Düsseldorf Vor wenigen Tagen verkündete der amerikanische Outdoorkonzern REI, seinen nagelneuen Firmensitz zu verkaufen - bevor die ersten Mitarbeiter überhaupt eingezogen waren. Die sollen stattdessen flexibel aus anderen Büros oder von zu Hause arbeiten. Eine dramatische Kehrtwende. Noch kurz zuvor wurde das Gebäude gefeiert als Höhepunkt der Arbeitsplatzarchitektur. So radikal geht nicht jede Firma vor. Aber ähnliche Beispiele lassen sich in diesen Zeiten viele finden. Auch deutsche Unternehmen wie Allianz oder Siemens setzen beispielsweise immer stärker auf neue Arbeitsplatzmodelle.
Vor Ausbruch der Pandemie hätten sich wohl kaum so viele Chefs auf das Experiment eingelassen, fast alle Mitarbeiter von ihren jeweiligen Wunschorten aus arbeiten zu lassen. Noch ist darüber nicht das letzte Wort gesprochen. Aber die Vorteile liegen auf der Hand. Viele Angestellte schätzen die Flexibilität und das Vertrauen. Sie haben das Gefühl, an Lebenszeit dazuzugewinnen, das nervige Pendeln fällt weg, wodurch ganz nebenbei auch noch der Schadstoffausstoß in die Luft verringert und der ländliche Raum wiederbelebt wird.
Also radikal Büros abschaffen? So einfach ist die Sache wiederum auch nicht. Arbeitsplätze sind Orte der menschlichen Begegnung und der direkten Kommunikation, stellen Nähe her. Das ist nicht nur ein Grundbedürfnis des Menschen. Austausch ist wichtig fürs Geschäft, bildet den Grundstein von Innovation, Produktivität und Fortschritt.
Wie also geht es weiter? Hinweise lassen sich in drei Büchern finden, die gerade auf den Markt gekommen sind oder durch die Krise an Relevanz gewonnen haben. In ihnen werden Entwürfe gemacht für eine zeitgemäße Arbeitsatmosphäre und eine bessere Unternehmenskultur.
Es zeichnet sich eine zentrale Erkenntnis ab: Unternehmen müssen einen Wertekompass schaffen, einen höheren Sinn oder sogenannten „Purpose" aufbauen. Denn egal, ob Menschen von zu Hause aus oder im Büro arbeiten: Erst wenn sie einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, werden sie sich mit aller Kraft und produktiv einsetzen. Ohne einen Purpose werden sie nur arbeiten, solange sie angeleitet, wenn nicht sogar überwacht werden - und das geht nun mal am einfachsten an einem festen Arbeitsplatz.
Nicht zu viel KonsensDas Buch des Führungskräftetrainer- und Schriftsteller-Ehepaars Anja Förster und Peter Kreuz trägt einen vielsagenden Titel in Anlehnung an ein Zitat, das dem ehemaligen britischen Premier Winston Churchill zugeschrieben wird: „Never let a good crisis go to waste." - „Vergeude keine Krise!" ist eine Aufforderung, den Wandel der Arbeitswelt im selben Maße offen zu begegnen, wie er durch Corona beschleunigt wurde.
In der Krise folgen wir bestimmten Instinkten, rücken zusammen, suchen den Konsens und hören eher auf jemanden, der uns eine klare Richtung vorgibt. In dem vor wenigen Tagen erschienenen Ratgeber-Buch fordern die Autoren das genaue Gegenteil: Der Einzelne soll für sich selbst denken und handeln. Flache Hierarchien in Unternehmen, rebellisches Denken und permanentes Hinterfragen des Status quo werden gelobt. Denn: „Durch den Herdentrieb ausgelöste Entscheidungen", heißt es darin, können Unternehmen in den Abgrund stürzen.
Die These der Autoren: Je größer die Zahl derer, die bei Herausforderungen in die Entscheidungsfindung miteingebunden werden, und je unterschiedlicher deren „Problemlösungsstile", desto leichter gelingt die Bewältigung. Eine von vielen griffigen Formeln lautet: „Wer Dissens vermeidet, verengt damit auch seinen geistigen Horizont. Und das ist in einer Welt, die geprägt ist von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität so ziemlich das Dümmste, was wir tun können."
