Morgan Love zog von Melbourne nach Berlin, um die Welt zu entdecken. Er fand das Kater Holzig - aber kein gutes Frühstück. Also brachte er die australische Brunchkultur selbst in die Hauptstadt - mit beachtlichem Erfolg. Jetzt hat er eine neue Mission. Text und Bilder: Philipp Nagels
Wenn sie nicht so laut wäre, würde man sie sich sofort ins Wohnzimmer stellen. Gusseisern und mit goldglänzenden Armaturen steht die Maschine da und wirft geröstete Kaffeebohnen aus. Im Kühlbecken werden sie von silbernen Metallarmen durchpflügt, ein leises Meeresrauschen mischt sich unter den Betriebslärm. „Es ist wichtig, dass sie schnell herunterkühlen", erläutert Morgan Love. „Daher werden sie ständig in Bewegung gehalten." In der Rösttrommel erreichen die Bohnen eine Maximaltemperatur zwischen 206 und 213 Grad Celsius, abhängig von der Sorte. Morgan: „Wir rösten immer bis zum ersten Knacken, nie bis zum zweiten. Dann haben sie das Aromaprofil, das wir anstreben."
Morgan (30) ist Australier und lebt seit Ende 2011 in Berlin. Zusammen mit seinem Cousin James Maguire (31) betreibt er in Berlin die Kaffeerösterei Fjord Coffee, sowie die Cafés Silo Coffee in Friedrichshain und Commonground in Mitte. Dies mit einer Mission: „Ich möchte die Esskultur in Berlin vorantreiben und versuchen, die Menschen dazu zu bringen, Neues auszuprobieren." Er wolle vermitteln, was er an dem Essen so sehr möge, das viele hier noch nicht probiert hätten. Morgan - hellblaue Augen, dunkelblonde Tolle, Dreitagebart - strahlt, wenn er von seinen Projekten erzählt.
Zwei Australier also, die den Berlinern Essen und Kaffee nahebringen wollen - das muss er mal genau erklären. Und die Sache mit dem Knacken auch.
Die Rösterei befindet sich in einem Industriegebiet zwischen den Ortsteilen Lichtenberg und Marzahn. Eine abgelegene Straße, Ziegelsteinbauten zu beiden Seiten. In einem haben James und Morgan eine kleine Halle gemietet. Das Garagentor, das den Eingang bildet, steht auf Halbmast. Hier läuft gerade die Wochenproduktion von hochwertigem Kaffee. Specialty coffee, so nennt man das heute. Außer den beiden Cousins sind da noch Michael, der Röster, und Alice, die beim Verpacken hilft.
Rösttage sind lange Tage. Dreißig Chargen à neun Kilo wird Michael heute bis Mitternacht rösten. Etwa dreihundert Kilo Kaffeebohnen pro Woche, das ist der Schnitt. „Wir haben Anfang 2016 mit hundert Kilo pro Woche angefangen und sind sehr zufrieden mit dem bisherigen Wachstum", erklärt Morgan. Fjord Coffee importiert Bohnen aus aller Welt - unter anderem Kolumbien, Guatemala, Äthiopien, Ruanda und Kenia. Im hinteren Bereich des Raumes lagern sieben Paletten gefüllter, fotogener Kaffeesäcke. Auch die würde man sich ins Wohnzimmer stellen.
Die Kaffeebohnen kauft Fjord Coffee in aller Welt ein.
Kaffeerösten ist im Prinzip ganz einfach und natürlich total kompliziert - zumindest, wenn man zu den sogenannten „Third Wave"-Röstern gehört. Das sind die Produzenten, die Kaffee ähnlich wie guten Wein sehen: Als Genussmittel, das sehr komplexe Aromen hervorbringen kann, wenn man es richtig behandelt, und nicht vorrangig als Allerweltsprodukt und Wirtschaftsware.
Und wie funktioniert das jetzt dieses „Dritte Welle"-Herstellen von Kaffee? Michael füllt eine Charge Bohnen - die tatsächlich keine Bohnen sind, sondern die Kerne von Kaffeekirschen - durch einen Trichter in die rotierende Rösttrommel. Mit einem Gasbrenner erhitzt der Röster die Bohnen. Vier Thermometer liefern ihm Daten zur Temperatur an verschiedenen Stellen der Maschine. Neben dem Gas kontrolliert er die Luftzufuhr und die Rotationsgeschwindigkeit der Trommel.
