Henry ist 86 Jahre alt. Und er erzählt mit leuchtenden Augen, wie ihn eine halbe Stunde Yoga am Tag jung hält, zudem in dieser Umgebung - der frische Franzose sieht auch locker 20 Jahre jünger aus. „Weißt du", sagt er, „Yoga am Berg, das hat mich gerettet". Da Henry erst vor fünf Jahren mit Asanas angefangen hat, kann man ihm ruhig auch gute Gene attestieren. Aber je länger man hier ist, glaubt man ihm jeden Tag ein bisschen mehr, dass die Bewegung, die Luft und die Berge den Benjamin-Button-Effekt haben - weil man sich selbst fühlt, als sei man gerade neugeboren worden.
Ich treffe diesen beeindruckenden Mann zusammen mit anderen spannenden und entspannten Leuten aus der ganzen Welt bei einer Woche im Sivananda Yoga Zentrum Reith bei Kitzbühl. Ashram und Tirol? Wieso nicht, Himalaya und Alpen sind sich jetzt ja nicht so unähnlich...
Gegründet wurde Sivananda in Indien, heute hat die Bewegung weltweit Unterzentren, etwa in Quebec, in Madrid oder sogar auf den Bahamas. Die erste Yoga-Einheit hier ist morgens um 8 Uhr, die zweite um 16 Uhr - jeweils zwei Stunden. Anfangs beschränkt sich das Alpenglühen auf Muskelkater - doch das Hatha Yoga nach Sivananda ist relativ harmlos - auch für nicht ganz unbewegliche Anfänger ein guter Einstieg: Die Reihenfolge der sehr klassischen Übungen (Sonnengrüße, Wechselatem, Kobra, Schulterstand und wer kann oder lernen mag: Kopfstand) variiert wenig, sodass man nach ein paar Einheiten gut reinkommt. Im Sommer verbiegt man sich auf der Terrasse unter Sonnensegeln, im Winter ist der Ort ein Paradies für Skifahrer.
Als ich dort zum Bergyoga bin, ist Hochsommer, doch Swami Vidyananda, die im Ashram lebt und unterrichtet, versichert mir, dass auch bei Schnee viele Menschen herkommen - übrigens viele Anfänger. „Die fahren dann eben Ski zwischen den Yoga-Stunden!" Als strikter Wintersport-Verweigerer (bis jetzt) freue ich mich über die Hitze. Dass es zwei Naturschwimmbäder gibt, die man locker zu Fuß erreicht, macht das Ganze zum perfekten Sommerurlaub: Der majestätische Schwarzsee mit Blick aufs Kitzbüheler Horn und der kleine Gieringer Weiher, ein Waldfreibad wie aus einem Heimatfilm, sind das schönste Rahmenprogramm.
Wer nun denkt: Ashram = Strenge und Kasteiung hat nicht ganz unrecht, aber als sogenannter Yoga-Urlauber ist es okay, wenn man die ein oder andere Einheit skippt, etwa zugunsten einer ausgedehnten Wandertour. Ich halte nichts von Hardcore-Fasten, zumal man durch Bergluft, Wandern und natürlich die Bewegung auf der Matte einen Bärenhunger bekommt - freue mich also, dass es zweimal am Tag ein vegetarisches Bio-Buffet gibt.
Dass Ashram ursprünglich „Ort der Arbeit" heißt, ich auch gern mal faul und flunderartig im Urlaub bin, habe ich trotz Muskelkater spätestens vergessen, als ich bei der Nachtwanderung Glühwürmchen zähle.
Kurse und Preise auf http://www.sivananda.at/