Eine Trekkingtour durch Jordaniens Steinwüste - übernachtet wird in einer einzigartigen Öko-Lodge.
Es gibt Kerzenlicht und vegetarische Küche. Das gefilterte Quellwasser wird in Tonkrügen serviert. Die Handys bleiben stumm. Während in der kleinen Moschee unten im Tal das Licht angeht, köchelt auf der Feuerstelle schwarzer Tee, gewürzt mit Thymian und Salbei. Die Gäste haben sich zum Sonnenuntergang auf einem Bergkamm zusammengefunden und lauschen Alis Geschichten: Es war einmal vor Tausenden Jahren, da lebte ein König. Seine Untertanen nannten ihn Feynan, was in jener Zeit "langes schwarzes Haar" bedeutete und dem Aussehen des Königs entsprach. Feynan trieb regen Handel mit dem benachbarten Königreich Kurnub, wo Obst, Gemüse und Kupfer gegen kostbare Seide eingetauscht wurden.
Doch König Feynan hatte einen merkwürdigen Sinn für Humor. So ließ er eines Tages Melonen, die als Geschenk für den kurnubischen König gedacht waren, aushöhlen und mit Exkrementen füllen. Natürlich empfand der auf diese Weise Beschenkte keinerlei Freude darüber und rüstete beleidigt zum Krieg. Da aber ein Heer in der offenen Weite der feynanschen Ebenen schnell entdeckt worden wäre, ließ er seine Krieger in großen Truhen verstecken, welche sonst nur für feinste Seide genutzt wurden. Nun war Feynans Tochter Farah mit Adleraugen gesegnet, konnte weit in die Ferne blicken und erspähte alsbald die Karawane. Sie gewahrte obendrein, dass die Kamele ungewöhnlich tief in den weichen Sand der Dünen einsanken und warnte vorsorglich den Vater. Dieser jedoch winkte arglos ab. Kurze Zeit später wurde sein Reich überrannt. König Feynan und seine Tochter verloren ihr Leben. "Noch heute sprechen Beduinen von einem Kurnub-Geschenk, wenn sie ein falsches Geschenk erhalten", beendet der junge Beduine seine Geschichte.
Das nach dem König benannte Feynan befindet sich nördlich von Petra, am westlichen Ende des jordanischen Dana-Biosphärenreservats in einem Irrgarten kleiner und großer Wadis. Die ausgetrockneten Flussläufe im ältesten und mit 320 Quadratkilometern größten Naturreservat des Landes liegen zwischen Gebirgszügen, die bis zu 1500 Meter hoch hinaufragen können, und beheimaten etwa 800 verschiedene Pflanzen- sowie 450 Tierarten. Hier steht auch die "Feynan Ecolodge", in der Ali arbeitet, wenn er den Besuchern nicht gerade eine der vielen Geschichten und Legenden Jordaniens erzählt. Seine Familie lebt nur wenige Meter entfernt in traditionellen Ziegenhaarzelten - ohne Strom, Fernseher und Facebook.
Das Aushängeschild ökologischer Hotellerie gehört der Royal Society for the Conservation of Nature (RSCN). Gebaut wurde die Lodge 2005 aus regionalen Materialien, beschäftigt sind hier ausschließlich Beduinen der Region, und auf dem Tisch des Restaurants landen nur Produkte, die in der Umgebung hergestellt oder geerntet wurden - wie Fladenbrot, Salate und Gemüse. Es wird vegetarisch gekocht. Der umweltbewusste Westeuropäer bemerkt aber erst nach einer Weile die vollen Konsequenzen beduinischer Ökologie: Quellwasser wird gefiltert und den Gästen in Tonkrügen serviert, täglich frisch auf jedes der 26 Zimmer. Es gibt auch keinen Zivilationsmüll wie Plastikwasserflaschen oder Getränkedosen. Strom und heißes Wasser werden mit Sonnenenergie erzeugt, an kälteren Wintertagen sorgt ein Feuer aus Rückständen bei der Oliven-Pressung für Wärme. Nach Einbruch der Dunkelheit wird die gesamte Lodge mit 250 Kerzen illuminiert, lediglich im Badezimmer gibt es elektrisches Licht; Laptops oder Kamera-Akkus können an der Rezeption aufgeladen werden.
"Mehr Menschen sollten unser Land besuchen", sagt Ali gedankenverloren und bedauert die Zurückhaltung vieler Touristen seit dem Beginn des "Arabischen Frühlings" im Dezember 2010. Er findet, dass Jordanien ein freies und tolerantes Land sei. Dass Menschen hier offen ihre Meinung sagen können. Weitestgehend. Dass es egal sei, ob jemand Christ oder Muslim ist. "No Problems?", fragen die Gäste vorsichtig. "Nicht hier", beruhigt Ali. Auf die Frage, warum es in Jordanien so gut wie keine Proteste oder Aufstände gab, erklärt er: "Wir sind zwar ein armes Land, haben aber nicht so viele Regeln und Einschränkungen wie in Syrien oder Ägypten. Und der König ist ganz in Ordnung." Abdullah II., seit 1999 auf dem Thron, gilt als Stabilisator des haschemitischen Königreiches.
