Eleni und Eleni sind beide 20 Jahre alt, beide Studentinnen, beide aufgewachsen in Athen. Und doch leben sie in unterschiedlichen Welten. Die eine Eleni studiert ihr Wunschfach, die andere nicht. Die eine hat ihre eigene Wohnung, die andere wohnt noch in ihrem alten Kinderzimmer. Die eine hat ein Konto und kann sich Partys und Reisen leisten, der anderen ist schon ein Kinobesuch zu teuer, weil sie mit ihrem wenigen Bargeld haushalten muss. Die Chancen in Griechenland sind ungleich verteilt - und die Krise hat das noch verschärft.
Solange die zwei Elenis denken können, hatte ihr Land wirtschaftliche Probleme. Vor rund zehn Jahren begann die griechische Staatsschuldenkrise. Zuvor hatte der Staat jahrelang mehr Geld ausgegeben, als er durch Steuern einnahm. Und jahrelang hatte das niemanden gestört, neues Geld konnte man sich ja bei den Banken leihen. Bis die Banken nicht mehr zahlen wollten. Seitdem hat die griechische Regierung Zehntausende Arbeitsplätze gestrichen, Beamte entlassen, Müllmänner, Lehrer. Sie hat Ausgaben eingespart, Löhne gekürzt und Steuern erhöht. Die europäischen Nachbarländer haben zusätzlich Milliarden an Hilfszahlungen in die griechische Wirtschaft gepumpt. Im August endete nun das dritte und letzte europäische Rettungsprogramm. "Ihr habt es geschafft", twitterte Donald Tusk, der Ratspräsident der Europäischen Union. Die Krise in Griechenland ist jetzt offiziell vorbei. Doch in Wahrheit ist nichts geschafft. Und nichts ist vorbei. Das zeigen die Geschichten von Eleni und Eleni.
Da ist Eleni Fili, nennen wir sie Eleni eins. Sie hat lange braune Locken, trägt einen blauen Pulli und Jeans über ihren langen Beinen. Sie wohnt in Korydallos, einem Arbeiterviertel im Hafenbezirk von Athen. Es ist eine der Ecken fernab von der Akropolis, die eher grau sind. In den Medien kommt Korydallos eigentlich nur vor, weil hier Griechenlands größtes Gefängnis steht. In den rund zehn Jahren seit Beginn der Krise nahm die Zahl der Häftlinge zu. Zugleich zahlte der Staat den Wachleuten weniger. Eleni eins wohnt mit ihrer Mutter, ihren Großeltern, Onkel und Tante in einem Haus. Viele junge Griechen sind in den vergangenen Jahren zurück zu ihren Eltern gezogen oder so wie Eleni eins gar nicht erst ausgezogen. Sie kann es sich nicht leisten, allein zu wohnen oder in eine WG zu ziehen. Sie bekommt jeden Monat 150 Euro von ihrer Mutter. Damit muss sie auskommen.
Eleni Katsigiannis ist Eleni zwei. Sie trägt eine Jeansjacke und hat glatte braune Haare. Eleni zwei sitzt auf ihrer Terrasse, vor ihr das Mittelmeer, hinter ihr das Haus aus Stein und Marmor auf einem Hügel in Lagonisi, einem Küstenort südlich von Athen. Hier gibt es herrliche Sandstrände, felsige Buchten und üppige Natur. Eleni zwei studiert eigentlich auf Zypern, wo sie 300 Euro im Monat für ihre eigene Wohnung zahlt. In den Semesterferien ist Eleni zwei aber zu Besuch im Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters. Hier, an der sogenannten Athener Riviera, baute sich die griechische Elite Häuser, die der Architektur amerikanischer Vororte nachempfunden sind. Säulen rahmen Einfahrten, Palmen säumen die Straßen.
Diese Architektur steht für die Generation Pasok, von der viele Griechen sagen, sie sei verantwortlich für die Misere. Pasok ist eine Partei, die 1981 erstmals an die Macht kam. Sie blähte das Beamtenheer auf, bis der öffentliche Sektor einen Großteil der griechischen Wirtschaft ausmachte. Es entstand eine Art sozialistischer Kapitalismus, in dem es für jeden Griechen einen Pool geben sollte. Eine Kultur des Konsums auf Pump, propagiert von jenen, die davon profitierten, also von Politikern, Vermögenden, Bankern. Griechische Banken warben mit Sprüchen wie "Sie haben Lust auf einen Kaffee in New York? Kein Problem, kommen Sie zu uns".
