Antifa-Mitglieder, NVA-Veteranen, Putin-Fans, besorgte Anwohner – wie ein bunter Haufen von Ehrenamtlichen in einer Köpenicker Notunterkunft Flüchtlinge betreut.
Eine Köpenicker Plattenbausiedlung an einem Donnerstagabend. Etwa 50 Männer und Frauen haben sich an der Glienicker Straße versammelt, einige halten ein Banner mit der Aufschrift „Widerstand gegen die verfehlte Asylpolitik" in die Luft. Keiner von ihnen spricht. „Mahnwache" nennen sie das. Es sind Menschen aller Altersgruppen. Die meisten sind Anwohner, mitunter, heißt es, seien aber auch Mitglieder der NPD dabei. Axel schaut ihnen einen Moment lang von der gegenüberliegenden Straßenseite zu. Dann rümpft er die Nase und wendet sich ab. „Geht uns nichts an", sagt er. „Unsere Musik spielt drinnen."
„Drinnen", das ist in der neu eröffneten Notunterkunft, dem Stein des Anstoßes. Die Turnhalle, ein massiver grauer Neubau, wurde Ende November vom Land Berlin beschlagnahmt und in ein Flüchtlingsheim umgewandelt. Wo früher Schüler und Vereinsmitglieder turnten und Basketball spielten, leben jetzt 400 Flüchtlinge. Die meisten stammen aus Syrien und dem Irak, aus Afghanistan und dem Iran. Offiziell werden sie vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) betreut. Tatsächlich, so scheint es an diesem Abend, sind es aber vor allem ehrenamtliche Helfer, die den Laden am Laufen halten.
Viel ist geschrieben worden über das ehrenamtliche Engagement deutscher Flüchtlingshelfer. Die Lage vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wäre ohne die Initiative „Moabit hilft" wohl vollkommen eskaliert. Selbst die stellvertretende Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Monika Hebbinghaus, bezeichnet die Hilfe der Freiwilligen als „absolut unverzichtbar".
„Die Zeit" veröffentlichte vor kurzem eine Umfrage unter 3.500 Ehrenamtlichen. Demnach erleben 87 Prozent der Befragten ihr Engagement als positiv, 71 Prozent gaben an, sich auch weiter engagieren zu wollen. Titel der Erhebung: „Wir schaffen das, immer noch!" In einem Land, das in hell und dunkel unterteilt wird, in Freunde und Feinde von Flüchtlingen, stellen sich viele Menschen die Helfer als engagiert, vielleicht auch als etwas naiv vor. Doch in Köpenick merkt man, dass dieses Milieu viel heterogener ist, als man erwarten würde.
Das Team in Köpenick besteht aus etwa 30 Leuten, 15 von ihnen kommen täglich. Auch Axel zählt dazu. Der Autoverkäufer lebt in der Gegend und wollte sich schon länger für Flüchtlinge engagieren, sagt er. Als die Turnhalle umfunktioniert wurde, sahen er und seine Familie die Chance. Am ersten Advent brachten sie Spielsachen vorbei, seitdem kommen sie regelmäßig, organisieren Regale und Kleidung. Er sehe sich vor allem als „Netzwerker", sagt der 51-Jährige.Axel ist hochgewachsen und durchtrainiert. An diesem Abend trägt er eine schwarze Jacke und Hose, auf seinem Kopf thront eine rote Militärmütze. Axel ist Hauptmann der Reserve, diente bis Ende der 80er-Jahre als Scharfschütze, Personenschützer und Fallschirmjäger in der DDR-Armee. Er habe „militärische Organisation" in das Heim gebracht, sagt er.
