2 abonnements et 4 abonnés
Article

Bolsonaro führt Krieg gegen den Amazonas

Der Amazonas wird abgeholzt und brandgerodet. (Foto: REUTERS)

Brasilien ist ein Schlüsselland im Kampf gegen den Klimawandel. "Der Amazonas gehört uns, nicht euch", poltert Präsident Bolsonaro und ermutigt zur Abholzung des Regenwaldes. Wissenschaftler stellt er als Lügner dar.

Von Roland Peters, Buenos Aires

Nachdem Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangenen Monat über die Abholzung des Amazonas' gesprochen hatte, markierte er den starken Mann. Einige Länder litten unter einer "Umweltpsychose", wollten die Umwelt über alles stellen, sagte er Journalisten am Rande des G20-Gipfels in Japan. "Dieser Präsident lässt sich nicht belehren wie seine Vorgänger", tönte er. "Brasilien kann Deutschland in der Umweltpolitik ein Vorbild sein."

Bolsonaro sagte das mit Verweis auf die Kohleverstromung, die es in Brasilien nicht gibt. Doch damit lenkte er vom Thema ab: Der Bedeutung Brasiliens und seiner Regierung für den Klimawandel. Und damit potenziell auch für Extremwetterlagen und Naturkatastrophen weltweit. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Regenwald als in dem südamerikanischen Land. Er bremst die globale Erwärmung, da er das dafür verantwortliche Kohlendioxid durch Pflanzen bindet. Geht die Abholzung weiter voran, wird sich das ändern. Der größte Feind des Amazonas ist Bolsonaro.

Der Regenwald schrumpft seit Jahrzehnten. Im Duett mit der politischen Situation sind die aktuellen Zahlen aus dem grünen Herzen Südamerikas alarmierend. Derzeit verschwindet im Amazonas-Gebiet eine Waldfläche von bis zu drei Fußballfeldern pro Minute. Schon im Jahr 2018 war dort so viel wie seit einem Jahrzehnt nicht abgeholzt worden, aber 2019 wird das Vorjahr sicher übertreffen. Laut einer Studie des Trase-Instituts für globale Handelsströme werden etwa 70 Prozent des Amazonas-Dschungels zugunsten von Rinderhaltung gefällt oder gleich niedergebrannt. Brasilien ist der weltgrößte Fleischexporteur, Tendenz steigend.

Seit Beginn von Bolsonaros Amtszeit am 1. Januar wurden 39 Prozent mehr Fläche abgeholzt als im gleichen Vorjahreszeitraum. Im Juni waren es 88 Prozent mehr. Auch der Juli wird den Jahresvergleich deutlich für sich entscheiden.

Wettern gegen "Umweltpsychose"

Brasiliens Präsident kennt diese Zahlen. Statt sich mit dem Problem zu befassen, bezeichnete er die Angaben des staatlichen INPE-Instituts in der vergangenen Woche schlicht als "Lüge". "Falls die Zahlen der vergangenen zehn Jahre stimmen würden, gäbe es den Amazonas gar nicht", schlussfolgerte er. "Dann wäre er eine Wüste." Also werde er die "Umweltpsychose" beenden, sagte Bolsonaro. Seine Zweifel sind nach Ansicht von Wissenschaftlern völlig abwegig, die Ergebnisse des INPE basieren auf ausgewerteten Satellitenbildern und gelten bei internationalen Organisationen als Goldstandard der Daten zur Amazonas-Abholzung. Trotzdem gibt es in der Regierung den Plan, das unliebsame Institut zu ersetzen.

Bolsonaro ist mit seinem Spott über eine Wüste statt Wald von der Wahrheit nicht weit weg. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind etwa 20 Prozent der Amazonas-Fläche verschwunden. Jederzeit kann der Regenwald einen Punkt erreichen, an dem er nicht mehr selbst für sich sorgen kann, austrocknet und sich zu Savannen umbildet. "Es gibt mehrere Wendepunkte, und wir sind ihnen sehr nah", sagte Wissenschaftler Philip Fearnside von Brasiliens staatlichen Amazonasforschungsinstitut dem "Guardian". Anzeichen dafür sind die großen Dürren 2005, 2010 und 2015 bis 2016, sowie die Flutkatastrophen 2009, 2012 und 2014.

Selbst wenn der tödliche Wendepunkt nicht erreicht wird, könnte es sein, dass der Amazonas dem Menschen bald nicht mehr bei der Luftreinigung helfen kann. Im Jahr 2015 hatte eine über 30 Jahre durchgeführte Studie gezeigt: Der Regenwald wächst und stirbt schneller. Die Folge ist mehr totes Holz und damit weniger gebundenes Kohlendioxid. Die Forscher erwarteten ab dem Jahr 2025 eine Umkehr. Ab dann würde die Grüne Lunge mehr CO2 aushusten als aufnehmen.