Eleni eins war noch nie in New York. Aber sie erinnert sich noch daran, wie nach dem Beginn der Krise einige Kinder in ihrer Schule in Ohnmacht fielen. Sie bekamen von ihren Eltern, die plötzlich sparen mussten, nicht mehr genug zu essen. Die Mutter von Eleni eins arbeitete vor der Krise in der Firma des Onkels, die Schiffsmotoren reparierte. Dann wurden immer weniger Produkte importiert, weniger Schiffe gebraucht und damit auch weniger Reparaturen. Die Mutter von Eleni eins verlor ihren Job, so wie Tausende andere Griechen. Der Großvater musste jetzt das Geld für seine Frau aufbringen, für seine Tochter und für seine Enkeltochter.
"Ich habe nicht viel verstanden", sagt Eleni eins. Sie habe damals nur zugehört und gedacht: "Okay, die Zeiten werden schlimmer." Ihr Lehrer habe gesagt: "Seid geduldig und verständnisvoll mit euren Eltern." Als Eleni 13 Jahre alt war, erschoss sich ein Rentner auf dem Syntagma-Platz in Athen und hinterließ ein herzzerreißendes Manifest gegen die Sparpolitik. Internationale Medien berichteten von einer starken Zunahme der Suizide in Griechenland. Auf den griechischen Bestsellerlisten tauchte ein Sachbuch des Psychoanalytikers Nikos Sideris auf mit dem Titel Mit dem Kind über die Krise reden.
Ausgerechnet in dieser Zeit, in der das Geld für alle knapper wurde, drängte der Vater von Eleni zwei darauf, ein Konto für sie zu eröffnen. "Ich war noch jung, mir kam das gar nicht notwendig vor", sagt Eleni zwei, "aber mein Vater hat richtig Druck gemacht." Sie gingen gemeinsam zur Bank, unterschrieben ein paar Dokumente, und Eleni hatte ihr eigenes Konto. Eine Sache weniger Minuten. Eleni zwei sagt: "Heute glaube ich, mein Vater hat damals schon geahnt, was kommen könnte."
Knapp zwei Jahre später führte die griechische Regierung Kapitalverkehrskontrollen ein. Es durfte nur noch eine festgelegte Menge Bargeld von Konten abgehoben werden, 60 Euro pro Tag. Das sollte verhindern, dass die Griechen aus Angst all ihr Geld abheben und die Banken zusammenbrechen. Außerdem durften ab sofort keine neuen Konten mehr eröffnet werden, unter anderem um zu vermeiden, dass Bankkunden sich Zweit-, Dritt- und Viertkonten einrichten und so die Beschränkungen umgehen. Eine unsinnige Regelung, findet Alexander Kritikos, der Griechenland-Experte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Das erschwert nur den Handel und fördert die Schattenwirtschaft." Aber so waren jetzt die Regeln in Griechenland.
Eleni zwei erinnert sich noch an die Schlangen vor den Banken zur Einführung der Kapitalverkehrskontrollen. "Die waren zwei Blocks lang", sagt sie. "Und in die Metrostationen, in denen Geldautomaten stehen, ist man gar nicht mehr reingekommen." Die Leute hatten Angst, all ihr Geld zu verlieren. Und die Zeitungen verkündeten Schreckensnachrichten: "Stunde null", "Griechenland im Strudel", "Supermärkte schließen!"
Auch in der Familie von Eleni zwei, der es eigentlich immer sehr gut ging, wurden die Ersparnisse knapper. Der Vater war Beamter, die Mutter und der Stiefvater hatten gute Positionen bei einem Pharmakonzern. Sie bangten um ihre Jobs. Eleni zwei erinnert sich, wie sie damals mit ihren Eltern am Abendbrottisch saß und ihre Mutter sagte, vielleicht müssten sie auswandern. "Nein", schrie Eleni zwei, "ich gehe hier nicht weg. Mir ist egal, wie ihr das anstellt, aber sorgt dafür, dass wir bleiben."
