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"Ich schweige und mache meine Arbeit": Der Tunesier René Trabelsi ist der einzige jüdische Minister in der arabischen Welt

15.01.2019 | NZZ

Der jüdische Tourismusminister René Trabelsi gilt in Tunesien als Mann vom Fach. Doch diskutiert wurde bei seinem Amtsantritt vor allem über seine Religion. Ein Treffen in Tunis.

Von der Fensterfront seines Büros aus schaut René Trabelsi direkt aufs Zentrum von Tunis, auf den Platz des 14. Januars, das Innenministerium und die Avenue Bourguiba. Hier, auf der Hauptstrasse von Tunis, gingen vor acht Jahren Zehntausende gegen Diktator Ben Ali auf die Strasse. Ohne die damalige Revolution wäre der 56-Jährige heute wohl nicht da, wo er ist.

Trabelsis Profil ist für einen tunesischen Minister in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: ein französisch-tunesischer Reiseunternehmer ohne politische Erfahrung und ohne Parteibuch, der kein Studium vorweisen kann und noch dazu der kleinen jüdischen Minderheit des Mittelmeerstaats angehört. Im verfilzten Einparteistaat Ben Alis wäre für einen wie ihn kein Platz gewesen.

Einstecken lernen

Man habe ihm beim Amtsantritt im November 2018 geraten, einstecken zu lernen und nicht auf jeden Angriff zu reagieren, erzählt Trabelsi beim Treffen mit der NZZ. Also habe er geschwiegen und sich an die Arbeit gemacht. Als der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed seinen Namen ins Spiel gebracht hatte, hagelte es Kritik aus Teilen der Öffentlichkeit und von Abgeordneten aus dem panarabisch-nationalistischen Lager. "Die einen werfen mir vor, ich sei Zionist. Die Nächsten, ich sei nicht gebildet genug, und die Dritten sagen, es gebe einen Interessenkonflikt zwischen meinem Amt und meiner Firma", sagt Trabelsi. "Das tun sie doch nur, weil sie sich nicht trauen, öffentlich zu sagen, dass sie keinen Juden als Minister haben wollen."

René Trabelsi ist der erste jüdische Minister Tunesiens seit den 1950er Jahren und derzeit der einzige in der arabischen Welt. Konkrete Vorwürfe gegen seine Person gab es wenige, dafür zweifelte mancher Abgeordnete an der Loyalität des Ministers gegenüber dem tunesischen Staat. Gerüchte machten die Runde, Trabelsi besitze neben der tunesischen und der französischen auch die israelische Staatsangehörigkeit.

Tunesien unterhält zwar keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Israel, allerdings reisen zur jährlichen Pilgerfahrt zur La-Ghriba-Synagoge auf Djerba mit einer Sondererlaubnis auch israelische Staatsbürger ein. René Trabelsi ist einer der Veranstalter der Pilgerfahrt, sein Vater Perez ist Vorsitzender des Organisationskomitees. Zur Zeit der Staatsgründung Israels 1948 lebten noch mehr als 100 000 Juden in Tunesien. Viele verliessen das Land nach der tunesischen Unabhängigkeit 1956 und dem Sechstagekrieg 1967 nach Europa oder Israel. Heute zählt die jüdische Gemeinde in Tunesien nur noch rund 1500 Mitglieder.

Tunesische Tourismusbranche begeistert

Ausser einem kurzen Dementi zur israelischen Staatsangehörigkeit tat Trabelsi nach seinem Amtsantritt, wie ihm geraten worden war: Er mied die tunesischen Medien und schwieg beharrlich zu allen Themen, die seine Person betrafen. Die Taktik ging auf: Nach wenigen Tagen interessierte sich kaum noch jemand für die Personalie René Trabelsi.

Ein bisschen haben die Vorwürfe und der Rummel um seine Person offenbar dennoch am Selbstverständnis des Ministers gekratzt. Beim ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Ernennung trug er demonstrativ eine Jebba, die traditionelle Tracht tunesischer Männer. Wenige Tage später rief er Hoteliers und Gaststättenbetreiber zur Ordnung, weil die wenigsten ihre Speisekarten wie vorgeschrieben auch auf Arabisch abfassten. Ganz so, als wolle er seine Zugehörigkeit zu Tunesien noch extra unter Beweis stellen.

Die tunesische Tourismusbranche hat die Nominierung René Trabelsis mit Begeisterung aufgenommen. Mit dem Selfmademan steht zum ersten Mal seit mehr als zwanzig Jahren jemand aus der Tourismusindustrie an der Spitze des wirtschaftlich so wichtigen Ministeriums. Auf der südtunesischen Insel Djerba, einer der wichtigsten Regionen für den tunesischen Tourismus, geboren, ging er noch als Schüler nach Frankreich - eigentlich, um sein Abitur zu machen und zu studieren. Daraus wurde nichts, stattdessen versuchte er sich zunächst im Lebensmittelgrosshandel, dann im Tourismus.

Seit mehr als zwanzig Jahren betreibt der Vater dreier Kinder nun seine eigene Reiseagentur. Trabelsi wisse genau, wo der Schuh drücke, und habe ein offenes Ohr für die Anliegen der Branche, lobt Mouna Ben Halima, die Sprecherin des tunesischen Hotellerieverbands. "Wir müssen ihm nicht erst lang und breit unsere Arbeit erklären, sondern können direkt Nägel mit Köpfen machen."

Wichtiger Wirtschaftszweig

Der Tourismus ist ein wichtiger Zweig der tunesischen Wirtschaft, er bringt begehrte Devisen ins Land und beschäftigt mehrere hunderttausend Personen. Nach dem politischen Umbruch 2011 und den Anschlägen in Tunis und in Sousse im Jahr 2015 brach der Sektor ein. Auch wenn sich die Branche langsam erholt, sieht sich der neue Minister mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Viele davon sind hausgemacht und wurden von den Ereignissen der letzten Jahre nur verstärkt. Lange hat das Land hauptsächlich auf billigen Strandtourismus gesetzt, der besonders krisenanfällig ist. Viele Hotels sind inzwischen geschlossen oder tief verschuldet, Kunden klagen über schlechten Service, und in den Herbst- und Wintermonaten brechen die Besucherzahlen ein.

Um dem entgegenzuwirken, will Trabelsi den Wüsten- und den Gesundheitstourismus stärken, die Ausbildung der Angestellten verbessern und die Restrukturierung des Hotelsektors vorantreiben. Im März 2019 soll ausserdem das umstrittene Open-Sky-Abkommen in Kraft treten, das tunesische Flughäfen für europäische Low-Cost-Anbieter öffnen würde. Auch wenn der Flughafen der Hauptstadt Tunis von der Neuordnung ausgenommen ist, fürchtet die kränkelnde staatliche Fluggesellschaft Tunisair um ihre Vormachtstellung. Der Minister hingegen erhofft sich steigende Passagierzahlen und verspricht, man wolle der nationalen Fluggesellschaft keinesfalls schaden.

Um sein Programm umzusetzen, bleibt dem Minister jedoch wenig Zeit. Im Herbst 2019 sollen in Tunesien Wahlen stattfinden. Es ist unwahrscheinlich, dass der nach innenpolitischen Auseinandersetzungen angezählte Ministerpräsident Youssef Chahed und seine Ministerriege eine zweite Amtszeit erleben werden.

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