In Feynan im Wadi Dana ist die Politik weit weg, hier scheint die Zeit stillzustehen. Manche Gäste kommen zu Fuß in die Einsamkeit. Etwa vier bis fünf Stunden läuft man vom an der Kings Road gelegenen Dörfchen Dana, das wie ein Schwalbennest an einem Bergsattel klebt. Einige wenige Unterkunftsmöglichkeiten, wie auch das ebenfalls der RSCN gehörende "Dana Guesthouse", schmiegen sich in die grandiose Landschaft. Beschenkt von solch stimmungsvoller Kulisse begibt man sich auf Wanderschaft in die Schluchtenwelt von Rummana oder eben ins 16 Kilometer südwestlich gelegene Feynan.
Wem das bei 40 Grad Celsius im Schatten zu anstrengend ist oder wer von Süden her nach Feynan reist, der sollte lieber das Auto und die Passstraße von Petra oder die Dead Sea Road präferieren, eine endlos erscheinende Transferstrecke zwischen den nördlich gelegenen Salz- und Pottascheabbaustätten und dem südlichen Handelsstützpunkt Aqaba am Roten Meer. Zuerst erreicht man dann das Feynan Visitor Centre, etwa 22 Kilometer östlich der Ausfahrt der Dead Sea Road. Wer kein Allrad-getriebenes Fahrzeug hat, wird per Beduinen-Chauffeur mit einem in die Jahre gekommenen Pick-up zur Lodge gebracht. Die letzten acht Offroad-Kilometer führen durch eine karstige Gebirgslandschaft, deren Einsamkeit nur von wenigen Beduinenzelten beeinträchtigt wird. Willkommen auf dem Mond.
Bei der Ankunft lädt die Rezeption zum Welcome-Drink ein. Während der Ankömmling ein eiskaltes Getränk mit dem Geschmack nach Birne, Zimt und geheimnisvollen Kräutern schlürft, wird er von einem Angestellten ausführlich über die Lodge und ihre Ziele in Kenntnis gesetzt. Am Ende wird sich der Angestellte für sein Englisch entschuldigen, er sei erst drei Monate hier und müsse noch viel lernen. Dies ist wirklich eine andere Welt.
Vormittags, wenn noch ein kühlender Wind weht, lädt die Frühstücksterrasse zum Verweilen ein - und zum Beobachten: Hunderte von Ziegen erobern das Gelände. Wie eine Horde Kleinkinder bolzen sie über das Anwesen, schieben Stühle beiseite, knabbern an Frühstücksresten und erklimmen schließlich den jeweiligen Lieblingsbaum. Die Mutigen balancieren kühn durchs Geäst, die Ungeschickten purzeln herunter, schütteln sich und versuchen es woanders erneut.
Ab und zu kommt Ali vorbei, erkundigt sich nach den bisherigen Reiseerlebnissen, was den Besucher ins Schwärmen geraten lässt. Über Jordaniens Hauptstadt Amman, die weiße Stadt, und Petra, das aus dem Fels gemeißelte Weltkulturerbe. Vom Wadi Rum, der Wüste und dem salzigen Wunder Totes Meer. Von der Wasserwanderung im Wadi Mujib, von Kerak mit seiner Kreuzritterburg und Madaba, der Mosaikstadt.
Doch auch Feynan ist noch längst nicht erkundet. Die Lodge bietet eine Reihe von geführten Wanderungen an: zu den alten Kupferminen, zu archäologischen Ausgrabungsstätten oder auch in die benachbarten Wadis. Staubtrocken sind die Flusstäler in dieser Jahreszeit. Dennoch steht der Oleander in prächtiger Blüte. Ziegenherden wuseln über Stock und Stein. Zwei Dromedare käuen sich unbeaufsichtigt durch die Begrünung. Esel trotten versonnen durch die Nachmittagshitze. Unter einem knorrigen Baum sitzt ein Hirte. Eine Kanne Tee köchelt auf dem Feuer. Der Versuch einer Unterhaltung misslingt aufgrund beiderseits fehlender Sprachkenntnisse. Stattdessen friedvolles Schweigen vor lautloser Kulisse. Auch das kann schön sein. Und bis auf diese Begegnung sieht man keinen Menschen weit und breit, selbst die vereinzelt stehenden Beduinenzelte künden nicht unbedingt vom Trubel großfamiliärer Betriebsamkeit. Kein Wunder bei der Hitze.
Die Abende werden mit festlichen Buffets begangen. Vorsuppe, Salate und Nachspeise, Fladenbrot, Joghurtsoße und frische Kräuter - die beduinische Küche ist vielseitig und lässt sich vor der abendlichen Gebirgskulisse vorzüglich genießen. Fleischfans und Raucher seien jedoch gewarnt: Trotz der vielen Ziegen- und Schafherden gehört die ausschließlich vegetarische Kost hier ebenso zum ökologischen Gedanken wie auch die Tatsache, dass Rauchen lediglich auf der Dachterrasse erlaubt ist. Theoretisch. Denn wenn der Chef nicht da ist, gibt es überall Aschenbecher. Und die Angestellten paffen fröhlich mit.
Zum Tagesausklang wird auf die Dachterrasse geladen. Die Sonne ist untergegangen und die blaue Stunde muss sich der Übermacht der Sterne beugen. Wohliges Dösen unterm Himmelszelt. Die Gäste sitzen oder liegen auf weichen Matratzen, plaudern entspannt oder lauschen dem Gemurmel der anderen, den Blick gen Firmament gerichtet, Sternbilder suchend. Gedankenversunken.
Und wenn man Glück hat, wird Ali nun vom Einsiedler und seinem Löwen erzählen. Doch wer diese und andere Geschichten hören will, der muss schon persönlich hierher kommen, auf diesen fremden Planeten, in das Land der Geschichten und Legenden.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
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