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„1,0 heißt ja nicht, dass ich ein besserer Arzt bin. Ich kann nicht alles, aber wer kann das schon."

Nur die Abitur-Besten können mit dem Medizinstudium beginnen. Tausende Studienplatzanwärter stehen auf Wartelisten und müssen Wege finden, um die Zeit bis zu einem möglichen Studium zu überbrücken. Wir haben eine von ihnen getroffen.

Wenn Franzi über ihr Studium spricht, dann hört man die Verzweiflung aus ihrer Stimme. Kommt zwar schon mal vor, dass ein Student verzweifelt ist. Aber ihr Studium hat noch gar nicht angefangen. Und wann sie endlich Medizin studieren kann, das weiß momentan noch niemand: „Klar ist das doof, so lange warten zu müssen. Aber ich will halt einfach Ärztin werden, weil ich dafür brenne und nicht, weil das so ’ne spontane Idee war“.


Eine Abiturnote von 2,0 bedeutet eine Wartezeit von mehreren Semestern für das Medizinstudium

Ihre Abiturnote von 2,0 macht es unmöglich, einen Studienplatz zu bekommen. Eigentlich dürfte es ja kein Problem sein, mit dem Schnitt eine Ausbildung oder einen Studienplatz zu finden. Aber Franzi bleibt dabei: Sie will Ärztin werden und wie soll das anders gehen, wenn nicht über das Studium. Sie wartet zwar erst seit zwei Semestern, aber sie weiß auch, dass ihr noch eine viel längere Wartezeit bevorsteht. „Ich freue mich, dass das Thema jetzt momentan wieder mehr im Gespräch ist, aber ich glaube irgendwie nicht, dass sich was ändert“, sagt sie schulterzuckend.


Jetzt hat sich das Bundesverfassungsgericht eingemischt. Dort haben zwei Studienanwärter Klage eingereicht. Beide konnten eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine Wartezeit von knapp sieben Jahren vorweisen. Für einen Studienplatz reichte das trotzdem nicht. Ihr Vorwurf lautet: Das Vergabeverfahren der Studienplätze schränkt ihr Recht auf freie Berufswahl ein.


Ärztemangel: Bis 2030 werden in Deutschland mehr als 16.000 Ärzte fehlen, vor allem auf dem Land

Auf der anderen Seite können die Universitäten jedoch nur eine beschränkte Zahl von Studienplätzen zur Verfügung stellen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass der Staat für Medizinstudenten am tiefsten in die Tasche greifen muss. Wer Arzt werden will, blättert im Studium eben nicht nur in Büchern rum. Deshalb nimmt das oberste Gericht jetzt das Vergabeverfahren in den Blick.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung werden bis zum Jahr 2030 mehr als 16.000 Ärzte fehlen. Es gibt aber nicht nur zu wenig Ärzte, sondern auch zu wenig Studienplätze in der Medizin. Gleichzeitig kamen auf die rund 9.000 Medizinstudienplätze in Deutschland 2017 über 43.000 Bewerbungen.


Aber wie werden die Studienplätze vergeben? Die Zulassung erfolgt zentral über die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH). Die SfH vergibt die Studienplätze dann nach einer Ortspräferenz der Anwärter sowie nach drei Quoten: 20 Prozent der Studenten werden über die Abiturnote ausgewählt, weitere 20 Prozent über die Wartezeit.


Der Medizinertest ist eine Möglichkeit, um die Abiturnote aufzuwerten

60 Prozent der Plätze werden über hochschuleigene Kriterien vergeben, wozu in den meisten Fällen ebenfalls die Abiturnote gehört. Universitäten wie Freiburg oder Kiel rechnen in diesem Fall eine Berufsausbildung an, bei einer Bewerbung in Aachen oder Düsseldorf spielt die Ausbildung hingegen keine Rolle.

Zum aktuellen Wintersemester 2017/18 lagen die Auswahlgrenzen in 14 Bundesländern bei 1,0. Nur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein lag die Grenze (immerhin) bei einem Schnitt von 1,1. Für Personen wie Franzi ist der Weg ins Studium über die Note also von vornherein ausgeschlossen.


Eine andere Möglichkeit, um die Abiturnote aufzuwerten, ist der Medizinertest – und der ist knallhart. Um die starren deutschen Zugangsregelungen zu umgehen, zieht es viele junge Menschen für das Medizinstudium ins Ausland. Nicht der NC spielt dort eine Rolle, sondern eher das, was im Geldbeutel steckt.


Auf dem Gymnasium war Franzi Einser-Schülerin in Biologie, Mathe, Physik und Chemie. Fächer wie Erdkunde und Politik waren es, die ihre Abiturnote runtergezogen haben: „1,0 heißt ja nicht, dass ich ein besserer Arzt bin. Ich kann nicht alles, aber wer kann das schon. Ich kann das, was ich brauche, um Ärztin zu werden“.


Wenn es in Deutschland nicht klappt, wird Franzi im Ausland Medizin studieren

Nun hat sie erstmal eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin angefangen. „Mir gefällt die Ausbildung, ich mag das Arbeitsumfeld und die Patienten und ich lerne sehr viel, was ich im Studium verwenden könnte“. Ihr Traum wird sich aber erst erfüllt haben, wenn sie in ferner Zukunft ihre eigene gynäkologische Praxis hat.


Erst in der vergangenen Woche hat eine Mitschülerin Franzis Pflegeklasse verlassen, weil sie einen Medizinstudienplatz bekommen hat. „Klar bin ich dann neidisch. Und sauer. Weil nur die Note zählt. Und jeder sagt, es gibt zu wenig Ärzte. Es gibt doch genug junge Leute, die Ärzte werden wollen, aber die erst gar nicht anfangen dürfen zu studieren, weil sie in der Schule nicht alles konnten. So ein Schwachsinn“, sagt sie, die Wehmut ins Gesicht geschrieben.


Im nächsten Jahr steht für sie der Medizinertest bevor: „Das muss klappen. Wenn das nicht klappt? Dann muss ich wohl ins Ausland für das Studium“. Aber das kostet.

Bis Franzi einen Studienplatz bekommen hat, wird das Bundesverfassungsgericht vielleicht ein Urteil gefällt haben – erwartet wird das nämlich Anfang 2018. Bis sich Politik und Universitäten dann aber auf ein möglicherweise neues Auswahlverfahren geeinigt haben, kann es noch Jahre dauern.

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