Der Baumwollanbau gehört in Usbekistan zu den größten Einnahmequellen des Landes. Der Baumwollanbau ist aber auch für einige der größten Umweltprobleme mitverantwortlich. Die EU macht deshalb Druck auf das Land und will keine usbekische Baumwolle importieren. Doch hilft der Boykott der Umwelt?
Der Orient versteckt sich in Taschkent, gelegen im Herzen Asiens und doch gründlich sowjetisiert. Finden kann man ihn auf dem zentral gelegenen Chorsu-Basar mit seinen Farben, Gerüchen, seinem Stimmengewirr. Der Student Rustam steuert einen Stand an, nimmt eine durchsichtige Plastikflasche mit goldgelbem Inhalt in die Hand und prüft sie mit Kennerblick, als wäre es französischer Wein. „Das ist unser Baumwollöl", erklärt Rustam dem Besucher mit ernster Miene.
Nationalsymbol und Politikum
Baumwolle ist der nationale Stolz Usbekistans. Die schneeweißen Kapseln der reifen Pflanze sind im Wappen des Landes abgebildet. Baumwolle ist einer der Grundpfeiler der Wirtschaft des Landes. Baumwolle ist aber auch der Fluch Usbekistans: Die Sowjetunion machte Usbekistan bereits unter Stalin zur Baumwollrepublik. Der Traum, Wüste in Agrarland zu verwandeln, wurde jedoch zum Alptraum. Für die Bewässerung der sensiblen, wasserliebenden Baumwollpflanze wurde den Strömen Amurdarja und Syrdarja, den größten Zuflüssen des Aralsees, Wasser in großem Stil entzogen. Der einstmals viertgrößte Binnensee der Welt, in der usbekischen Sprache gar als Aralmeer bezeichnet, wurde zur Aralwüste, eine der größten ökologischen Katastrophen unserer Zeit.
Baumwolle ist in Usbekistan nicht allein eine Pflanze, Baumwolle ist ein Politikum. Von ihren Erfahrungen bei der Baumwollernte können zahlreiche usbekischen Männer aus allen Bevölkerungsschichten berichten. „Man pflückt mit beiden Händen", erklärt der Journalist Iskander, der als Student bei Ernteeinsätzen teilnahm. „Anfangs schaffte ich nur 25 bis 30 Kilogramm am Tag, später über 60." Doch über die mit dem Baumwollanbau verbundenen Probleme redet man ungern: „Ich bin nur ein einfacher Mensch", wehrt Rustam auf dem Markt solche Fragen ab, „mit Politik kenne ich mich nicht aus."
Usbekische Baumwolle unerwünschtDer Druck, der auf dem seit 1991 unabhängigen Land lastet, ist groß. Im vergangenen Oktober empfahl der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlaments einstimmig, ein ausgelaufenes Textilabkommen mit Usbekistan nicht zu verlängern. In einer langen Liste von Gründen wird auch genannt, „dass die Baumwollproduktion in Usbekistan im Zeitraum 1990 bis 2008 infolge der schlechten Umweltstandards und einer ineffizienten Bewässerungsinfrastruktur zu einer erheblichen Austrocknung des Aralsees geführt hat."
Nach Lösungen für die drängenden Umweltprobleme wird auch in Usbekistan gesucht, der seit 1991 ununterbrochen regierende Präsident Islom Karimov hat Umweltschutz zu einer der Prioritäten des Landes gemacht und gar 15 Umweltschützer zu Parlamentsabgeordneten ernannt. Der Politik kommt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die schädlichen Auswirkungen der Zivilisation zu, findet auch Azamat Azizov, der die Abteilung für Angewandte Ökologie an der usbekischen Nationaluniversität leitet.
Produktion nach PlanWarum dies so ist, kann Tommaso Trevisani verstehen helfen. Ein Jahr hat der italienische Ethnologe, der an der Humboldt-Universität in Berlin lehrt, in Usbekistan verbracht, um die Machtbeziehungen, die mit dem Baumwollanbau verbunden sind, zu studieren. „Es gibt in Usbekistan keinen Privatbesitz an Land", erklärt Trevisani. Die riesigen Flächen für den Baumwollanbau werden vom Staat an private Farmer vermietet. Diese müssen die Baumwolle wieder an den Staat verkaufen, ein freier Markt existiert nicht. Der Staat legt den Preis für die Ware fest, und der Staat bestimmt in einem Plan die Menge an Baumwolle, die die Farmer zu liefern haben.
In diesem System bleibt kein Platz für Privatinitiativen, die einen nachhaltigeren, ressourcenschonenderen Anbau zum Ziel hätten. Dabei würde Umweltschutz auch den Farmern helfen, wie Professor Azizov findet. Die Wechselwirtschaft, der Anbau unterschiedlicher Pflanzen im Laufe der Jahre, würde die Böden schonen und langfristig einen konstanten Gewinn garantieren.
Boykott oder Verhandlungen?Doch ist ein Boykott der richtige Weg, um Usbekistan zu größeren Anstrengungen im Umweltschutz zu bewegen? Azamat Azizov wiegt bedächtig den Kopf: „Es ist immer falsch, von einer Position der Stärke auszugehen. Man muss sich an den Tisch setzen und verhandeln." Außerdem müsse die EU Standards entwickeln, nach denen sie alle Baumwollproduzenten gleich beurteile.
Azizov bezeichnet sich als Optimist. Um für den Umweltschutzgedanken zu werben, setzt er auf Erziehung und Bildung der Bevölkerung, schreibt Bücher und reist aufs Land, um Bauern zu erklären, wie sie selbst von umweltschonenden Maßnahmen profitieren können. Wichtig sei aber auch eine Rückkehr zu traditionellen usbekischen Werten. Dazu gehöre beispielsweise der Respekt vor Älteren, aber auch der verantwortungsbewußte Umgang mit dem Wasser: „Früher haben die Menschen aus den Flüssen getrunken."
Über China nach DeutschlandWährend die EU boykottiert und Azizov von einer Zukunft träumt, in der Mensch und Natur in Harmonie miteinander leben, findet usebekische Baumwolle weiterhin den Weg in europäische Regale. China ist in Zeiten steigender Weltmarktpreise ein dankbarer Abnehmer, und wenn die Baumwolle einmal zu Kleidung verarbeitet ist, fragt niemand mehr nach der Herkunft.