Lange war das streng katholische Irland Homosexualität erzkonservativ gegenüber eingestellt. Noch bis 1993 waren homosexuelle Beziehungen sogar strafbar. ( SPIEGEL ONLINE)
Dann aber gab es einen rasanten Wandel, der das Land in der Gleichstellung von Schwulen und Lesben heute fortschrittlicher dastehen lässt als beispielsweise Deutschland.
2007 wurde die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eingeführt. 2015 ließ Irland als erster Staat per Volksentscheid über die gleichgeschlechtliche Ehe entscheiden. 62 Prozent stimmten dafür, 38 Prozent dagegen - seit dem Referendum gibt es dort die Ehe für alle. Mit Leo Varadkar, 38, bekommt Irland bald seinen ersten offen schwulen Premier. (Zeit.de) Wie sieht das Leben queerer Iren heute aus? Hier erzählen drei, wie sie die Veränderungen erleben:
Mein Coming-out war wenige Monate her, als das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft in Kraft trat. Obwohl das Thema für mich als Teenie noch super weit weg war, wurde dadurch mein Gerechtigkeitssinn geweckt. Ich fragte mich: Warum bekommen wir eine Ehe zweiter Klasse? Warum nicht die richtige Ehe?
Mein Hauptanliegen im Kampf um Akzeptanz wurde aber ein anderes: Als ich 21 war, erfuhr ich von meiner HIV-Infektion. Davor war ich naiv und schlecht aufgeklärt. Nachdem ich den Schock überwunden hatte, steckte ich meine Energie in Kampagnen zu HIV-Prävention, zur Entstigmatisierung HIV-Infizierter und zur Priorisierung von HIV in der Politik.
Leider wurden Themen wie die Situation von HIV-Positiven und Transgender im Vorfeld des Referendums sehr zurückgestellt.
Niemand will über HIV sprechen, wenn gerade die gleichgeschlechtliche Ehe durchgesetzt werden soll, auch wenn die Infektionsraten wieder steigen. Bei Homo-Ehe-Kampagnen gibt es immer die Gefahr, die eigentlich vielseitige Queer-Bewegung an heteronormative Ideale anzupassen, nach dem Schema: "Wir wollen monogame Partnerschaften zwischen zwei Personen. Wir fühlen uns im richtigen Körper, wir sind keine Freaks - wir sind genau wie ihr!".
Seit dem Referendum hat sich viel verändert, privat und politisch. Meine Schwester und ihre Partnerin konnten endlich heiraten, und bald haben wir einen schwulen Premierminister.
Im Vorfeld des Referendums machte ich auf meine Art Kampagnen. Als ehemaliger Mr Gay Ireland bin ich einigermaßen bekannt in Dublin. Das nutzte ich für mehrere öffentliche Auftritte. Außerdem klingelten meine Mutter und ich in unserem Viertel, einer Dubliner Arbeitergegend, an 400 Türen und erzählten den Leuten persönlich, warum ihre Yes-Stimme wichtig ist.
Dabei hatte ich berührende, manchmal lustige, aber keine negativen Erfahrungen. Gerade in sozial benachteiligten Gegenden stimmten viele Leute mit Yes, denn die No-Kampagne argumentierte, nur die Konstellation Vater-Mutter-Kind wäre eine gute Familie. Bei Alleinerziehenden in Sozialwohnungen kam das natürlich gar nicht gut an.
„Ich halte politisch wenig von Leo Varadkar, doch sein Erfolg zeigt, wie stark sich Irland verändert hat. "
Seit dem Referendum hat sich viel verändert, privat und politisch. Meine Schwester und ihre Partnerin konnten endlich heiraten, und bald haben wir einen schwulen Premierminister. Ich halte politisch wenig von Leo Varadkar, doch sein Erfolg zeigt, wie stark sich Irland verändert hat.
Auch die Medienberichterstattung ist heute völlig anders. Vor kurzem sprühte jemand "Faggots" an einen Schwulenclub in Dublin. Die irischen Mainstreammedien verurteilten allesamt die Tat. Das wäre vor zehn Jahren noch anders gewesen: Sie hätten entweder gar nicht oder nicht so verurteilend berichtet.
Das Referendum veränderte mein Leben grundlegend: Es gab mir die letzte Portion Mut, die mir zu meinem Coming-out noch fehlte. Als ich hörte, wie meine Eltern einige Monate vor dem Entscheid darüber sprachen, dass sie natürlich mit "Yes" stimmen würden, war das ein Schlüsselmoment - auch wenn ich wusste, dass sie nicht homophob waren.
Am Abend des Entscheids war ich mit meiner Zwillingsschwester feiern und übernachtete bei ihr. Am folgenden Morgen saßen wir verkatert auf ihrem Zimmerboden. Sie quatschte von irgendeinem Kerl, den wir getroffen hatten. Und dann hatten wir einen Dialog, den ich nie vergessen werde.
