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Interview

Su Steinmassl: „Wir befinden uns an der Schwelle zu einer neuen Evolutionsstufe“

Das Gehirn ist ein enorm hungriges Organ. Es benötigt eine beträchtliche Menge Energie, um Trends und Veränderungen zu begegnen. Insbesondere, wenn es darum geht, eigeninitiativ künstlerische, filmische und musikalische Herausforderungen zu bestreiten und nach Lösungen zu suchen, die das Potenzial haben, große soziale Auswirkungen zu erzielen. Der Multimedia-Kreateurin Susanne Steinmassl liegt augenscheinlich beides am Herzen.


Gemeinsam mit Cornelia Breinbauer (Soki Green), Mira Mann (Candelilla) und Drummerin Linda-Philomène Tsoungui ist sie zwar neuerdings, von psychedelischen Synthie umhüllt, auch auf den Bühnen dieser Stadt im Scheinwerferlicht zu sehen, aber gemeinhin eher als souveräne Drahtzieherin im Hintergrund bekannt: Die Regisseurin, Veranstalterin und Visual Artist holt sich regulär andere Protagonisten vor die Linse, ins Programmheft oder eines ihrer zahlreichen Musikvideos. Das Jahr 2017 bescherte ihr ob der Fülle wohlgeratener Projekte verdientermaßen ein Media Art Scholarship.

Sonja: Su, das Jahr deines Medienatelier-Stipendiums ist wie im Flug vergangen. Was war dein persönliches Highlight, das du mitnimmst in deinen weiteren Alltag?


Su: Ich habe mich schon sehr in das Haus verliebt. Der viele Raum, das viele Nichts, das  Licht… jeden Morgen war ich erneut von diesem Ort inspiriert. Das Wohnen an einem ungewöhnlichen Ort war auf jeden Fall ein Highlight. Aber vielmehr die Möglichkeit zu haben, einen Raum zu teilen, zur Verfügung zu stellen und in so unterschiedlicher Art und Weise nutzen zu können. Das Stipendium gab mir außerdem den Freiraum, mich fast ohne Kompromisse auf die eigene künstlerische Arbeit zu konzentrieren. 


Sonja: Du hast dich mit „The Future Is Not Unwritten“ mit künstlicher Intelligenz auseinander gesetzt. Kannst du dir vorstellen, dass Frauen im medialen Umgang mit dieser Thematik facettenreicher und emotionaler agieren können?


Su: Es ist auf jeden Fall unabdingbar, dass sich Frauen an der Debatte beteiligen! Auffällig ist, dass das schwammige Nicht-Wissen und der populistische Umgang mit der Thematik, generell zu einem emotionalen Umgang führt. Der Mensch fühlt sich angegriffen. Ihm wird bewusst, dass sein Status als intelligentestes Wesen durch Künstliche Intelligenz gerade neu verhandelt wird. Wir befinden uns an der Schwelle zu einer neuen Evolutionsstufe. Aufhalten kann man den Prozess nicht, da er von den internationalen Big Playern vorangetrieben wird, aber man kann positiv auf ihn einwirken. Ganz am Anfang – vor vier Jahren – war mein Zugang auch ein emotionaler. Inzwischen fürchte ich mich eher vor Künstlicher Dummheit. THE FUTURE IS NOT UNWRITTEN will die Auseinandersetzung mit der Thematik. Ein differenzierter Diskurs und ein Verhandeln von moralischen und ethischen Aspekten ist unverzichtbar. Interessant ist doch, dass der Mensch nun davor Angst hat, dass er eventuell genauso behandelt werden könnte, wie er – aus seiner Sicht – niedrigere Lebewesen behandelt.

Sonja: Nächste Station: Tokio. Was wird dort passieren?


Su: Das Goethe Institut Tokio hat uns eingeladen THE FUTURE IS NOT UNWRITTEN im Rahmen des DIGITAL CHOC Festivals auszustellen. 

Ich freue mich über die Wertschätzung der Arbeit und vor allem darüber, das Projekt im asiatischen Raum zu präsentieren, da der Zugang zu der Thematik ein ganz anderer, ein viel offenerer ist. Das sind genau die Kooperationen, die ich mir für die Arbeit wünsche, da der Austausch vor Ort und das Wissen das dabei entstehen wird, sehr wertvoll sein wird. 


