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Museen in Deutschland: Hinter verschlossenen Türen

Baden-Baden, Lichtentaler Allee, normalerweise wimmelt es hier vor Spaziergängern, besonders an einem schönen Frühlingstag wie diesem. Es ist so warm, dass man getrost ohne Jacke draußen herumspazieren kann. Doch der Kurpark ist leer. Noch leerer als die meisten anderen Grünanlagen Deutschlands es dieser Tage sein dürften. Die Menschen, die es üblicherweise nach Baden-Baden zieht, sind nicht nur dem Klischee nach tendenziell etwas älter. Und damit in Coronazeiten gesundheitlich stärker gefährdet als andere.

Inmitten der Allee befindet sich der Bau des Museum Frieder Burda, ein modernes, strahlend-weißes Gebäude. Die Sammlung des Privatmuseums umfasst über eintausend Kunstwerke, etwa von Picasso, Richter und Warhol. Doch gerade hängt und steht kein einziges Werk im Museum, die Räume sind vollkommen leer. Symbolträchtiger für die derzeitige Lage nicht nur des deutschen Ausstellungsbetriebs könnte es gar nicht sein. Auch wenn die Leere im Fall des Museum Frieder Burda einem Zufall geschuldet ist, einer zeitlichen Verkettung von Umständen.

"Die Anordnung, dass wir schließen sollen, kam noch vor Eröffnung der nächsten Ausstellung", sagt Museumsdirektor Henning Schaper. Nur die Wände sind schon bunt angestrichen. Es ist das Werk des amerikanischen Malers Carl Ostendarp, den man extra hatte einfliegen lassen. Die Bilder der Brüder heißt die geplante Schau, sie soll die Kunstsammlergeschichte der Verlegerfamilie Burda erzählen: Der Patriarch, Senator Franz Burda, gründete in den Fünfzigerjahren die Zeitschrift Bunte und setzte als Erster den damals neuartigen Vierfarbdruck ein. "Daher die Idee mit den verschiedenfarbigen Wänden", erklärt Schaper. Die drei Söhne des Verlegerpaares Franz und Aenne Burda, die titelgebenden Brüder, wurden ebenso Kunstbegeisterte wie die Eltern.

Gespenstische Leere

Eigentlich hätte an diesem Mittag die Presse durch die neue Ausstellung geführt werden sollen, für den Abend war die Eröffnung mit 700 Gästen geplant. Nun sind gerade mal vier Leute hier, im gespenstisch leeren Haus mit den heruntergelassenen Sonnenblenden. Eine Verwaltungsangestellte ist erschienen, dazu die Pressereferentin, Museumsdirektor Schaper und der Reporter von ZEIT ONLINE, im gebotenen Sicherheitsabstand voneinander, sonst wäre ein derartiges Treffen derzeit weder möglich noch zulässig. Nach dem Tod des Gründers Frieder Burda im vergangenen Sommer erlebt das Museum mit der vorübergehenden Schließung aufgrund der Corona-Krise den zweiten Schlag binnen eines Jahres.

Das Museum in Baden-Baden ist nicht allein, die Pandemie hat den Kulturbetrieb auf der ganzen Welt in eine erzwungene Schockstarre versetzt. Alles dicht, alles abgesagt. Unterschiedslos betroffen sind auch die großen Häuser, in denen jetzt eigentlich bedeutende Ausstellungen laufen sollten. Die Andy-Warhol-Retrospektive zum Beispiel, die am 12. März in der Londoner Tate eröffnet wurde und im Oktober nach Köln ins Museum Ludwig wandern soll, wurde nach sechs Tagen wieder geschlossen. Drei Jahre haben die beiden Museen gemeinsam an der Schau gearbeitet, Leihgeber aus den USA (etwa das San Francisco Museum of Modern Art oder das Whitney Museum in New York), aus der Schweiz und aus Deutschland haben weit über 100 Warhol-Werke beigesteuert. Mindestens bis 1. Juni, so der aktuelle Stand, bleibt die Tate zu. In Deutschland gilt: Vor dem 19. April geht gar nichts, bis dahin gelten die derzeitigen Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen. Ebenfalls: mindestens.

Dasselbe im New Yorker Metropolitan Museum, die Retrospektive Painting After All des mittlerweile hochbetagten Malers Gerhard Richter wurde nach wenigen Tagen wieder geschlossen. So wie das gesamte Museum, das in diesem Jahr eigentlich sein 150-jähriges Bestehen feiern und bei dieser Gelegenheit fleißig Spenden sammeln wollte. In Rom wurde derweil die große Raffael-Ausstellung zum 500. Todestags des Künstlers dichtgemacht, ebenfalls nach wenigen Tagen. Dabei wurden extra dafür 120 Werke aus mehreren Ländern der Welt zusammengetragen.

"Solche Ausstellungen wie Raffael in Rom können Museen höchstens alle paar Jahrzehnte bewerkstelligen", sagt Schaper, der Baden-Badener Direktor. Der Aufwand sei schlicht zu groß. Für sein eigenes Haus ist die nun verschobene Ausstellung nicht weniger bedeutsam als die zu Raffael für die Römer, Museumsgründer Frieder Burda hatte sie noch vor seinem Tod gemeinsam mit seinem Bruder, dem Verleger Hubert Burda, in die Wege geleitet. Wenn sie erst eingerichtet und dann eröffnet sein wird, wird sie wohl die persönlichste Ausstellung sein, die bislang in diesem Museum zu besichtigen war. Nur wann und wie soll das geschehen?

Wechselwirkungen auf der ganzen Welt

Schaper, ein grauhaariger Hüne, steht in seinem Büro und erklärt besonnen, dass es keinen Sinn hätte, wenn er jetzt versuchen würde, sich als "blind aktionistischer Krisenmanager" zu profilieren. Im Gegenteil: Jede vorschnelle Änderung am Ausstellungsprogramm würde "einschneidende Wechselwirkungen nach sich ziehen". Nicht nur für das eigene Haus und den eigenen Ausstellungskalender, sondern für Museen auf der ganzen Welt.

Egal wie sehr ihm die verschobene Ausstellung auch am Herzen liege, sagt Schaper, er könne sie nicht einfach um die nun verloren gehende Zeit verlängern. Denn dann müsste er genauso alle folgenden Ausstellungen verschieben, in seinem Haus sind die schon Jahre im Voraus geplant. Er müsste mit Leihgebern, Versicherungen und Transportfirmen neue Verträge aushandeln. Im Zweifel könnte er anderen Häusern versprochene Leihgaben nicht rechtzeitig zur Verfügung stellen. Schaper würde nicht nur die eigene langjährige Planung über den Haufen werfen, sondern schlimmstenfalls Kollegen und Kolleginnen auf der ganzen Welt in ein Organisationschaos stürzen. Die Ausstellungswelt ist auch dahingehend globalisiert, dass sie über ähnlich komplexe Lieferketten und Logistik verfügt wie die zeitgenössische Produktion von Smartphones oder Flugzeugen: Schicken nicht alle ihre Teile rechtzeitig, in dem Fall Kunstwerke, bricht das ganze System irgendwann zusammen.

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