso wichtiger war der Roadtrip für mich, um einen Abstand zu den Nachrichten zu gewinnen. Eventuell ist es genug, einmal in der Woche eine Zeitung zu lesen, und nicht alle zehn Minuten den Newsfeed zu aktualisieren…
Superpaper: Es ist ein Konflikt, mit dem man sich auch ständig neu auseinandersetzen muss, was man all den Schreckensnachrichten entgegnet. Insofern ist es auch eine Aufgabe der Kreativschaffenden, die Medien mit großartigen Biografien, feministischen Standpunkten und inspirierenden Interviews zu füttern, um die Balance zu halten.
Conni: Das Muttersein bewegt mich dazu, genau darüber häufig nachzudenken. Man trägt plötzlich Verantwortung für die Weltsicht von einem kleinen Wesen, von der man als Elternteil möchte, dass sie schön ist. Es ist mir wichtig, meinen Töchtern voller Überzeugung sagen zu können: „Die Welt ist schön!“ Dazu gehört es, sich aufmerksam mit ihnen zu beschäftigen, sie anzusehen, sich nicht vom Smartphone ablenken zu lassen.
Superpaper: Ist das nicht auch die einzige Möglichkeit, gegen den kollektiven Weltschmerz anzugehen? Besonders als fühlende, sinnliche Musikerin diesen Trieb aufrecht zu erhalten, echte Emotionen zu transportieren, und das „Fühlen können“ als Privileg zu begreifen?
Conni: Diese innerliche Bewusstseinsveränderung von „Alles ist angsteinflößend!“ hin zu „Die Welt ist wunderschön!“, das ist etwas, das ich auch mit meinen Stücken versuche. Zustände auszuhebeln, und ihnen eine neue Bestimmung zu geben. Für mich als schwermütige Persönlichkeit ist es wichtig, all die negativen Gedanken in etwas Positives umzukehren, in eine Leichtigkeit. Mit Tiger Tiger kann ich diesen Gegensatz sehr schön ausleben und unverfälscht ausdrücken. Diese emotionale Veränderung ist die Bedeutung meiner musikalischen Arbeit.
Superpaper: Wenn ich diese künstlerische Leistung, die du beschreibst, im Publikum erlebe, dann denke ich oft: „Warum zur Hölle sollten Künstler diese Bürde auf sich nehmen?! Was bewegt sie nur?!“ Diese Offenbarung, diese Verletzlichkeit – das ist doch irre!
Conni: Mit Peter spreche ich oft darüber, zuletzt beim Soap & Skin-Konzert, wie absurd es ist, seine tiefsten Emotionen so darzustellen. Andererseits *muss* es genau aus diesem Grund Kunst geben! Damit Menschen ihre eigenen innersten Wahrheiten verstehen können.
Superpaper: Gehört dazu auch ein Verständnis, dass es Themen gibt, die Tageszeitungen und Online-Medien nicht abdecken können? Dass auf den Bühnen ein gesellschaftlicher Diskurs stattfindet, der anderswo nicht geführt werden kann?
Conni: Ja, ich bin überzeugt davon, dass Kunst der Gegenpol ist zu allem, was in der Wirtschaft und Politik falsch läuft. Wir brauchen diese künstlerische Diskussion, um eine Balance zu halten.
Superpaper: Haben es Frauen deiner Meinung nach mittlerweile leichter, sich in der Kunst Gehört zu verschaffen?
Conni: Ich finde es sehr erstaunlich, wie es in allen Feldern, ob Wissenschaft, Forschung oder Medien, diese Debatte gibt, und es dennoch viele Frauen immer noch nicht für nötig halten, auf Gleichberechtigung zu pochen. Die aktuelle Zeit ist sehr spannend für mich, weil auf einmal ganz anders über Privilegien und das soziale Miteinander gesprochen wird. Vieles davon fängt in der Erziehung im Kern an.
Superpaper: Hast du das Gefühl, deine Töchter umso mehr beschützen zu müssen, oder haben sie bereits bessere Chancen als du früher?
Conni: Es es für uns als Familie klar, dass wir ganz viel diskutieren müssen. Keine Bemerkung wird übergangen, alles wird thematisiert. Ich möchte nicht, dass meine Töchter jemals Felder oder Bereiche nicht betreten, weil sie sie von vornherein nicht erschließen können.
Superpaper: Gibt es Widersprüche zwischen deinem künstlerischen Schaffen und dem mütterlichen Bildungsauftrag?
Conni: Inspiriert durch deine Empfehlung lese ich gerade in „Mutterschaft“ von Sheila Heti zur Frage, ob sich eine Künstlerin kategorisch gegen Kinder entscheiden sollte, um gute Kunst produzieren zu können. Nebenbei, es ist erstaunlich, dass Väter sich diese Frage der Vereinbarkeit niemals stellen würden. (lacht) Doch speziell bei Frauen, die bereits als Künstlerinnen etabliert sind, hat eine solche Entscheidung zwischen Kind und Kunst meiner Meinung nach gar keine Berechtigung. Ich halte es für essentiell, dass man Kinder nicht als Einschränkung begreift, erst recht nicht in der kreativen Branche.
Superpaper: Das Buch ist, meiner Meinung nach, auch nicht deshalb so gut, weil es konkrete Antworten liefert bei Entscheidungsschwierigkeiten, sondern weil es Zweifel legitimiert, die viele kreative Frauen haben. Die Autorin bietet eine Diskussionsgrundlage und geht offen mit allen rationalen, hormonellen und intellektuellen Prozessen um.
Conni: Eine Referenz zu meiner Platte ist insofern vorhanden, als dass es ebenso widerspiegelt, wie absolut bedeutungsvoll manche Aspekte des Lebens sein können, die aber auch gleichzeitig unheimlich alltäglich und nichtig sind. Diese Kontraste machen das kreative Schaffen als Frau so faszinierend.