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Crystal Meth: Weiter, weiter, weiter

Crystal Meth: Weiter, weiter, weiter

Mütter, Manager, Fabrikarbeiter - quer durch die Gesellschaft wird Crystal Meth konsumiert. Immer mehr. Die Droge passt zum Zeitgeist. Sie steigert Leistung und Spaß. Aber macht die Menschen kaputt. Ein Besuch in einer Klinik.

(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Immer wenn ein DJ das Lied „Drei Tage Wach“ im Club auflegte, schmunzelte Rico*. „Drei Tage sind doch Standard. Ich schaffe mehr“, dachte er. Manchmal machte er eine Woche lang kein Auge zu, dann schlief er zwei Stunden. „Augenentspannung“ nannte er das. Morgens zog er eine „Line“ Crystal Meth und arbeitete 16 Stunden auf der Baustelle.

Mit 15 Jahren hatte Rico angefangen zu kiffen, dann kamen Ecstasy, Trips, Amphetamine. Als er 17 war, sagte einer aus der Szene: Probier mal Crystal Meth. Man kann es rauchen, schnupfen, ziehen, spritzen, essen. Rico zog eine Line, fünf Zentimeter lang. „Es war etwas ganz Neues. Ich war der König der Welt.“ Crystal wirkte bei ihm wie eine unendliche Adrenalinspritze. Weiter. Weiter. Weiter.

Heute sitzt er im Garten vor der Bezirksklinik Hochstadt. Die Suchtklinik in der fränkischen Provinz ist auf Patienten spezialisiert, die Methamphetamine wie Speed oder Crystal Meth konsumieren. Die Klinik liegt auf einem weit verzweigten Gelände, in den Gemäuern eines alten Klosters. Sicherheit geht hier vor. An vielen Türen muss man eine Klingel drücken und auf das Summen warten. Die Toiletten sind abgeschlossen, damit die Patienten dort nicht heimlich Drogen konsumieren. Wer die Toiletten als Gast benutzen möchte, bekommt einen Begleiter, der aufschließt. Im Eingangsbereich stehen alte Computer, darüber baumelt das Schild: „Online-Spiele sind verboten.“

Rico lümmelt auf einer Holzbank. Der Fünfunddreißigjährige sieht aus, als ob er oft im Kraftraum übernachtet. Wuchtige Brust, federnder Gang. Heute wiegt er muskulöse 105 Kilo. Bevor er in die Klinik kam, war er auf 75 Kilogramm abgemagert. Das Crystal hat die typischen Unreinheiten auf seiner Haut hinterlassen. Viele Süchtige drücken stundenlang darauf herum und verformen ihr Gesicht damit wie Knete. In den vergangenen drei Jahren wurde es extrem, da schnupfte Rico morgens, mittags, abends. Ein Gramm pro Tag waren Standard, der Marktpreis liegt dafür zwischen 80 und 120 Euro. „Ohne die Nase bin ich nicht mal mehr zum Brötchen kaufen raus“, sagt er.

Am 2. Januar 2012 traten sechs Polizisten in Zivil die Tür seiner Bayreuther Wohnung ein. Sie hatten einen Tipp aus der Szene bekommen. Die Hunde erschnüffelten 3,5 Gramm Crystal, die Beamten fanden 1000 Euro Bargeld. Rico hatte eine halbe Stunde zuvor noch eine Line gezogen, sechs Tage nicht geschlafen. Das Gericht verurteilte ihn zu Bewährung, gerade noch. Die Auflage: Entgiftung und Therapie. Als er in Hochstadt ankam, dachte er: „Die können mir gar nichts, ich mach’ so weiter.“

Crystal Meth ist eine synthetische Droge aus der Gruppe der Methamphetamine. „Crystal Meth führt zu einer extrem hohen Dopamin-Produktion. Dieser Stoff wird ausgeschüttet, wenn wir positive Erlebnisse empfinden. Die Menschen merken sich diesen Zustand in ihrem emotionalen Gedächtnis“, sagt Rafael Riera, Chefarzt in Hochstadt. Wenn ein gutes Essen eine Dopaminausschüttung vom Faktor 60 hätte, liegt guter Sex bei 120. Und ein Amphetaminrausch bei 2500. Es ist ein extrem gefährlicher, süchtig machender Glücksstrudel. Viele der Nutzer werden schnell psychisch abhängig. Süchtige auf
Entzug sind antriebslos, lethargisch und verfallen körperlich.

Crystal wird vor allem in Tschechien produziert und breitet sich in Bayern und Sachsen rasant aus. Deutsche Zöllner haben 2013 etwa doppelt so viel Crystal Meth beschlagnahmt wie im Vorjahr. 47 Ki- logramm gingen ihnen ins Netz – das sind 23 Kilogramm mehr als 2012. Auch die Politik reagiert. Mitte März erschien die erste öffentlich geförderte Studie zu Crystal Meth in Deutschland, in Auftrag gegeben vom Gesundheitsministerium. Die Autoren des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) aus Hamburg befragten insgesamt 400 Konsumenten. Die Erhebung ist nicht repräsentativ, die Ergebnisse dürfen nicht überinterpretiert werden. Dennoch werfen die Aussagen der Konsumenten ein Schlaglicht auf eine Droge, die wie für den Zeitgeist gemacht scheint.

