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Appell an die arbeitenden Großeltern: Oma, Opa, seid vernünftig!

Sie arbeiten noch täglich in der Bäckerei - dabei gehören sie längst nach Hause

Meine Großeltern sollten jetzt eigentlich zu Hause sein.

Mein Opa ist Diabetiker, meine Oma hat's am Herz. Er ist 84, sie 80. Für die beiden ist die Gefahr besonders hoch, dass eine Infizierung mit dem Coronavirus tödlich endet. Sie gehören längst in häusliche Isolation. Experten dürften sich da einig sein. Aber meine Großeltern pfeifen drauf.

Stattdessen tun sie etwas, das sie auch in normalen Zeiten von den meisten ihrer Altersgenossen unterscheidet: Sie gehen arbeiten, im Familienbetrieb, einer Bäckerei, wo jeden Tag mehrere hundert mögliche Virenträger ein- und ausgehen. Mein Opa arbeitet in der Backstube, meine Oma hinter der Theke. Sie ignorieren damit jede Warnung der Virologen. Aber sie kennen es nun mal nicht anders.

Arbeiten, egal was kommt - selbst Corona

Vor zwanzig Jahren haben meine Großeltern ihr Hauptgeschäft an meine Eltern abgegeben und eine der Filialen an meine Tante. Weil die damals aber alleinstehend war und jede Unterstützung brauchen konnte, haben meine Großeltern einfach nie aufgehört zu arbeiten. Sieben Tage die Woche. Vollzeit. Bis heute.

Beide klagen so gut wie nie über körperliche Beschwerden. Sie gehören einer Generation an, der man gerne nachsagt, robuster zu sein als alle nachfolgenden. Dabei macht das Alter auch ihnen zu schaffen: Bei Opa ist es ein Taubheitsgefühl in den Fingern. Brezeln knotet er unter viel größerer Anstrengung als früher. Bei Oma sind es die Knie, das komme vom vielen Arbeiten, sagt sie nicht ohne Stolz. Trotzdem haben die beiden nie gesagt, dass ihnen die Arbeit allmählich schwer falle, oder gar vom Aufhören geredet.

Früher haben meine Eltern und ich, wenn auch mehr zum Spaß, gesagt: Wenn meine Großeltern irgendwann mal nicht mehr arbeiten, werden sie krank. Je älter sie werden und je länger sie weitermachen, desto sicherer bin ich, da ist was dran.

Seit Corona ist aber auch das Gegenteil richtig: Die Arbeit ist gerade keine Überlebensstrategie mehr, sondern könnte das Leben meiner Großeltern sogar gefährden.

Großeltern fühlen sich unverwüstlich

Von klein auf besuche ich meine Großeltern, so oft es geht. Jetzt nicht mehr, denn auch ich bin in diesen Tagen eine potenzielle Gefahr für sie. Stattdessen rufe ich sie täglich an. Wenn ich Opa nach möglichen Covid-19-Symptomen frage, sagt er: "Nur ein unstillbarer Durst"; er meint nach Bier. Frage ich, ob er regelmäßig seine Hände wasche, sagt er, dass er sich hauptsächlich "innerlich desinfiziere", mit Schnaps. In normalen Zeiten liebe ich meinen Opa für solche Sprüche. Gerade finde ich sie ziemlich anstrengend. Über die Unbedarftheit meiner Oma muss ich manchmal noch lachen, wenn sie vom "Corinna"- statt vom Corona-Virus spricht.

Dass eine Pandemie auch ihn betrifft, merkte mein Opa, als alle Veranstaltungen ab 100 Personen verboten wurden. Es traf auch die Jubiläumsfeier der Bäckerinnung, der er noch immer als Obermeister vorsteht. Er war empört. Welche Gefahr die Feier für ihn bedeutet hätte, sah er nicht.

Seine 84 Lebensjahre und die damit verbundenen Erfahrungen geben meinem Opa sogar das Gefühl von Unverwüstlichkeit. Wer die Hongkonggrippe von 1968 überstanden hat, bei der weltweit eine Million Menschen starben, sei immun gegen Corona, sagt er. Obwohl er diese Grippe nie hatte. Das hat er irgendwo aufgeschnappt, wahrscheinlich im Hallenbad. Bevor es geschlossen wurde, hat er sich nicht davon abhalten lassen, nach der Arbeit dort seine Bahnen zu ziehen. "Chlor tötet ab", solche vermeintlichen Weisheiten hat er tausendfach parat.

Früher waren meine Großeltern für mich da, sie haben mich mit dem Auto überall hingefahren, Oma hat mich bekocht, Opa hat mir Schwimmen beigebracht. Jetzt will ich etwas für sie tun, will sie beschützen, aber das ist gar nicht so einfach. Auch meine Tante und meine Eltern scheitern daran. Deutschland hat sich in den vergangenen Wochen über Jugendliche empört, die sich bis zuletzt in großen Gruppe in Parks trafen oder Corona-Partys schmissen. Doch ein leichtsinniger Umgang mit dem Virus ist keine Frage des Alters und der Lebenserfahrung.

