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Genosse Freiberufler | Forum - Das Wochenmagazin

Genosse Freiberufler
29.05.2020
Es klingt magisch – und funktioniert. Eine Genossen­schaft verwandelt Selbstständige in An­ge­stellte. Der Vorteil: Man bleibt dabei selbst­ständig, bezieht aber ein festes Gehalt. Der Nachteil: Man zahlt die vollen Sozial­versicherungskosten.
In Zeiten der Krise wünschen sich viele Solo-Selbstständige einen sicheren wirtschaftlichen Halt. Den kann es geben: durch die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft. Die junge Berliner Genossenschaft Smart verwandelt hierbei Selbstständige in Angestellte, die trotzdem selbstständig bleiben. Die Mitglieder, zumeist eben Solo-Selbstständige, bringen ihre Einnahmen bei der Genossenschaft ein und beziehen daraus ein festes monatliches Gehalt. Der Nachteil: Sie müssen die vollen Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und sieben Prozent ihrer Rechnungsbeträge als Verwaltungskosten an die Genossenschaft abführen.


Magdalena Ziomek - Foto: Privat

Klingt dümmer als es ist: Smart nimmt den Mitgliedern dafür Verwaltungsarbeit ab, schreibt Rechnungen, treibt Forderungen ein und kümmert sich für die „Angestellten“ um die Steuern. Der Kunde unterschreibt eine Vereinbarung mit der Genossenschaft, die dann das Honorar in Rechnung stellt. „Unsere Mitglieder können sich auf ihre Arbeit konzentrieren“, erklärt Smart-Mitarbeiter Sebastian Hoffmann. „Viele sind produktiver, wenn sie sich auf die Sicherheit eines regelmäßigen Einkommens stützen können“, ergänzt Geschäftsführerin Magdalena Ziomek.
Das Gehalt, das ihnen die Genossenschaft bezahlt, müssen die Mitglieder allerdings selbst verdienen und Aufträge selbst akquirieren. Sie schätzen jeweils ihre Einnahmen der kommenden Monate und bestimmen daraus das Einkommen, das sie als Angestellte bei Smart verdienen möchten. Wer mag, kann auch weniger ansetzen und einen Teil seiner Einnahmen auf dem Smart-Konto liegen lassen. Erzielt man in einem Jahr sehr viel und im nächsten Jahr sehr wenig Umsatz, kann man mit dem daraus gemittelten Gehalt Steuern und Sozialabgaben sparen. Diese berechnen sich nur nach dem Gehalt, das die Genossenschaft auszahlt. Ein Anteil an der Genossenschaft kostet 50 Euro. Dafür erhält der Selbstständige auch eine Stimme – egal, wie viele Anteile er hält. Demokratischer ist keine andere Unternehmensform. Aktuell profitieren viele Genossinnen von den Corona-Regelungen. Wenn sie schon von dem 15. März bei Smart angestellt waren, beantragt die Genossenschaft für sie Kurzarbeitergeld. Außerdem sind sie über die Genossenschaft arbeitslosenversichert.
Modell sehr beliebt in Belgien
Für Mitglieder in der Künstlersozialversicherung (KSK) lohnt sich die Mitgliedschaft bei Smart meist nicht. Anders als über die KSK zahlt man hier nämlich die vollen Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung alleine. Wer allerdings neben seiner künstlerischen oder publizistischen Arbeit zu viel Geld in einer anderen Branche verdient, kann aus der KSK ausgeschlossen werden. Smart bietet eine Möglichkeit, diesen Rauswurf zu vermeiden: Man könnte sich zum Beispiel bei einer Genossenschaft mit einem Minijob anstellen lassen und Nebeneinkünfte darüber abrechnen. Alles andere läuft weiter wie bisher. Smart stellt den Mitgliedern frei, ob und wie viele der Einnahmen man in die Anstellung bei der Genossenschaft einbringen möchte.
