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Vom Leid mit den Leitstellen

Es ist eine Personalie, die erst beim zweiten Lesen aufmerken lässt. Der Rettungsdienst-Zweckverband Ostthüringen, der für die Kreise Greiz und Altenburger Land sowie für die Stadt Gera die Einsätze von Feuerwehr, Notärzten und Katastrophenschutz koordiniert, leistet sich jetzt einen hauptamtlichen Geschäftsstellenleiter. Stephan Büttner heißt der Mann. Seine Aufgabe - unter anderem: Er soll mitorganisieren, dass der Zweckverband größer wird, die gemeinsame Leitstelle in Gera auch weitere Kommunen betreut. Die Verbandsvorsitzende, die Altenburger Landrätin Michaele Sojka (Die Linke), teilte dazu mit: "Wir wollen den Verband modernisieren, wollen investieren - und wachsen. Dazu sind wir mit weiteren Thüringer Landkreisen im Gespräch".


Das sind lange nicht gehörte Töne bei einem Thema, das sich bislang durch festgefahrene Strukturen auszeichnet. Im Thüringer Rettungswesen herrscht jene administrative Kleinstaaterei, der die rot-rot-grüne Landesregierung mit ihrer Kreis- und Gebietsreform eigentlich beikommen wollte. 13 Rettungsleitstellen wachen derzeit Tag und Nacht über Leib und Leben der Thüringer und ihrer Gäste. Zum Vergleich: Die Thüringer Polizei kommt mit genau einer Leitstelle aus, der Landeseinsatzzentrale in Erfurt.


Im Rettungsdienst machen gerade 17 der Landkreise und kreisfreien Städte im Land gemeinsame Sache. Meist sind es nur zwei Kommunen, die sich die Aufgabe teilen. Sechs Kreise leisten sich ihre eigene Leitstelle, was bisweilen seltsam anmutet. So schieben in Apolda Kollegen Schicht für das Rettungswesen im Weimarer Land. Die Stadt Weimar hingegen, die mitten in diesem Landkreis liegt, lässt Feuerwehr- und Notarzteinsätze von der Leitstelle in Jena steuern. Die Apoldaer Leitstelle ist für gerade 82.000 Einwohner zuständig - das ist die niedrigste Zahl für alle Thüringer Einsatzzentralen. Kaum mehr Menschen betreut die Zentrale in Heiligenstadt: Der Landkreis Eichsfeld schafft es gerade so über 100.000 Einwohner. Nebenan in Nordhausen steuert eine Leitstelle die Einsätze im Rest von Nordthüringen - also im Kreis Nordhausen, im Kyffhäuserkreis und in der 42.000-Einwohner-Stadt Nordhausen.


Die regionale Rettungsleitstelle scheint Landräten am Herzen zu liegen - wer lässt sich seinen Einflussbereich schon gern dezimieren? Und wenn ein Landrat freiwillig verzichten will, muss er sich auf Gegenwind einstellen. Marko Wolfram muss das gerade erfahren. Der SPD-Landrat des Kreises Saalfeld-Rudolstadt ist für die Leitstelle in Saalfeld zuständig, die Wolframs Landkreis und den benachbarten Saale-Orla-Kreis betreut. Aus Kostengründen - in Saalfeld müssten vier Millionen Euro in einen Umbau und eine Modernisierung der Technik gesteckt werden - will Wolfram die eigene Leitstelle dichtmachen und die Aufgabe nach Jena delegieren.


Das schmeckt wiederum Saale-Orla-Landrat Thomas Fügmann von der CDU nicht. Er sähe es lieber, wenn die Leitstelle in Saalfeld erhalten bliebe. "Wir befinden uns dazu in Gesprächen mit dem Landratsamt des Kreises Saalfeld-Rudolstadt. Erst wenn die scheitern, würden wir uns nach Jena oder Gera orientieren", teilte das Landratsamt Saale-Orla MDR THÜRINGEN mit. Verbündete hat Fügmann im Saalfelder CDU-Landtagsabgeordneten Maik Kowalleck und CDU-Kreistagsmitglied Steffen Kania. Sie sind pauschal dagegen, "gerade Einrichtungen im ländlichen Raum zu schließen oder zu verlegen". Kania argumentiert dabei, die Mitarbeiter der Rettungsleitstelle in Saalfeld würden die örtlichen Besonderheiten kennen. Da es bei medizinischen Notfällen um Minuten geht, könne das Leben retten.