Immun - gegen Fakten

Also habe ich es mit einem abschreckenden Beispiel versucht, das ich auf Twitter gelesen hatte. Eine Münchner Ärztin schrieb, dass sie damit ihre 78-jährige Mutter zur Besinnung gebracht habe: "Wenn ihr mit zehn gleichaltrigen Freunden ins Gasthaus geht, dann werden fünf so gut wie sicher infiziert, von diesen fünf wird einer sterben." Meine Großeltern auf der anderen Seite der Leitung verstummten. Am nächsten Tag gingen sie trotzdem wie immer zur Arbeit.

Auch eine andere Entwicklung hätte ihnen zu denken geben müssen: Nur wenige Häuser entfernt von der Bäckerei ist eine Seniorenwohnanlage. Dort sind bereits seit zwei Wochen keine Besucher mehr erlaubt, zum Schutz der Bewohner. Dass die meisten von denen im selben Alter sind wie meine Großeltern, einige sogar jünger, lassen sie nicht an sich heran. Alt sind immer die anderen.

Vergangenen Freitag habe ich es noch mal bei meiner Oma versucht. Normalerweise bin ich der in der Familie, auf den sie am ehesten hört. Ich frage sie, ob sie nicht wenigstens vorübergehend zu Hause bleiben könne, für vier Wochen vielleicht. Aber meine Oma sagt, sie könne sich nicht genug auf das Personal verlassen. Dabei unterschlägt sie, dass sie und mein Opa das jeden Herbst tun, wenn sie für zwei Wochen nach Gran Canaria fliegen. Während ich mit meiner Oma telefoniere, tönt mein Opa aus dem Hintergrund stolz, sie seien die "letzten Kämpfer an der Verpflegungsfront".

Es ist wichtig, dass Bäckereien weiter geöffnet haben dürfen, sie dienen der Grundversorgung der Bevölkerung. Das Problem ist, das bestärkt meine Großeltern zusätzlich. Meinen Opa in seiner Vorstellung, unverwüstlich zu sein, meine Oma in ihrem Gefühl, für alle da sein zu müssen. Ich befürchte, nicht einmal Ausgangssperren könnten die beiden davon abhalten, zur Arbeit zu fahren.

Eine andere Generation

Ich könnte wütend auf meine Großeltern sein, weil sie verkennen, dass alle jetzt verhängten Verbote nur dem Zweck dienen, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, und damit sie, die Alten und besonders Gefährdeten zu schützen. Aber ich kann nicht wütend sein.

Im Gegenteil: Ich kann sogar verstehen, dass sie sich an dem Ort, der für sie gerade am unsichersten ist, am besten aufgehoben fühlen. Denn zu Hause sind sie ja nie geblieben, nicht einmal, wenn sie wirklich krank waren.

Die Generation meiner Großeltern ist mit Arbeit und dem Wiederaufbau Deutschlands groß geworden. Mit 14 Jahren haben meine Großeltern eine Lehre begonnen. Es war nicht ihre Entscheidung, so früh die Schule zu verlassen und erwachsen zu werden. Selbstverwirklichung war schlicht und einfach keine Option. Zu arbeiten erschien meinen Großeltern immer als das Beste, was man tun kann. Dass es nun auf einmal unvernüftig sein soll, passt nicht in ihre Logik. Ich muss ihnen jetzt zeigen, dass sie wichtig für uns sind, für meine Tante, meine Eltern und mich. Auch wenn sie einfach mal ein paar Wochen zu Hause sitzen und nichts tun.

Fühlen

Steffi und Ellen sind lesbische Pastorinnen - und Influencerinnen.

Homosexualität und Kirche. Das passt für viele erstmal nicht zusammen. Steffi und Ellen Radtke wollen das ändern.

Das lesbische Pastorinnen-Ehepaar lebt in Eime, einem kleinen Dorf bei Hildesheim. Steffi ist dort Pastorin. Ellen arbeitet für die Landeskirche Hannover. Manchmal halten sie die Gottesdienste in der Gemeinde zusammen.

Christlich und queer - für die beiden ist das kein Widerspruch. Sie wollen zeigen, dass queeres Leben in der Kirche möglich ist und gleichzeitig hinterfragen, wie die Kirche mit dem Thema umgeht.

Seit Anfang des Jahres laden sie dafür auf ihrem YouTube-Kanal " Anders Amen" Videos aus ihrem Alltag hoch. Darin sprechen sie über Schwangerschaft, den Konfirmationsunterricht oder Bibelzitate zum Thema Homosexualität. Unterstützt werden sie dabei vom Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen.

Im Video oben seht ihr, wie sie mit Hasskommentaren umgehen, was in ihrem Studium über Homosexualität gelehrt wurde, und wie die neue Gemeinde auf das Paar reagiert hat.
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