Genossenschaften für selbstständige Kreative und Freiberufler gibt es mittlerweile viele in Deutschland, insgesamt 22.000, so der Deutsche Genossenschaftsverlag, und in zahlreichen Branchen: Fair-Kultur bringt Kreative und ihre Investoren zusammen; Krautreporter ermöglicht genossenschaftlich unabhängigen Journalismus; IT-Genossenschaften sichern freiberufliche IT-Fachkräfte ab. Sie alle haben aber eine Lücke: Die herkömmlichen Genossenschaften produzieren meistens etwas Bestimmtes, eine Online-Zeitung wie im Falle von Krautreporter, ein Kunstwerk oder sie stellen beispielsweise Aufführungsorte zur Verfügung. Was aber oft fehlt, ist ein Konzept zur Existenzsicherung – dies bietet die Festgehaltsstruktur einer Smart-Genossenschaft.
Entwickelt wurde das Smart-Konzept ursprünglich in Brüssel und ist dort seit über 20 Jahren populär. Mittlerweile hat Smart Büros in zahlreichen EU-Ländern aufgebaut.
Interessant ist das Modell auch für Selbstständige mit geringen Einnahmen. Die Krankenkassen zum Beispiel unterstellen jedem und jeder versicherten Selbstständigen ein Einkommen von mindestens 1.038 Euro im Monat. Wer weniger hat, zahlt trotzdem den daraus errechneten Mindestbeitrag von – je nach Kasse – etwa 180 Euro.
Wer zum Beispiel zwischen 600 und 1.000 Euro im Monat verdient, spart als angestelltes Mitglied bei Smart hier möglicherweise eine Menge Geld. Bands, Künstlergruppen und andere Kreative, die nur ab und zu zusammenarbeiten, nutzen Smart, um gemeinsam Aufträge abzurechnen. So ersparen sie sich den Aufwand, einen Verein oder eine GbR zu gründen. Sie treten der Genossenschaft bei und lassen sich dort anstellen. Sie rechnet die Aufträge der Mitglieder mit deren gemeinsamen Kunden ab. Auch Fahrradkuriere, Plattform-Arbeiter und freie Dozenten nutzen Smart, um ihrem gemeinsamen Marktauftritt mehr Gewicht zu verleihen. In Bremen gründet Smart derzeit ein eigenes bundesweites Bildungswerk, in dem sich freie Trainer und Lehrkräfte gemeinsam präsentieren können.
Entscheidend nennt Geschäftsführerin Ziomek das Vertrauen der Mitglieder in ihre Genossenschaft. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft berät und prüft die Rechnungen und Ausgaben. Ziomek kann sich nur an einen einzigen Betrugsversuch erinnern. Ein Mitglied hatte Fake-Aufträge gemeldet. Der Schaden blieb auf 700 Euro begrenzt, weil die Mogelei schnell auffiel: Die Mitglieder müssen ihre Aufträge vorlegen, die sie über Smart abrechnen wollen.
Robert B. Fishman
Info
Die Genossenschaft Smart Deutschland e.G. ist ein rechtlich und wirtschaftlich selbstständiger Partner der 1998 in Brüssel gegründeten belgischen Kooperative mit 75.000 Mitgliedern. Inzwischen gibt es Smart-Genossenschaften in acht europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, den Niederlanden, Österreich und Schweden. Zusammen erzielten sie 2018 einen Umsatz von 204 Millionen Euro. Die deutsche Smart-Genossenschaft hat ihren Umsatz bisher jedes Jahr fast verdoppelt und erwirtschaftete zuletzt mit 500 Mitgliedern und neun festen Mitarbeitern rund zwei Millionen Euro. Smart Deutschland arbeitet inzwischen mit zahlreichen Verbänden zusammen, über die neue Mitglieder zur Genossenschaft kommen. Mit dabei ist der Verband der Englischlehrer Berlin-Brandenburg, eine Vereinigung von Berliner Stadtführern, Kreatives Sachsen, der Verband der Kreativen in Deutschland und die Plattform Cooperatives Deutschland. Für 2020 rechnet Smart wegen der Corona-Krise mit „nur“ drei Millionen Euro Umsatz statt der ursprünglich geplanten vier Millionen.
www.smart-eg.de
Genosse Freiberufler
29.05.2020
Es klingt magisch – und funktioniert. Eine Genossen­schaft verwandelt Selbstständige in An­ge­stellte. Der Vorteil: Man bleibt dabei selbst­ständig, bezieht aber ein festes Gehalt. Der Nachteil: Man zahlt die vollen Sozial­versicherungskosten.