Eine Zeitlang sah es so aus, als würde Brasilien der Austrocknungsgefahr entgegentreten. Von 2004 bis 2012 verringerte das Land die jährliche Abholzung um 80 Prozent. Zwar lockerte die damalige Präsidentin Dilma Rousseff den Strafenkatalog für illegalen Kahlschlag, versprach 2015 aber, sie komplett zu stoppen. Brasilien würde bis 2030 insgesamt 12 Millionen Hektar Wald wieder aufforsten, davon 5 Millionen Hektar im Amazonas. Es blieb beim Versprechen. Weder sie, noch ihr Nachfolger Michel Temer unternahmen ausreichende Schritte.

Seit Januar schwingt der rechte Bolsonaro die Axt. Trotz vorhandener internationaler Gelder aus Europa genehmigte Brasilien seither kein einziges Schutzprojekt mehr. An seinem ersten Tag als Präsident schob Bolsonaro per Dekret dem Landwirtschaftsministerium die Verantwortung für die Grenzen indigener Schutzgebiete zu. Der Gerichtsstreit darüber dauert an. Auch versuchte der Präsident zu erlauben, dass Unternehmen die Gebiete von den Indigenen pachten können. Bislang vergeblich. Sorgen um die Umwelt? Die machten sich "nur Veganer, die nur Pflanzen essen", spottete Bolsonaro im Juni.

Holzfäller randalieren, Umweltminister lobt

Die Signale an die illegalen Holzfäller sind eindeutig: Bei uns könnt ihr machen, was ihr wollt. Exemplarisch war dafür die Reaktion auf einen Gewaltausbruch im südlichen Amazonas. Anfang Juli wollte das staatliche Umweltschutzinstitut Ibama an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Rondônia und Mato Grosso verhindern, dass Holzfäller weiter illegal in den dortigen indigenen Schutzgebieten roden. Also rückten Ibama-Einsatzkräfte im Ort Boa Vista do Paracana an, inklusive drei Hubschraubern und einem Tankwagen. Doch die Holzfäller wehrten sich. Um ihr illegales Geschäft zu schützen, setzten sie eine Brücke in Brand und blockierten die Zufahrtswege mit Baumstämmen. Dann zündeten sie den Tankwagen an. Die Einsatzkräfte zogen sich zurück.

Aus dem übergeordneten Umweltministerium kam keine Hilfe, im Gegenteil. Zwei Wochen nach den Vorkommnissen reiste Ressortchef Ricardo Salles an den Ort, sprach mit den Holzfällern - und lobte sie als repräsentativ für die "guten Arbeiter des Landes". Sein Besuch sei ein Zeichen des Respekts. "Die Gesetze haben nichts mit der Realität zu tun. Was wir grade tun ist, im ganzen Land den legalen Teil an die reale Welt anzupassen", sagte er vor den applaudierenden Arbeitern.

Salles ist ein willfähriger Begleiter Bolsonaros, "ein Anti-Minister, der alles macht, was er kann, um zu zerstören was er schützen sollte", wie ihn "O Globo"-Journalist Bernardo Mello Franco beschrieb. Bolsonaro hatte Salles angewiesen, die Aktivitäten des zum Ministerium gehörigen Ibama einzuschränken, dessen Geldstrafen er als "ideologisch" verurteilte. "Ich sagte ihm: 'Setze die Axt an diesen ganzen Leuten des Ibama an. Ich will keine Gläubigen'", so Bolsonaro. Der Minister ließ die meisten regionalen Führungskräfte feuern und durch linientreue, etwa Militärs, ersetzen. Andere Regionalabteilungen sind führungslos. Das Ergebnis sind so wenige Geldstrafen für Vergehen wie noch nie, obwohl mehr abgeholzt wird. Bolsonaro führt Krieg, und bislang gewinnt er.

Schützenhilfe gegen den brasilianischen Präsidenten und seine Verbündeten könnte aus Europa kommen. Die EU ist Brasiliens zweitgrößter Handelspartner. Im Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur und der EU ist unter anderem festgeschrieben, dass sich Brasilien nicht aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückziehen darf, wie Bolsonaro angekündigt hatte.

Bolsonaro befindet sich also in einem Zwiespalt. Er will es sich mit den Europäern nicht verderben, weil das Abkommen für die einflussreiche Agrarlobby wichtig ist. Dass sich EU-Staaten wie Deutschland wegen des Klimawandels einmischen, passt ihm gar nicht. "Der Amazonas gehört uns, nicht euch", warf Bolsonaro vor wenigen Wochen internationalen Journalisten entgegen. Für höheren Druck in Sachen Klimaschutz müssten aber erst alle EU-Staaten das Abkommen ratifizieren. Besonders aus Frankreich kommt Widerstand. Die dortigen Bauern fürchten die mächtige, billigere Konkurrenz aus Südamerika.

Quelle: n-tv.de


Rétablir l'original