Sonja: Du gehst häufig spannende Kollaborationen ein, wie seit vielen Jahren mit der Agentur Moby Digg oder jüngst der vielseitigen Künstlerin Phyllis Josephine. Wie suchst du dir deine Leute? Macht dir dein Teamgeist Spaß oder wünscht du dir auch Solo-Projekte?


Su: Meine Idee für THE FUTURE IS NOT UNWRITTEN hat sich von Anfang an sehr groß und komplex angefühlt. Ich habe mich mit dem Projekt auf Neuland begeben, das zunächst sehr viel Research gefordert hat. Das Projekt war aber von Anfang an darauf angelegt, andere kreative und intelligente Köpfe mit ins Boot zu holen. Die Zusammenarbeit mit Moby Digg und Phyllis Josephine war und ist großartig. Für mich ist es immer eine Bereicherung, im Austausch mit spannenden Menschen zu sein, die Experten auf ihrem Gebiet sind. Vor jeder Teamarbeit liegt immer die Konzeptionsphase, in der ich vor allem alleine arbeite und mich abschirme. Danach empfinde ich es immer als sehr angenehm, wieder im Austausch zu sein. Aber manchmal strengt es auch an, Leute für die eigene Vision gewinnen zu müssen. In den Momenten wünsche ich mir dann kleinere überschaubare Projekte.

Sonja: Du bist nicht nur privat, sondern auch beruflich sehr oft in die Projekte deines Partners Florian Kreier involviert. Gibt es einen „Beziehungsratschlag“ für kreative, hyper-fleißige Paare wie euch?


Su: Spannende Frage. Meistens ist es einfach sehr inspirierend und das bringt einen über eher stressige Phasen hinweg. Bei THE FUTURE IS NOT UNWRITTEN haben wir über Monate sehr eng zusammen gearbeitet, das hat uns teilweise auch an Grenzen geführt. Wir brauchen beide viel Raum um machen zu können, was wir machen. Die müssen wir uns immer wieder geben beziehungsweise nehmen. Jemanden im Projekt zu haben, dem man zu 100% vertraut und der sich stets tiefe und ehrliche Gedanken macht und somit das Projekt weiterentwickelt, ist ein enormer Schatz. Es ist glaube ich auch der Wille, die positiven Aspekte davon zu sehen und nicht die negativen.

Sonja: Um die Kammerspiele einzubinden, die dich immer wieder in Projekte einbinden: wie erlebst du aktuell deren Programm? Speziell die Brecht-Inszenierung?


Su: Die Öffnung des Theaters empfinde ich als Bereicherung für die Stadt. Auch die Kritik an der Öffnung ist irgendwie wertvoll. Man spürt, dass sich etwas bewegt, das finde ich immer gut. 


Die beiden Versionen von Brechts TROMMELN IN DER NACHT - einmal als Liebes-, einmal als Revolutionsgeschichte - werden am 4., 15. und 22. Februar an den Kammerspielen abwechselnd gespielt; im selben Monat erwartet das Publikum unter anderem ebenso „The Virgin Suicides“ in einer Inszenierung von Susanne Kennedy als Koproduktion mit der Volksbühne Berlin, sowie „Perfect Romance“ von THE AGENCY“ und Leif Randt, und die preisgekrönte Regisseurin Uisenma Borchu mit „Nachts, als die Sonne für mich schien“. Freilich unentschuldbar ist die nächste Edition von Ritournelle am 10. Februar: heuer steht das Haus dank nonchalanter DJ-Sets von Modeselektor, Fatima Al Qadiri, Benjamin Fröhlich und Jonas Friedlich in Flammen; Live Acts in der Größenordnung des fulminanten Yves Tumor, gefolgt vom ägyptischen Sufi-Sänger Abdullah Miniawy mit Carl Gari und Shaddah Tuum, bestehend aus den nächtlichen Kollaborateuren Nicolas Lefort und Brandon Rosenbluth runden ab. 




Erschienen im Superpaper