In Mittel- und Westthüringen sind Verhandlungen versandet, aus drei Leitstellen eine zu machen. Bisher gibt es die in Eisenach für die kreisfreie Stadt und den Wartburgkreis sowie in Arnstadt für den Ilm-Kreis und in Gotha für diesen Landkreis. Doch die regionalen Regenten scheuen sich, den Schritt übers Wasser zu gehen. Vorher, so teilte es das Landratsamt in Gotha MDR THÜRINGEN mit, solle das Land ein "eindeutiges Signal" senden, dass eine solche Zentralisierung gewünscht wird - und seine Schatulle für notwendige Investitionen öffnen.


Allzuviel Mitspracherecht möchten die Kreise dem Land dabei augenscheinlich nicht einräumen: Nach Angaben des Innenministeriums hat das Landratsamt Gotha einem externen Gutachter den Zugang zu seiner Rettungsleitstelle verwehrt. Der Experte wollte sich den Status quo anschauen. Zur Begründung für die Aussperrung verwies der Kreis darauf, das Land sei dafür nicht zuständig.


Wie die Leitstellenstruktur der Zukunft aussehen soll, darüber streiten die Beteiligten. Die Krankenkassen, die den Betrieb der Rettungsleitstellen maßgeblich mitfinanzieren, streben eine Zentralisierung an. Der Verband der Ersatzkassen Thüringen hält vier Leitstellen für völlig ausreichend. Die Verbands-Pressestelle teilte MDR THÜRINGEN mit, die Kommunen sollten sich fragen, ob ihre Leitstelle bedarfsgerecht und wirtschaftlich betrieben werden kann, anstatt "Prestigedenken voranzustellen". Auch der Feuerwehrverband hat nichts gegen eine Straffung des Netzes einzuwenden, "solange es mehr als eine einzige Leitstelle ist", wie es Verbandspräsident Lars Oschmann formuliert. Das Innenministerium denkt prinzipiell in dieselbe Richtung wie die Krankenkassen, hat aber keinen Hebel gegen die Zersplitterung in der Hand. Die Landkreise wiederum lassen über ihre Verbandsorganisation, den Landkreistag, wissen: Vier Leitstellen, wie sie die Krankenkassen forderten, "werden derzeit den spezifischen Gegebenheiten vor Ort nicht gerecht". Die Diskussion befördern soll ein Gutachten, das das Land bei einem Ingenieurbüro aus Neu-Ulm in Bayern beauftragt hat. Die Firma konzipiert Leitstellen und steuert deren Bau. Im Gutachten soll im Frühjahr vorliegen.


Dabei drängt die Zeit, soll doch auch bei Rettungsdienst und Feuerwehr in Thüringen digitale Funktechnik eingeführt werden, wie sie die Polizei schont seit Jahren nutzt. Die Umrüstung ist aufwendig und teuer. Das Land stellt zwar Fördermittel in Aussicht, knüpft deren Bewilligung aber daran, dass die Empfehlungen des Gutachtens umgesetzt werden. Was dabei herauskommt, lässt bereits der Auftrag erahnen: Das Ingenieurbüro soll sich bei seinem Konzept auf die vier Thüringer Planungsregionen Mitte/Nord/Ost/Südwest konzentrieren.


Die Landrätinnen und Landräte haben derweil andere Prioritäten. Der Thüringische Landkreistag teilte MDR THÜRINGEN dazu schriftlich mit, im Fokus einer stärkeren interkommunalen Zusammenarbeit stünden derzeit der öffentliche Gesundheitsdienst und das Veterinärwesen.


Anmerkung der Redaktion: Der Landrat des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt, Marko Wolfram, hat sich in den Kommentaren zu diesem Artikel zu Wort gemeldet. Er legt Wert auf die Feststellung, dass er die Leitstelle "ganz klar" erhalten möchte. Dafür müssten aber der Kreistag und der Saale-Orla Kreis die Mittel zur Verfügung stellen. Danach sähe es aber bisher nicht aus.


Zuletzt aktualisiert: 04. Februar 2018, 06:00 Uhr
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