Das Heimatland von Eleni und Eleni ist heute ein Friedhof der geplatzten Träume. Die Arbeits- losigkeit liegt bei rund 20 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind aktuell fünf Prozent aller Erwerbsfähigen arbeitslos, noch vor zehn Jahren waren es auch in Griechenland nur acht Prozent. Am schlimmsten betroffen sind junge Griechen: Von den unter 24-Jährigen sind heute rund 40 Prozent ohne Job und ohne eigenes Einkommen.
Eleni eins wollte gerne Bild- und Tontechnik studieren. Aber dafür hätte sie in eine andere Stadt ziehen müssen oder ins Ausland. Das wäre für sie zu teuer gewesen. Sie durfte wegen der Kapitalverkehrskontrollen ja nicht einmal ein eigenes Konto eröffnen, mit dem sie unabhängig gewesen wäre. Und auch wenn die Regierung die Regeln inzwischen gelockert hat und Kontogründungen wieder möglich sind: Woher soll Eleni eins das Geld nehmen, um es darauf einzuzahlen? Also blieb sie in ihrer Heimatstadt und schrieb sich notgedrungen für Informatik ein.
Die Eltern von Eleni zwei zahlen jährlich 7.800 Euro für eine Universität auf Zypern, damit Eleni dort ihr Wunschfach Pharmazie studieren kann. Nach dem Bachelor würde sie gerne einen Master im Ausland machen, vielleicht in Deutschland oder Großbritannien. Eleni zwei ist eine Musterstudentin mit Bestnoten. Eleni eins quält sich durch jede Klausur.
Die Mutter von Eleni eins hat inzwischen wieder Arbeit gefunden. Sie arbeitet für eine Telefongesellschaft, die Bankkunden anruft, die ihre Gebühren nicht zahlen. Dafür bekommt sie 700 Euro im Monat, weniger als die Hälfte ihres früheren Gehalts. Auch Lehrer, Ärzte und Professoren verdienen heute in Griechenland nicht wesentlich mehr. Und obwohl die Griechen weniger verdienen als noch vor der Krise, müssen sie höhere Steuern zahlen.
Ein Bier in einer Bar in Athen kostet nicht weniger als in Berlin. Ein Liter Milch kostet im Supermarkt zwei Euro und damit sogar mehr als in Deutschland. "Am schlimmsten war für mich, als im letzten Jahr auch noch die Kaffeesteuer erhöht wurde", sagt Eleni eins. Ein Kaffee im Café kostet jetzt 20 Cent mehr. Für Eleni eins ist das eine spürbare Preiserhöhung. Früher ist sie auch gern ins Kino gegangen, sagt sie, doch das muss sie sich heute sparen. Filme guckt sie nur zu Hause oder bei Freunden. Mühsam haushaltet sie mit ihrem Bargeld. Eleni zwei sagt: "Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Konto und Kreditkarte zu leben. Cash ist viel zu umständlich."
Griechenland steht nach zehn Jahren Krise weiterhin schwach da. "Man hat versucht, den Staatshaushalt zu sanieren", sagt der Ökonom Alexander Kritikos, "aber der Preis, der dafür gezahlt wurde, ist sehr hoch." Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Griechenland ist in den letzten zehn Jahren um 27 Prozent abgestürzt. "Das ist eine Zahl, die man kaum fassen kann", sagt Kritikos. Als das BIP in Deutschland 2009 um fünf Prozent einbrach, so stark wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, hatten schon viele Deutsche Angst, sie würden auf der Straße landen.
Auch nach dem Ende des internationalen Hilfsprogramms gibt es für die griechische Bevölkerung wenig Aussichten auf eine Verbesserung ihrer Situation: Es herrschen Armut, Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne. 500.000 junge Griechen sind bereits ausgewandert. Das ist verständlich, denn in Griechenland wären sie wohl arbeitslos geblieben. Aber sie werden fehlen, sollte es mit dem Land irgendwann aufwärtsgehen. Auch Eleni zwei denkt inzwischen über eine Zukunft im Ausland nach. "Wir raten unseren Kindern: Verlasst Griechenland", sagt ihr Vater. "Ich bin glücklich, wenn Eleni einen Job im Ausland findet und ein würdiges Gehalt für das erhält, was sie gelernt hat." Eleni eins fehlt diese Möglichkeit. Sie sagt, sie habe Angst vor der Zukunft.
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