-Úna, der Typ gestern, der war ja sehr interessiert an dir. Ich bin aber nicht interessiert. (Pause) Ich bin nie interessiert. -Was meinst du? Ich glaube, ich stehe auf Frauen. - (Pause) Aha.Ich hatte mein Coming-out nicht geplant. Ich dachte auch nicht: "Oh, sie hat Yes gestimmt, sie hat sicher kein Problem damit, dass ich lesbisch bin." Es platzte einfach aus mir heraus, ich sah keinen Grund mehr, mich zu verstecken.
„Von einem sorgenfreien, gleichberechtigten Dasein sind Queere aber auch in Irland noch weit entfernt."
Ihre Miene veränderte sich kaum. Es war einfach kein großes Ding für sie, und das erleichterte mich ungemein. Sie half mir dann bei meinem Coming-out gegenüber unserer älteren Schwester und die sagte es meinen Eltern. Ich hatte so lange gebraucht, um meine Homosexualität zu akzeptieren, dass ich fürchtete, ihnen würde es ähnlich gehen. Doch im Gegensatz zu mir selbst mussten sie keine Sekunde überlegen, sie reagierten positiv und unterstützend.
Einige Zeit nach dem Referendum lernte ich meine erste feste Freundin kennen, sie stammt aus Nordirland. Als einziger Staat Großbritanniens hat Nordirland die gleichgeschlechtliche Ehe nicht eingeführt. Dass sie in meinem jetzt Land möglich ist, gibt uns als Paar eine neue Perspektive.
Von einem sorgenfreien, gleichberechtigten Dasein sind Queere aber auch in Irland noch weit entfernt. Ich traue mich nicht, in der Öffentlichkeit meine Partnerin an der Hand zu halten oder zu küssen. Nicht aus Angst vor physischer Aggression, sondern vor blöden Sprüchen. Es ist auch heute noch normal, dass sich Menschen auf der Straße nach homosexuellen Paaren demonstrativ umdrehen, sie anstarren oder schlicht "Lesben!" rufen.
Dem will ich mich nicht aussetzen. Es wäre anstrengend, ständig Aufmerksamkeit zu erregen. Außerdem wird man in solchen Momenten schmerzhaft daran erinnert, dass immerhin 38 Prozent gegen unsere Rechte gestimmt haben.
Im Irland der Neunzigerjahre gab es schon in der Grundschule strikte Rollentrennung. Die Jungs durften auf riesigen Plätzen Fußball spielen. Ich wollte auch, ich war schon immer sehr sportlich, stattdessen musste ich aber zum Strickunterricht. Weil ich das hasste und auch nicht gut konnte, wurde ich ausgeschimpft: Ich wäre "nicht damenhaft".
„ Ein Coming-out wäre damals sozialer Selbstmord gewesen."
Mir war bereits klar, dass ich irgendwie anders war, doch als Kind wusste ich nicht einmal von der Existenz Homosexueller. In der Pubertät war mir dann klar, dass ich eine von ihnen war - doch ein Coming-out wäre damals sozialer Selbstmord gewesen.
Erst an der Uni wurde alles anders. Ich trat in die LGBT-Hochschulgruppe ein und wurde Aktivistin.
Bei der Kampagne für die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften war ich bereits voll dabei. Als das Gesetz verabschiedet wurde, hoffte die Regierung, wir würden uns damit zufriedengeben. Das Gegenteil war der Fall: Die queere Community wusste nun, dass sie nicht länger ignoriert werden konnte, und begann, Lobbying für die gleichgeschlechtliche Ehe zu machen. Währenddessen wurde ich Vorstandsmitglied der LGBT-Hochschulgruppe, setzte mich für Visibility und Anti-Diskriminierung auf dem Campus ein.
Homophobe Arschlöcher wird es immer geben, doch insgesamt ist Irland heute so tolerant und offen wie nie.
Bei der Yes-Kampagne für die Ehe wurde ich zu einem wandelnden Megaphon: Ich ergriff die Stimme bei Uni-Debatten, sprach mit Freunden, Familie, Nachbarn - jedem, der mir halbwegs zuhörte.
Seit dem Referendum hat sich die irische Gesellschaft definitiv verändert. Auch viele "ganz normale" Leute wurden aufgerüttelt und setzten sich mit strukturellen Ungerechtigkeiten auseinander. Außerdem gab es eine große Anzahl Homosexueller, die sich endlich trauten, sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Plötzlich wurde sichtbar, dass LGBT-Rechte nicht so ein marginales Thema waren, wie immer behauptet wurde.
Homophobe Arschlöcher wird es immer geben, doch insgesamt ist Irland heute so tolerant und offen wie nie. Ab und zu sehe ich noch heute Yes-Buttons an Rucksäcken oder Kleidung, und dann muss ich lächeln. Heute kann ich etwas von mir sagen, was ich vor einigen Jahren nie gesagt hätte: Ich bin stolz, lesbisch und irisch zu sein.