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"Wir sind Mama Merkel sehr dankbar": Laith Majids Weg aus der Hölle - WELT

"Wir sind Mama Merkel sehr dankbar" Laith Majids Weg aus der Hölle

Mitte August ging ein Foto um die Welt. Es zeigte den weinenden Laith Majid und dessen Familie. Auf der Flucht waren sie dem Tod entkommen. Angekommen in Berlin sind sie vor allem eines: dankbar.

Vor vier Wochen wäre die Familie Amiri fast ertrunken, als sie sich auf den Weg vom türkischen Bodrum auf die griechische Insel Kos machten. Anders als die meisten Flüchtlinge derzeit stammen sie nicht aus Syrien, sondern aus dem Irak. Auch dort wüten die Terrororganisation IS und andere radikale Milizen. Regierungschef Haidar al-Abadi versucht zwar, das kaputte Land durch Reformen zu stabilisieren, doch die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten sind weiter groß.

Vater Laith Majid ist nicht freiwillig geflohen, wie er betont. Er liebe sein Land und habe immer versucht, in seiner Heimat zu bleiben. In Bagdad besaß er einen kleinen Supermarkt, in dem auch die beiden Söhne Ahmed (17) und Mustafa (18) arbeiteten. Sie sollten damit auch davon abgehalten werden, sich radikalen Gruppen anzuschließen. Zur Ruhe kam die Familie aber nicht. Ständig wurden sie von Milizen bedroht.

"Sie haben mich wegen jeder Kleinigkeit geschlagen, mir waren die Hände gebunden, ich konnte nicht zurückschlagen. Wenn ich das mache, dann würden sie uns alle umbringen", schildert Mustafa die fast alltägliche Brutalität. Etwa 3,7 Millionen Iraker befinden sich derzeit auf der Flucht, viele davon im eigenen Land. "Die schiitischen Milizen haben mir keine andere Wahl gelassen, außer den Irak zu verlassen und den Todestrip in Kauf zu nehmen", betont Laith mit weinenden Augen.

Knapp dem Tod entkommen

Laiths Nichte war schon zwei Monate vor ihnen nach Deutschland gekommen. Ihre Route führte über die Türkei, Griechenland, Ungarn und Österreich. Ihrem Onkel empfahl sie denselben Weg. Die Amiris verkaufen alles was sie haben und machen sich mit den Ersparnissen aus 20 Jahren auf den Weg. Im türkischen Bodrum lernen sie mehrere Schlepper kennen. Einer von ihnen verspricht, sie in einem sicheren Boot zur griechischen Insel Kos zu bringen. 1250 Dollar will er für jede Person. "Sie haben uns nur verarscht", sagt Laith heute verbittert.

Ihre Reise beginnt mitten in der Nacht. Über einen steilen Weg gelangen sie zu einem Schlauchboot, das gerade aufgepumpt wird. "Das war ein kleines Gummiboot", berichtet Laiths 43-jährige Ehefrau Neda. Das Motorboot hat eigentlich nur Platz für drei bis vier Personen. In dieser Nacht müssen sich jedoch 13 Menschen darauf zusammenquetschen, darunter Kinder und auch ein Baby. Abspringen können sie nicht mehr. Die Schlepper sind mit Messern bewaffnet, keiner darf auch nur sprechen.

Auf das kleine Boot dürfen sie nichts mitnehmen. "Ich durfte nicht einmal meine Jacke mitnehmen und ich hatte nur ein Top an. Es war sehr kalt", berichtet der 18-jährige Mustafa. Zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt, für die Familie fühlt es sich wie zweieinhalb Jahre an. Nach zwei Stunden beginnt das Boot, Luft zu verlieren. Wasser läuft hinein. Es ist kalt und dunkel. Nour, ihre siebenjährige Tochter, hat Hunger und beginnt zu weinen. Dann säuft auch noch der Motor ab. "Wir haben aber das Licht von der griechischen Insel gesehen", so die Englischlehrerin Neda. Während sie erzählt, fängt sie an zu weinen. Taha, ihr neun Jahre alter Sohn, hat ebenfalls Tränen in den Augen. Er erinnert sich an die Nacht auf dem Meer.

Mit letzter Kraft haben sie es an Land geschafft. Als sie ankommen, macht der deutsche Fotograf Daniel Etter das berühmte Foto, das kurz darauf um die Welt geht: Laith hat einen Arm schützend um den Kopf seines kleinen Sohnes gelegt und weint. Gleichzeitig klammert sich die siebenjährige Nour an seinen Hals. Untertitelt wird das Bild mit: "Laith Majid, ein syrischer Flüchtling aus Deir ez-Zor, bricht in Freudentränen aus, er hält seinen Sohn und seine Tochter, nachdem sie sicher auf Kos angekommen sind." Aus Angst, zurück in die Türkei geschickt zu werden, geben sich die Amiriys als Syrer aus. Erst später, als die Familie in Berlin Asyl beantragt, erfährt der Fotograf, dass die Familie aus dem Irak stammt.

"Wir sind den Deutschen sehr dankbar"

Sieben Tage bleiben die Amiriys auf Kos, dann bekommen sie ihre Papiere und fahren weiter Richtung Athen. Für die Fahrt zahlen sie 30 Euro. In Athen machen sie sich erneut auf die Suche nach einem Schlepper. 1500 Euro zahlen sie pro Person, um in einem Lastwagen nach Deutschland zu gelangen. Nachts dürfen sie kurz an die Luft und zur Toilette. Wie lange die Fahrt dauerte, weiß die Familie nicht. "Wir wurden irgendwo rausgelassen und dann haben wir die Menschen gefragt, wie die Stadt heißt. Ein Mann sagte uns: Berlin. Das war eine unglaubliche Freude", erzählt Neda mit einem Lächeln im Gesicht.

"In Berlin haben wir dann die Polizeiwache gesucht. Sie haben uns sehr freundlich begrüßt und Essen gegeben. Später wurden wir in die Kaserne gebracht", so die Mutter. Laith und seine Familie sind am Ende ihrer Kräfte, überglücklich und gleichzeitig traurig. Sie freuen sich, dass sie in Deutschland sind und vermissen ihre Verwandten und Bekannten im Irak. "Sie begleiteten mich jeden Tag", sagt der 17-jährige Ahmed schluchzend. "Ich versuche, mich zu beschäftigen."

Momentan bereitet der Familie vor allem das lange Warten auf die Registrierung Sorgen. Sie wollen frei sein, eine Arbeit finden und die Kinder in die Schule schicken. "Wir sind den Deutschen und Mama Merkel sehr dankbar", freut sich Neda. Ihr Wunsch sei es, zusammen mit anderen Flüchtlingen ein Fest für die Deutschen und für die Bundeskanzlerin zu feiern und ihr einen Blumenstrauß zu schenken. "Ich will die Bundeskanzlerin brüderlich auf die Wange küssen", sagt auch Laith Majid. Und dann erklärt er noch die Tränen auf dem berühmten Foto: "Es waren Freudentränen, als ich meine Kinder und meine Frau lebendig an Land gesehen habe."

Zum Schluss hat auch Neda noch etwas Wichtiges auf dem Herzen: "Meine Frage an die arabischen Länder ist: Wo seid ihr, wieso versteckt ihr euch und helft uns Flüchtlingen nicht? Irgendwann werdet ihr auch nach Hilfe rufen und dann seid ihr auf euch allein gestellt, denn die Welt bleibt nie stehen."

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