In Zeiten der Krise wünschen sich viele Solo-Selbstständige einen sicheren wirtschaftlichen Halt. Den kann es geben: durch die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft. Die junge Berliner Genossenschaft Smart verwandelt hierbei Selbstständige in Angestellte, die trotzdem selbstständig bleiben. Die Mitglieder, zumeist eben Solo-Selbstständige, bringen ihre Einnahmen bei der Genossenschaft ein und beziehen daraus ein festes monatliches Gehalt. Der Nachteil: Sie müssen die vollen Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und sieben Prozent ihrer Rechnungsbeträge als Verwaltungskosten an die Genossenschaft abführen.


Magdalena Ziomek - Foto: Privat

Klingt dümmer als es ist: Smart nimmt den Mitgliedern dafür Verwaltungsarbeit ab, schreibt Rechnungen, treibt Forderungen ein und kümmert sich für die „Angestellten“ um die Steuern. Der Kunde unterschreibt eine Vereinbarung mit der Genossenschaft, die dann das Honorar in Rechnung stellt. „Unsere Mitglieder können sich auf ihre Arbeit konzentrieren“, erklärt Smart-Mitarbeiter Sebastian Hoffmann. „Viele sind produktiver, wenn sie sich auf die Sicherheit eines regelmäßigen Einkommens stützen können“, ergänzt Geschäftsführerin Magdalena Ziomek.
Das Gehalt, das ihnen die Genossenschaft bezahlt, müssen die Mitglieder allerdings selbst verdienen und Aufträge selbst akquirieren. Sie schätzen jeweils ihre Einnahmen der kommenden Monate und bestimmen daraus das Einkommen, das sie als Angestellte bei Smart verdienen möchten. Wer mag, kann auch weniger ansetzen und einen Teil seiner Einnahmen auf dem Smart-Konto liegen lassen. Erzielt man in einem Jahr sehr viel und im nächsten Jahr sehr wenig Umsatz, kann man mit dem daraus gemittelten Gehalt Steuern und Sozialabgaben sparen. Diese berechnen sich nur nach dem Gehalt, das die Genossenschaft auszahlt. Ein Anteil an der Genossenschaft kostet 50 Euro. Dafür erhält der Selbstständige auch eine Stimme – egal, wie viele Anteile er hält. Demokratischer ist keine andere Unternehmensform. Aktuell profitieren viele Genossinnen von den Corona-Regelungen. Wenn sie schon von dem 15. März bei Smart angestellt waren, beantragt die Genossenschaft für sie Kurzarbeitergeld. Außerdem sind sie über die Genossenschaft arbeitslosenversichert.
Modell sehr beliebt in Belgien
Für Mitglieder in der Künstlersozialversicherung (KSK) lohnt sich die Mitgliedschaft bei Smart meist nicht. Anders als über die KSK zahlt man hier nämlich die vollen Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung alleine. Wer allerdings neben seiner künstlerischen oder publizistischen Arbeit zu viel Geld in einer anderen Branche verdient, kann aus der KSK ausgeschlossen werden. Smart bietet eine Möglichkeit, diesen Rauswurf zu vermeiden: Man könnte sich zum Beispiel bei einer Genossenschaft mit einem Minijob anstellen lassen und Nebeneinkünfte darüber abrechnen. Alles andere läuft weiter wie bisher. Smart stellt den Mitgliedern frei, ob und wie viele der Einnahmen man in die Anstellung bei der Genossenschaft einbringen möchte.
