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Kickdrums der freien Gesellschaft

Vor 30 Jahren zogen erstmals Raver durch Berlin. Was viele als stumpfe Party-Demonstration abtaten, hat bis heute eine unterschätzte politische Dimension.


Adorno, der zeitlebens Versuche, politischen Protest mit "popular music" zusammenzubringen, als oberflächliche Anmaßung verachtete, hat sich am 1. Juli 1989 möglicherweise mehrfach in seinem Grab umgedreht. Etwa 150 Menschen zuckten an jenem Samstag über den nieselregennassen Berliner Kurfürstendamm. Eine politische Demonstration, so war es zumindest bei der Stadt angemeldet, zwei Pritschenwagen, darauf ein Stromgenerator und eine Soundanlage mit der popular music der Stunde, Acid House und früher Techno. Offizielles Motto: "Friede, Freude, Eierkuchen" - die erste Loveparade.

Zwölf Jahre später entzog das Verwaltungsgericht Berlin der Loveparade ihre rechtliche Einordnung als Versammlung. Es fehle ihr an der "Erfordernis der gemeinsamen Meinungskundgabe", der damalige Slogan der mittlerweile zur Groß-Gmbh gewachsenen 2001er-Parade ("Join The Love Republic") wurde als nicht ausreichend gewertet, um der Stadt die alljährliche Reinigung der verstopften Straßen rund um Friedensengel und Tiergarten aufzudrücken.


Außerdem war Techno für viele mittlerweile Maschinenmusik, Rhythmusgefrickel, hohles Versprechen von Fun, Fun, Fun für schlaflose Kapitalismus-Junkies. Hat Adorno also recht behalten? War auch bei der Loveparade der Versuch, populäre Musik mit Protest zu verschränken, zum Scheitern verurteilt? Gab es diesen Versuch überhaupt? Missbrauchen Techno-Trucks auf der Straße nicht viel mehr das Versammlungsrecht für stumpfen Hedonismus? Und: Ging es bei Techno jemals um Politik?

Die Antwort: Auf jeden Fall! Das Politische im Techno und seiner Schwester House äußert sich nicht in Songtexten oder Slogans, sondern in den geschaffenen Räumen und Erfahrungen.


Die Ursprünge des Techno liegen im Detroit der Achtziger, bei schwarzen Kids wie Juan Atkins und Derrick May, die den Synthie-Sound britischer Wave-Bands und die kühle Funkyness von Kraftwerk in eine eigene, neue Sprache übersetzten. Die in der Community bis dahin dominante Zuversicht des Motown-Soul passte nicht länger zu ihrer Lebensrealität: Die Stadt war im Niedergang begriffen, Fabriken machten dicht, Detroit spaltete sich in weiße, wohlhabende Vorstädte und ärmliche, schwarze Viertel. Mit Techno erschufen sich die Pioniere eine Roboter-Utopie, in der Mensch und Maschine zu Überwesen verschmolzen. Parallel dazu entstand in Chicago die Housemusik als härtere Essenz-Variante von Disco, wie gemacht für die queeren, exzessiven Lagerhallen-Partys der dortigen schwarzen Community.

Diese Partys, sowohl im Techno als auch im House, waren also von Beginn an Orte, an denen Unterschiede von Klasse, Herkunft und Geschlecht bewusst vermischt oder demonstrativ ad absurdum geführt wurden: Du denkst, ich bin ein armer schwarzer Junge aus dem Elendsviertel? Ich bin eine Diva mit grünen Haaren. Oder: Ich bin eine verdammte Mensch-Maschine!



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