Als einer von vier Administratoren betreut er auch das Facebook-Profil der Gruppe. 180 Mitglieder zählt „Glienicker Straße hilft" derzeit. Darunter sind Helfer, die sich vor Ort engagieren, aber auch Angehörige der Flüchtlinge, die so miterleben können, wie es ihrer geflohenen Familie in Deutschland ergeht. In der Gruppe werden Fotos und Handyvideos aus der Halle geteilt, Anfragen nach Spielsachen und Kinderwagen gepostet und Aufgaben verteilt. Und es wird sich gegenseitig Mut gemacht: Als „Heroes" und „Brandhelfer" bezeichnet Axel die Ehrenamtlichen in seinen Posts, die Flüchtlinge nennt er „Schutzbefohlene". Nicht selten klingen seine Posts martialisch. Etwa, wenn er im Hinblick auf die wöchentlich stattfindenden Mahnwachen davon spricht, dass er für seine Familie notfalls zum Märtyrer wird. Und auch seine politischen Ansichten hält er nicht zurück. Auf seiner Timeline findet sich ein Foto des russischen Präsidenten Putin. Darunter der Satz: „You are the best!"
Axels Frau Karoline hingegen wirkt, als ob sie niemandem etwas zu leide tun könnte. Die dunklen Haare zum Zopf gebunden, das Gesicht etwas blass, die Stimme ruhig und beherrscht. Die 34-jährige gelernte Floristin hilft den ganzen Tag lang in der Halle aus. Sie möchte für ihr ehrenamtliches Engagement demnächst beruflich länger pausieren. „Die Arbeit füllt mich einfach aus", sagt sie. „Mutti" nennt man sie hier. Karoline betreut die Kleiderkammer, kümmert sich um die Familien und Kinder. Auch ihr Sohn und ihre Tochter kommen fast täglich nach der Schule in die Halle, spielen mit den Kindern der Flüchtlinge. Ein bisschen wirkt es, als habe die Familie ihr reguläres Leben aufgegeben. Sie planen sogar, Weihnachten in der Halle zu feiern, erzählt Karoline. Axel suche schon nach einem Weihnachtsbaum. Ob es sie nicht stört, dass sie für ihre Arbeit nicht bezahlt wird? Karoline schüttelt den Kopf. „Die Dankbarkeit der Bewohner macht es wett", sagt sie.
83 Notunterkünfte gibt es nach Auskunft der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales derzeit in Berlin, darunter 48 Turnhallen. Betreiber zu finden, sei schwierig, sagt Senatssprecherin Hebbinghaus: „Die Hallen sind relativ klein, bieten nur Fläche für die Unterbringung der Flüchtlinge und kaum Privatsphäre. Zudem werden sie nicht dauerhaft genutzt." Das mache sie für Betreiber unattraktiv, auch in finanzieller Hinsicht.
In Köpenick hingegen fand sich recht schnell jemand. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) hat die Verantwortung für die Turnhalle übernommen. Frank Zielske, Leiter der Einrichtung, sitzt an diesem Abend in seinem neuen Büro - einer ehemaligen Umkleidekabine. Er hat einiges vor: Er will aus der geräumigen Umkleide eine Küche machen, Kontakte zu den Nachbarn aufbauen, Aufklärungsarbeit leisten. Vor allem aber: den Flüchtlingen eine feste Struktur bieten. Er habe vorher vor allem mit Senioren gearbeitet, erzählt der 56-Jährige, der mit seiner Cordhose und der Trainingsjacke fast ein wenig jugendlich wirkt. Dann aber habe er für sich entschieden, dass die Situation der Flüchtlinge dringlicher sei und sich freiwillig für die Heimleitung gemeldet. „Es hat sich einfach etwas verändert", erklärt er im Hinblick auf die wachsenden Flüchtlingszahlen. „In mir, aber auch in ganz Deutschland." Zum ersten Mal sei er stolz auf seine Landsleute.
Zielske übernimmt vor allem organisatorische Aufgaben, kümmert sich um die ärztliche Versorgung der Bewohner, knüpft erste Kontakte zu Schulen. Gerade versucht er, Waschmaschinenzu organisieren. Andere Aufgaben, wie das Verteilen des Essens und der Kleidung an die Bewohner, gibt er an die Ehrenamtlichen weiter. Sein Team werde demnächst zwar um Sozialarbeiter, Betreuer, Verwaltungs- und Finanzkräfte erweitert, sagt der Heimleiter, aber auch er räumt ein: „Ohne die Ehrenamtlichen geht es nicht."