Genossenschaften für selbstständige Kreative und Freiberufler gibt es mittlerweile viele in Deutschland, insgesamt 22.000, so der Deutsche Genossenschaftsverlag, und in zahlreichen Branchen: Fair-Kultur bringt Kreative und ihre Investoren zusammen; Krautreporter ermöglicht genossenschaftlich unabhängigen Journalismus; IT-Genossenschaften sichern freiberufliche IT-Fachkräfte ab. Sie alle haben aber eine Lücke: Die herkömmlichen Genossenschaften produzieren meistens etwas Bestimmtes, eine Online-Zeitung wie im Falle von Krautreporter, ein Kunstwerk oder sie stellen beispielsweise Aufführungsorte zur Verfügung. Was aber oft fehlt, ist ein Konzept zur Existenzsicherung – dies bietet die Festgehaltsstruktur einer Smart-Genossenschaft.
Entwickelt wurde das Smart-Konzept ursprünglich in Brüssel und ist dort seit über 20 Jahren populär. Mittlerweile hat Smart Büros in zahlreichen EU-Ländern aufgebaut.
Interessant ist das Modell auch für Selbstständige mit geringen Einnahmen. Die Krankenkassen zum Beispiel unterstellen jedem und jeder versicherten Selbstständigen ein Einkommen von mindestens 1.038 Euro im Monat. Wer weniger hat, zahlt trotzdem den daraus errechneten Mindestbeitrag von – je nach Kasse – etwa 180 Euro.
Wer zum Beispiel zwischen 600 und 1.000 Euro im Monat verdient, spart als angestelltes Mitglied bei Smart hier möglicherweise eine Menge Geld. Bands, Künstlergruppen und andere Kreative, die nur ab und zu zusammenarbeiten, nutzen Smart, um gemeinsam Aufträge abzurechnen. So ersparen sie sich den Aufwand, einen Verein oder eine GbR zu gründen. Sie treten der Genossenschaft bei und lassen sich dort anstellen. Sie rechnet die Aufträge der Mitglieder mit deren gemeinsamen Kunden ab. Auch Fahrradkuriere, Plattform-Arbeiter und freie Dozenten nutzen Smart, um ihrem gemeinsamen Marktauftritt mehr Gewicht zu verleihen. In Bremen gründet Smart derzeit ein eigenes bundesweites Bildungswerk, in dem sich freie Trainer und Lehrkräfte gemeinsam präsentieren können.
Entscheidend nennt Geschäftsführerin Ziomek das Vertrauen der Mitglieder in ihre Genossenschaft. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft berät und prüft die Rechnungen und Ausgaben. Ziomek kann sich nur an einen einzigen Betrugsversuch erinnern. Ein Mitglied hatte Fake-Aufträge gemeldet. Der Schaden blieb auf 700 Euro begrenzt, weil die Mogelei schnell auffiel: Die Mitglieder müssen ihre Aufträge vorlegen, die sie über Smart abrechnen wollen.
Robert B. Fishman
Info
Die Genossenschaft Smart Deutschland e.G. ist ein rechtlich und wirtschaftlich selbstständiger Partner der 1998 in Brüssel gegründeten belgischen Kooperative mit 75.000 Mitgliedern. Inzwischen gibt es Smart-Genossenschaften in acht europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, den Niederlanden, Österreich und Schweden. Zusammen erzielten sie 2018 einen Umsatz von 204 Millionen Euro. Die deutsche Smart-Genossenschaft hat ihren Umsatz bisher jedes Jahr fast verdoppelt und erwirtschaftete zuletzt mit 500 Mitgliedern und neun festen Mitarbeitern rund zwei Millionen Euro. Smart Deutschland arbeitet inzwischen mit zahlreichen Verbänden zusammen, über die neue Mitglieder zur Genossenschaft kommen. Mit dabei ist der Verband der Englischlehrer Berlin-Brandenburg, eine Vereinigung von Berliner Stadtführern, Kreatives Sachsen, der Verband der Kreativen in Deutschland und die Plattform Cooperatives Deutschland. Für 2020 rechnet Smart wegen der Corona-Krise mit „nur“ drei Millionen Euro Umsatz statt der ursprünglich geplanten vier Millionen.
www.smart-eg.de
https://magazin-forum.de/de/node/18927#article

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