Gute Chefs zeichnen sich in Coronazeiten nicht dadurch aus, entschlossen unliebsame Maßnahmen durchzusetzen, sondern dadurch, „die Zeit nach der Krise so weit wie möglich gedanklich vorwegzunehmen" und den Menschen eine Zukunftsvision aufzuzeigen. Einen Teil des Buches nimmt der Bereich Selbstführung ein: Krisen kann man nicht ändern, nur die Art und Weise, wie man darauf reagiert, lautet die Quintessenz.
Wie das geht? Unabhängig von der eigenen Position und der Dauer der Betriebszugehörigkeit zukunftsoffen bleiben, kritisch im Umgang mit sich selbst bleiben und offen dafür sein, neue Kompetenzen zu erlernen. Etwa indem man sich ein „Challenge Network" aufbaut, so ein konkreter Tipp aus dem Buch. Also eine Gruppe von Menschen, die einem sagt, was man nicht hören will.
Man merkt dem Buch die Geschwindigkeit an, mit der es verfasst wurde. Das ist jedoch kein Qualitätsmangel. Denn die beiden Autoren wollen keine ausgeklügelte Theorie liefern. Stattdessen kann man das Buch als eine Art Einladung zur Selbstreflexion verstehen. Die 28 Punkte, in die das Buch aufgeteilt ist, eignen sich als eine Art Selbsttest, ob man in der Lage ist, auf Krisen angemessen zu reagieren.
Neue RäumeFlache Hierarchien, schnelle Wege, hohe Produktivität: schöne Ziele, aber wie werden sie konkret in der Arbeitswelt umgesetzt? Eine Anleitung für die Bürogestaltung findet sich im Buch „New Workspace Playbook", das bereits vor zwei Jahren das Konzept der „Shared Spaces" vorstellte. Das Buch lehnt sich am Konzept der „New Work" an, die eine Start-up-Kultur auch in etablierten Unternehmen einführen will. Corona hat dieses Konzept zwar infrage gestellt. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie es sich sozusagen virensicher machen lässt, um weiter Innovation und Selbstständigkeit zu fördern.
Das Buch verfasste ein Autorenteam, Mitglieder der selbst erklärten Innovationsagentur „Dark Horse Innovation". Ihr Buch trägt den Untertitel „Unverzichtbares Praxisbuch für neues Arbeiten in neuen Räumen". Das passt in die aktuelle Zeit: Viele der Ideen laden gerade jetzt dazu ein, sie in der Praxis zu testen. Etwa sich eine „stundenweise flexible Arbeitsumgebung" zu schaffen. Schreibtische werden auf Rollen gesetzt, sodass man sie zusammenschieben kann, wenn Teamwork gefragt ist, und wieder auseinanderfährt und mit flexiblen Trennwänden separiert, wenn Corona es erfordert.
Im „Playbook" werden konkrete Modelle entworfen für eine künftige Arbeitsplatzgestaltung von Unternehmen, deren Belegschaft sich zu einem großen Teil entscheidet, künftig flexibel oder ganz von zu Hause aus zu arbeiten. Die Anzahl der Schreibtische solle reduziert und dafür „Kollaborationsräume" geschaffen werden. Statt dass Mitarbeitern ein fester Arbeitsplatz zugewiesen wird, sollen sie Booklets erhalten mit Gebrauchsanweisungen, wie sich eine flexible Arbeitsumgebung am besten nutzen lässt.
Auch dafür, wie sich Mitarbeitern in einer solchen unsteten Arbeitswelt feststehende Unternehmenswerte vermitteln lassen, stellt das Buch Konzepte bereit: Sie müssen physisch erlebbar gemacht werden, etwa indem man sie als Gemälde an die Wand pinselt. Die Gestaltung soll den Mitarbeitern selbst überlassen werden.
Noch dazu wartet das Buch mit zahlreichen Beispielen auf, wo und von wem diese Shared-Spaces-Konzepte bereits etabliert wurden. In der Ernst-&-Young-Niederlassung in Berlin etwa.
