Etablierte Parteien wurden bei der Parlamentswahl abgestraft. Am kommenden Sonntag wird das Land den Präsidenten wählen.
Eine niedrige Wahlbeteiligung und ein zersplittertes Parlament ohne klare Mehrheiten, so lässt sich das Ergebnis der Parlamentswahl zusammenfassen, die am 6. Oktober in Tunesien stattgefunden hat. Mehr als 1500 Listen sind in den 33 Wahlkreisen angetreten. Die Vielzahl an Kandidaten scheint viele Tunesierinnen und Tunesier aber eher abgeschreckt zu haben. Ein Wahlkampf, der von der Präsidentschaftswahl überlagert und von Vorwürfen des Stimmenkaufs, illegaler ausländischer Wahlkampffinanzierung und der Manipulation geprägt war, tat sein Übriges. Letztlich haben am Sonntag nur rund 41 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Bereits wurden in allen Wahlkreisen die Stimmen ausgezählt. Das Ergebnis muss aber noch von der Wahlbehörde bestätigt werden, die unter anderem Vorwürfe des Stimmenkaufs untersucht. Das definitive Resultat soll voraussichtlich am Mittwoch verkündet werden.
Ausnahmslos von den Wählern abgestraft wurden jene Parteien, die sich nach dem politischen Umbruch 2011 an den verschiedenen Regierungen beteiligt hatten. Die muslimisch-konservative Nahda-Partei bleibt mit knapp 20 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Sie wird aber nur rund ein Viertel der 217 Abgeordneten im neuen Parlament stellen. Seit den ersten freien Wahlen 2011 hat sie in absoluten Zahlen rund zwei Drittel ihrer Wählerstimmen eingebüsst.
(afp/dpa) Die gemässigt islamistische Nahda-Partei hat bei der Parlamentswahl in Tunesien die meisten Stimmen geholt. Die Partei sicherte sich laut dem am Mittwoch veröffentlichten vorläufigen Wahlergebnis 52 der 217 Sitze im Parlament. Das entspricht 23,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit ist sie auf ein Bündnis mit anderen Parteien angewiesen, um das nordafrikanische Land regieren zu können. Die Partei Qalb Tounes des Präsidentschaftskandidaten Nabul Karoui landete demnach bei der Wahl am vergangenen Sonntag mit 38 Mandaten (17,5 Prozent) auf dem zweiten Platz. Die einstige Regierungspartei "Nida Tounes" des im Juli gestorbenen Staatspräsidenten Beji Caid Essebsi landete abgeschlagen auf hinteren Plätzen. Tunesien steht wegen des Wahlergebnisses - die dritt- und viertplatzierten Parteien holten 22 und 21 Sitze - eine schwierige Regierungsbildung bevor.
Noch bitterer ist der Wahlausgang für die Partei Nidaa Tounes, die der im Juli verstorbene Präsident Beji Caid Essebsi 2012 gegründet hatte. Bei den Wahlen 2014 wurde die Sammlungsbewegung noch stärkste Kraft. Doch durch ihre Koalition mit der Nahda, dem ehemaligen Gegner, hat sie sich gewissermassen ihrer Daseinsberechtigung beraubt. Die Partei zerfiel in ihre Einzelteile. Nun erhielt sie nur knapp ein Prozent der Stimmen und muss sich wohl mit drei Sitzen im neuen Parlament begnügen. Zweitstärkste Kraft wird mit derzeit 15 Prozent der Stimmen wohl die populistische Partei Qalb Tounes, die der Medienmogul und Präsidentschaftskandidat Nabil Karoui erst im Sommer gegründet hat.
Eine Regierungsbildung ist unter diesen Vorzeichen nur schwer möglich. Selbst wenn sich die beiden stärksten Parteien, Nahda und Qalb Tounes, zu einer Koalition entschliessen, sind sie für eine Mehrheit auf die Unterstützung weiterer Parteien angewiesen. Heftige Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen drohen die Arbeit des Parlaments in den kommenden fünf Jahren zu lähmen.
Unterschiedliche KandidatenWelchen Weg Tunesien einschlägt, wird auch davon abhängen, wen die Bürger am kommenden Sonntag zum Präsidenten wählen. Er wird in dieser schwierigen Situation vermitteln müssen. In der Stichwahl treten zwei sehr unterschiedliche Kandidaten gegeneinander an. Medienmogul Nabil Karoui, der mit der Hilfe einer Wohltätigkeitsorganisation vor allem in verarmten Regionen Unterstützer gewonnen hatte, sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche ermittelt.
Vergangene Woche wurden zudem für Karoui belastende Dokumente öffentlich. Darin verpflichtet sich ein in Kanada ansässiger israelischer Lobbyist, gegen eine Million Dollar für Karoui ein Treffen mit Donald Trump und Wladimir Putin zu organisieren. Die Annahme von Hilfe aus dem Ausland könnte nach dem tunesischen Wahlgesetz illegal sein. Karouis Partei dementiert, hinter dem Lobbying-Vertrag zu stehen. Für seine Kritiker bestätigt der Vorfall aber, dass Karoui nicht nach den Regeln spielt.
Gegen den Medienmogul tritt der nüchterne Rechtsprofessor Kais Saied an. Ohne nennenswerte Finanzierung oder eine Partei im Rücken hat der 61-Jährige in der ersten Runde die meisten Stimmen geholt. Unterstützt wird er vor allem von jungen, vergleichsweise gut ausgebildeten Wählern. Sie erhoffen sich, dass der konservative Jurist mit seiner Vision einer direkten, dezentralen Demokratie die einstigen Forderungen der Revolution an die Spitze des Staates trägt. Um die Chancengleichheit zu gewähren, hatte Saied nach dem ersten Wahlgang angekündigt, seinen Wahlkampf auszusetzen, solange sein Kontrahent in Haft sitzt.