Die Motive sind häufig: Leistung und Spaß. Es nehmen Frauen, die Gewicht verlieren wollen und deshalb Crystal ziehen. Jugendliche, die nach dem besten Sex ihres Lebens suchen. Fabrikarbeiter, die nur mit Crystal die harte Schicht durchhalten. Leute wie diese sitzen dann vor Annegret Sievert in Hochstadt. Sie ist Suchttherapeutin und sagt: „Crystal ist keine reine Partydroge wie Ecstasy. Viele bekommen sie am Arbeitsplatz angeboten. Wir leben in einer Leistungs- und Spaßgesellschaft. Unsere Patienten wollen überall dabei sein und alles machen.“

17 Jahre lang nahm Rico Crystal Meth. „Klar hat es mich verändert“, sagt er. Er stand ständig unter Strom, stritt sich wegen Nichtigkeiten. Er vergaß Termine und ließ sich krankschreiben. Bei der Arbeit funktionierte Rico. Er begann, Glasfenster zu montieren, brach dann ab und startete ein neues Projekt. Er weißelte einen Raum in Rekordzeit und dachte: Wo ist der nächste? Sievert sagt: „Die Leute müssen bei uns wieder lernen, eine Sache zu Ende zu bringen.“ Sievert und ihre Kollegen haben das erste Therapieprogramm für Crystal- Süchtige entwickelt. Die Therapeuten setzen auf Eigeninitiative und Struktur.

Der Tag in der Klinik ist eng getaktet. Sieben Uhr aufstehen. Dann muss jeder Patient frühstücken und sich außerdem in eine Anwesenheitsliste eintragen. Am Vormittag arbeiten die Patienten in der Hausreinigung, in der Schreinerei, machen Küchendienste, werkeln mit einem Maurermeister oder pflegen den Garten. Am Nachmittag sitzen die Patienten in der Gruppentherapie und sprechen über ihre Sucht. In kleineren Gruppen trainieren sie soziale Fähigkeiten. Wie gehe ich mit anderen um? Wie stelle ich einen Antrag auf dem Amt? Es gibt einen Kraftraum, eine Grillstelle, Fitnessräume.

Die Währung der Klinik sind Punkte. Wer arbeitet, den Fitnessraum putzt, das Bett macht, Laub zusammenrecht, den Winterdienst übernimmt, sammelt Punkte. Punktabzug gibt: Handy vor 16 Uhr, Zuspätkommen, Nichterscheinen zur Therapie. „Die unterschiedlichen Leute leben hier in einer Beziehung miteinander. Da braucht es Regeln“, sagt Sievert. Der älteste Patient ist um die 60 Jahre alt, los geht es bei Achtzehnjährigen. 90 Prozent sind Männer. Es sind Handwerker dabei, junge tätowierte Burschen, aber auch vereinzelt Mütter von kleinen Kindern. Wer 100 Punkte gesammelt hat, darf alleine einkaufen gehen. Patienten mit 150 Punkten können die Klinik vier Stunden in der Woche verlassen. 380 bedeuten zwei Mal im Monat nach Hause fahren. Rico hat in fünf Monaten 722 gehamstert.

Rico feierte auch Silvester in der Klinik. Die Patienten veranstalteten eine Disko, harter Techno wum- merte. Da spürte er plötzlich wieder diesen Druck. Es war wie früher, die ganze Nacht durchtanzen. Nur eines fehlte. „Jetzt eine Line. Ich hatte schwitzige Hände, einen Kloß im Hals“, sagt Rico. Er ging in den Fernsehraum und legte sich schnell schlafen. Ganz normal, sagte die Therapeutin am nächsten Tag zu ihm. Süchtig ist man sein Leben lang.

23 Wochen ist Rico nun in der Klinik, am kommenden Dienstag wird er entlassen. Wie er sich fühlt? „Zwiespältig. Ich muss meinen alten Freundeskreis meiden.“ Er wird zurück nach Bayreuth ziehen, seine Frau wohnt dort, seine Eltern auch. Er will eine Selbsthilfegruppe besuchen, zwei Mal die Woche. Sechs bis acht Mal im Jahr muss er einen Urintest abgeben, Haarproben abliefern. „Seit ich 15 bin, hänge ich in der Drogenszene. Das ist ein ganz neuer Lebensabschnitt“, sagt er. Rico will wieder auf dem Bau arbeiten. Zeit mit seinem Sohn verbringen.

Ein Mal im Jahr veranstaltet die Klinik ein Sommerfest und lädt alle ehemaligen Patienten ein. Manche kommen, andere nicht. Wie viele der Patienten wann rückfällig werden – das ist kaum zu messen. Viele der Patienten ziehen weg oder sind nicht mehr telefonisch erreichbar. „Ein Rückfall ist keine Kata- strophe. Der Erfolg einer Suchtthe- rapie zeigt sich daran, wie sich die Patienten verhalten, wenn sie rückfällig zu werden drohen oder rückfällig werden“, sagt Chefarzt Riera. „Wenn sie sich gleich Hilfe holen, war die Therapie erfolgreich.“

*Name geändert.