Damit es in der Halle nicht zu Konflikten zwischen bezahlten und unbezahlten Kräften kommt, hat die ASB-Leitung zwei ehrenamtliche Helfer fest eingestellt: die Brasilianerin Ivanette, die jetzt dafür bezahlt wird, dass sie Essen an die Bewohner ausgibt, und Marcel, der die Arbeit der Freiwilligen koordiniert.
Marcel, 27 Jahre alt, steht während einer Zigarettenpause vor der Halle. Er sagt: „Die Ehrenamtlichen machen hier Überstunden, während die Sozialarbeiter pünktlich nach Hause gehen." Marcel ist kräftig gebaut, die Haare sind kurz geschoren. Er arbeitete lange für eine Sicherheitsfirma. Als Ende November die Flüchtlinge nach Köpenick kamen, war er arbeitslos. Der Job hier - das wird schnell deutlich - ist auch eine Chance für ihn. Er komme aus schwierigen Verhältnissen, erzählt er. Wuchs ohne Vater auf, seine Mutter sei schwer krank.
Sie haben nicht das beste Verhältnis. Sich für Flüchtlinge zu engagieren, sei für ihn auch eine politische Frage, erzählt Marcel. Er sei bei der Antifa aktiv. Vorhin, als zur Mahnwache auch linke Gegendemonstranten eintrafen, schüttelte er zahlreiche Hände. Man kennt sich. Seiner Mutter sei sein Engagement ein Dorn im Auge. „Sie akzeptiert es notgedrungen, weil ich ihr Sohn bin", sagt Marcel. „Verstehen tut sie es nicht. Sie ist klar rechts."
So geht es vielen Helfern. Die meisten kommen aus der unmittelbaren Umgebung der Halle, einer der Hochburgen der NPD, die in Köpenick auch ihre Bundesgeschäftsstelle hat. Bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen erreichte die Partei hier 14,2 Prozent der Erststimmen. Viele Helfer berichten davon, dass sie auf Elternabenden geschnitten, ihre Kinder in der Schule gemobbt werden.
Auch eine 38-jährige Ehrenamtliche, die lieber anonym bleiben will, berichtet davon: Ihr Sohn habe ihr eines Tages von rechtsradikalen Liedern, die er in der Schule gehört hatte, erzählt. „Die Kinder haben das natürlich von den Eltern", sagt die Frau, die sich als „Helferin", aber auch als „besorgte Anwohnerin" bezeichnet.
Sie sehe die Umwandlung der Turnhalle durchaus kritisch, erzählt die Frau, insbesondere für die Sportvereine. Die hätten bei der Beschlagnahmung gerade noch Zeit gehabt, ihre Pokale in Sicherheit zu bringen, so schnell und unvermittelt sei es gegangen. Obwohl sie die Flüchtlingspolitik für falsch hält, wolle sie sich dennoch einbringen. Von dem politischen Engagement einiger Mithelfer hält sie allerdings wenig. „Man muss kein Antifaschist sein, um zu helfen."
Die Frau berichtet auch von Spannungen zwischen den Ehrenamtlichen und dem Betreiber ASB. Die Helfer hätten sogar überlegt, die Arbeit niederzulegen, damit der ASB aktiver wird und mehr Leute einstellt, erzählt sie. Dann habe man - um das Projekt nicht zu gefährden - aber davon abgesehen.
Die Frage der Kooperation mit den öffentlichen Stellen gerät nicht selten zum Stolperstein für ehrenamtliche Initiativen. Erst Ende November hatten sich Mitglieder von „Moabit hilft" von dem Netzwerk getrennt und eine eigene Gruppe gegründet. Grund waren unterschiedliche Auffassungen über die Zusammenarbeit mit dem Lageso. Und auch bei der „Zeit"-Erhebung berichteten 14 Prozent der Befragten von Konflikten unter den Helfern.
Wirklich kritisch sei die Situation in Köpenick allerdings nicht, erzählt die Frau. Wichtig sei nur, offen zu sein - sowohl im Umgang mit dem ASB, als auch mit den Demonstranten, die sich jeden Donnerstag vor dem Heim versammeln. „Das sind nicht alles Leute von der NPD", sagt die Frau. Einige seien nur skeptische Anwohner. „Die könnte man hier mit an Bord holen." Die bunte Truppe, sie wäre dann noch ein Stück bunter.
Rétablir l'original