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Ein schwieriges Kind

Rappender Antiheld aus der Unterschicht: Bushido

Deutschsprachiger Hip-Hop ist längst erwachsen geworden. Bis dahin war es allerdings ein langer Weg


"Wir sind die Fantastischen Vier/Und sind hier/ Mit jeder Menge Bier": So lesen sich die ersten Gehversuche deutscher Hip-Hop-Lyrik. Auf Deutsch rappen, so schien es, durfte nur, wer sich selbst nicht zu ernst nahm. Worüber hätte man auch texten sollen? Drogen, Bitches, Knarren und was sonst noch auf der Agenda der amerikanischen Vorbilder stand, gab es in dieser Form in Deutschland nicht. Der Österreicher Falco, der schon in den 80ern Hip-Hop-Elemente adaptiert hatte, rappte sich in seinen Texten ein halbfiktionales Wien zurecht, das er zum Sündenpfuhl hochstilisierte. In Deutschland ging es zunächst vor allem um eines: Fun.


Abseits des Mainstream konnte man allerdings auch anders: Die Heidelberger Formation Advanced Chemistry fand bereits auf ihrer Debütsingle "Fremd im eigenen Land" (1992) Wege, um kunstvoll und sozialkritisch zu rappen. Die Charts dominierten aber Gruppen wie Fettes Brot und Fünf Sterne Deluxe. Ihre Musik war partytauglich, die Texte charmant und meist belanglos. Trotzdem: Es machte Spaß, dabei zuzuhören, wie junge Sprachkünstler versuchten, die Ausdrucksweise ihrer Idole zu übersetzen - und ihre eigene Form fanden: Fischmob, die Beginner und Fünf Sterne Deluxe sampleten sich durch die Popgeschichte, bedienten sich bei Schnulzensänger Ricky Nelson ebenso wie bei R'n'B-Gott Otis Redding. In dieser Phase erinnerte der deutsche Hip-Hop eher an die Pop-Collagen von Beck als an puristischen Gangsta-Rap. Hier vermengten Freundeskreis Soul und multilinguale Raps zu einer radiotauglichen Mischung, dort versetzten Deichkind dem Sprechgesang elektrische Schläge.


Aus Stuttgart kamen Afrob und die Massiven Töne. Die Hamburger Schule brachte Bad Boys wie Ferris MC und Samy Deluxe hervor. Doch obwohl der deutsche Hip-Hop florierte, ließ sich eines nicht leugnen: Kein Künstler hatte es geschafft, glaubhaft den Lifestyle der Original Gangstas zu verkörpern. Das änderte sich, als Bushido seine erste Platte veröffentlichte: "Vom Borderstein bis zur Sykline" führte deutschen Hip-Hop ins Ghetto.

Den Grundstein hatte zuvor der türkisch-stämmige Kool Savas mit seinen Flegeltexten gelegt. Doch Bushido inszenierte sich noch größer. "Ich lebe für den Block", rappte er. Mit seinem maskentragender Counterpart Sido wurde er zum Antihelden aus der Unterschicht, zum self-made-Superstars mit Migrationshintergrund. Bushido und Sido sind immer noch gut im Geschäft, haben sich künstlerisch aber längst selbst überlebt. Hip-Hop hat sich ohne sie weiterentwickelt.


Heute müssen deutsche Rapper weder albern noch provokant sein, um Erfolg zu haben. Casper bellt sich mit sensiblen, introvertierten Texten an die Spitze der Charts. Marteria rappt über die Freuden des Vatersei. Das schwierige Kind Hip-Hop ist erwachsen geworden. Endlich.

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