Das wäre schon ziemlich absurd gewesen, wenn wir ertrunken wären. Schließlich sind wir Schwimmerinnen", sagt Yusra Mardini über ihre Flucht aus Syrien. Sie sitzt mit ihrer Schwester Sara in der Gaststätte ihres Schwimmvereins im Berliner Olympiapark. Es ist eine seltene Zusammenkunft, denn während die Schwimmbecken hier Yusras Lebensmittelpunkt geworden sind, hat es Sara als freiwillige Helferin zurück nach Griechenland gezogen.
Und es ist ein ironisches Bild, dass ausgerechnet hier, wo sich das "Dritte Reich" bei den Olympischen Spielen 1936 vor den Augen der Welt inszenierte, 80 Jahre später eine der stärksten Geschichten der Flüchtlingskrise in die Welt hinausgetragen wurde - als Yusra Mardini als Mitglied des ersten Refugee Olympic Teams für die Spiele in Rio de Janeiro 2016 bekannt wurde.
Nach 15 Minuten fiel der Motor ausSportlerinnen waren Yusra und Sara schon in Damaskus. Die Töchter eines Schwimmlehrers und einer Physiotherapeutin wurden als Kleinkinder ins kalte Wasser geworfen und schwammen seit ihrer Kindheit für das syrische Nationalteam. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs ging das Leben der Mädchen, die behütet aufgewachsen waren, zunächst normal weiter. Noch im Jahr 2012 vertrat Yusra Mardini Syrien bei den Kurzbahn-Weltmeisterschaften in Istanbul und stellte einen Landesrekord über 400 Meter Freistil auf.
Im gleichen Jahr begannen die Luftangriffe auf Damaskus. Bomben rissen Löcher in das Dach ihrer Trainingsanlage, ihr Haus wurde zerstört. Die Mädchen konnten nicht mehr geregelt in die Schule, nicht mehr an die Uni, nicht mehr zum Training. Als die ersten Bekannten ums Leben kamen, entschlossen sich Yusra und Sara, gerade 17 und 19 Jahre alt, mit zwei männlichen Verwandten im Sommer 2015 zu fliehen. "Wir mussten einfach gehen, weil wir nichts mehr hatten", sagt Yusra Mardini.
Im Flugzeug ging es zunächst über den Libanon in die Türkei. Dort nahmen sie Kontakt zu Schleppern auf, die sie an die griechische Küste bringen sollten. Mit einer Gruppe von 20 Flüchtlingen, unter ihnen ein Kind und nur eine weitere Frau, bestiegen sie ein Schlauchboot, das eigentlich für sieben Personen gedacht war. Die Überfahrt sollte 45 Minuten dauern, aber nach 15 Minuten fiel der Motor aus, das Boot nahm Wasser auf.
Yusra, Sara und zwei Männer, von denen nur einer schwimmen konnte, sprangen ins Wasser. Sie zogen das Boot und schnitten aus dem Wasser Grimassen, um das verängstigte Kind aufzumuntern. Die Männer wechselten sich ab, Yusra und Sara hielten durch. Nach dreieinhalb Stunden erreichten sie Lesbos und nach fast einem Monat über die Balkanroute Deutschland.
Dann kam auf einmal alles andersDie Ankunft in Berlin war nicht gerade paradiesisch. "Die Leute, die es geschafft haben, haben immer so positiv über Deutschland gesprochen", sagt Sara. "Aber es gab nicht mal Sonne. Und ich habe einfach alles vermisst, meine Eltern, meine kleinere Schwester, das Essen. Man hat uns gefragt, ob wir wirklich Flüchtlinge sind, weil wir Turnschuhe und Telefone hatten. Als seien alle Flüchtlinge bettelarm! Wir sind vor einem Krieg geflohen. Wir brauchen eine Zukunft, nicht euer Geld! Wenn man uns lässt, dann finden wir schon unseren eigenen Weg."
Wochenlang standen die Mädchen tagsüber vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales Schlange, nachts schliefen sie auf dem Boden der Flüchtlingsunterkunft. Dort erzählte ein Übersetzer ihnen von einem Schwimmverein. Als Yusra und Sara bei den Wasserfreunden Spandau 04 Probe schwammen, sah Trainer Sven Spannekrebs auf Anhieb, dass die beiden professionell trainiert hatten. Sara hatte sich in Syrien eine Schulterverletzung zugezogen, die sich durch die Flucht verschlimmert hatte und ihre Leistung beeinträchtigte.