Gegen die Kälte im BüroJan Teunen hat sich mit dem Beginn der Corona-Pandemie und dem daraus resultierenden Wechsel vieler Menschen ins Homeoffice zu einem gefragten Experten entwickelt. Der selbst ernannte „Cultural Capital Producer", dessen Kariere übrigens als Exportkaufmann bei der Weinbrennerei Asbach begann, berät Konzerne wie die Drogeriemarktkette dm bei der Herausbildung einer Unternehmenskultur und bei Änderungsprozessen.
Zusammen mit Christoph Quarch verfasste Teunen das Buch „Wo die Seele singt", das kurze Zeit vor der Verbreitung des Coronavirus erschien. Die Autoren vertreten oft gegenteilige Thesen zu „Shared Spaces". Sie wollen persönlich eingerichtete Arbeitszimmer schaffen, einen Ort der Stabilität und des Wohlfühlens. Arbeitsräume, egal ob in der Firma oder zu Hause, werden in ihren Augen von kalter Effizienz und Funktionalität dominiert. Darauf werde auch der Mensch reduziert, der sich dort aufhält.
Die Konsequenz laut den Autoren: Der Mitarbeiter langweilt sich, wird auf Dauer neurotisch. Es kommt zu Konflikten. Er verliert seine Kreativität und seine Innovationskraft, jene Eigenschaften also, auf die es in Krisen mitunter in besonderem Maße ankommt. Im Lockdown wurde die zentrale Forderung des Buches, „Büros müssen mit Schönheit geflutet werden", zum sehnlichen Wunsch vieler Menschen, die ihren Arbeitsplatz eher unfreiwillig an den Küchentisch, in den Flur oder die Besenkammer verlagern mussten.
Bisher wurde bei der Gestaltung und Einrichtung von Büros nur die Ergonomie berücksichtigt. Der Mensch aber, so Teunen, bestehe nicht nur aus Körper und Geist, sondern besitze auch eine Seele, die genährt werden wolle. Kunst hilft dem Autor zufolge dabei, einen Sinn zu finden oder eine sinnenhafte Aufgabe, die es braucht, um den Geist zu stimulieren, und ist zugleich Nahrung für die Seele. Die wiederum habe die Aufgabe, die Verbindung des Menschen zu etwas Höherem, was auch immer das sein mag, aufrechtzuerhalten.
Neu an dem Buch ist die Lösung, die seine Verfasser anbieten: Kunst. Teunen zufolge muss die auch gar nicht kostspielig sein. Er versteht darunter auch Musik, Gedichte oder einfach Dinge, die für einen selbst einen emotionalen Wert haben.
Teunen beschäftigt sich seit Jahren mit dem Wohlbefinden am Arbeitsplatz und damit, wie man es erreichen kann - und lebt es auch vor. Sein Büro auf Schloss Johannisberg im Rheingau gleiche einer „barocken Wunderkammer", so der Unternehmensberater.
Praktische Tipps zur Arbeitsraumgestaltung darf man sich von dem Buch allerdings nicht versprechen, es ist vielmehr ein ästhetisch-philosophischer Ratgeber. Denn Kunst, wie Teunen sie versteht, ist nicht Dekoobjekt oder Statussymbol, sondern dient der Beantwortung existenzieller Fragen.
Büros müssen mit Schönheit geflutet werden. Jan Teunen (Unternehmensberater)Die drei Bücher zu Unternehmenskultur und Arbeitswelt geben Anstöße, entwickeln Ideen oder gar Utopien. Eines sollte man aber nicht vergessen: Die Realität fordert oft ihren Tribut - wie sich auch beim Outdoorkonzern REI mit Sitz in der Nähe von Seattle zeigt. Das von Corona gebeutelte Unternehmen will seinen Firmensitz nicht aus hehren Idealen verkaufen, sondern weil es dringend Kapital benötigt. Zuvor mussten bereits mehrere Hundert Mitarbeiter gehen.
Als Interessent für das 400.000 Quadratmeter große Bürogebäude hat sich laut der Lokalzeitung „The Seattle Times" Facebook gemeldet. Obwohl das Onlinenetzwerk bereits vermeldete, seine Mitarbeiter in jedem Fall bis Ende 2021 aus dem Homeoffice arbeiten zu lassen. Doch so ganz ohne Präsenz geht es anscheinend auch bei Facebook nicht.
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