Die Informationen werden auf einem großen Monitor grafisch abgebildet. Eine Idealkurve zeigt, wie der Röstvorgang für eine gegebene Bohnenart idealerweise verlaufen sollte. Michael: „Im Prinzip versucht man der Kurve zu folgen." Der Haken: Die Umgebungsbedingungen beeinflussen den Prozess. Im Winter muss der Röster die Parameter anders konfigurieren, als im Sommer, auch wenn es sich um dieselbe Kaffeesorte handelt.
Knochenarbeit mit High-Tech-Element: Kaffeeröster Michael beobachtet die Hitzeentwicklung in der Röstmaschine.
Nach zehn Minuten rotieren und erhitzen gilt es, die richtige Temperatur abzupassen, um den Röstvorgang zu beenden. Nach dem ersten Knacken nämlich. Das ist zu hören, wenn die Bohnen heiß genug sind, um im Inneren Gase zu bilden, die sie aufplatzen lassen. Röstet man danach weiter, bis zum zweiten Knacken, verlieren die Bohnen weiter an Säure und die Aromen, die durch den karamellisierten Zucker entstanden sind, werden zunehmend von bitteren Röstaromen überdeckt.
Das ist nicht per se ein Fehler, sondern auch eine Stilfrage, wie Morgan erklärt. Im italienischen und französischen Raum wird Kaffee eher dunkel geröstet, mit einer entsprechend starken Betonung der Röstnoten. Der nordische Stil, an dem sich Fjord Coffee orientiert, legt mehr Wert auf die Aromen, die sich aus der Bohne entfalten, bevor sie verbrannt ist. „Der Zucker in der Bohne soll karamellisieren und die Säure soweit reduziert sein, dass der Kaffee angenehm trinkbar wird", so Morgan, „aber wir wollen eine gewissen Säure im Kaffee behalten."
Das macht den specialty coffee tatsächlich speziell: Die Macher arbeiten mit viel Aufwand daran, ihm ein bestimmtes Aromenprofil mitzugeben. Sie behandeln jede Sorte individuell und versuchen, ihre Besonderheiten herauszukitzeln. Kaffee setzt sich aus mehr Aromen zusammen als Wein. Schmeckbar wird diese Komplexität allerdings nur, wenn er entsprechend produziert und aufbereitet worden ist.
Kaffee aus Kolumbien im Rohzustand.
Als Morgan und James vor sechs Jahren nach Berlin kamen, habe es nur eine Handvoll von Cafés gegeben, die Kaffee auf sehr hohem Niveau angeboten hätten, erinnert sich Morgan. Inzwischen seien es gut zwei Dutzend. Das Silo Coffee, eröffnet 2013, und das Commonground, eröffnet Anfang 2017, gehören dazu. Fjord Coffee beliefert neben den Cafés der beiden Inhaber auch Gastronomen in Tschechien, Polen, London und Amsterdam. Das Geschäft als Zulieferer macht 99 Prozent des Umsatzes der Rösterei aus.
Kurze Pause, wir gehen die Straße herunter zur Braustaube Marzahn (auf der Karte unter anderem: Pale Ale Wedding und der Brauteller Klassik: zwei Börsenknacker, saure Gurke und Senf, dazu ein Braufladen). „Ich mag tatsächlich wirklich schlechten Kaffee", berichtet Morgan. „Früher habe ich den viel getrunken, deshalb hat das fast eine gewisse Nostalgie. Und ich muss nicht darüber nachdenken." Wenn man sich viel mit Kaffee beschäftige, sei die Freude am Trinken manchmal ein wenig überschattet von dem analytischen Blick, den man als Profi darauf habe.
Fertig zum Versand: Fjord Coffee beliefert neben den eigenen Cafés auch Gastronomen in Tschechien, Polen, London und Amsterdam.
Anspruchsvollen Kaffee herzustellen, das ist also Teil seiner Mission. Zehn bis zwölf Euro kostet eine 250-Gramm-Packung von Fjord Coffee, mehr als dreimal soviel wie ein Päckchen „Bio"-Kaffee im Supermarkt. Das Prinzip, auf hohe Qualität und im Zweifel hohe Preise zu setzen, verfolgen Morgan und James auch bei ihren Cafés. Als sie das Silo in Friedrichshain eröffneten, ihre erste Unternehmung, gab es eine Marschroute, die zum bisherigen Erfolg beigetragen hat, so Morgan: „Wir hatten keine Angst, die Preise für unsere Produkte zu nehmen, die wir für angemessen hielten."
Bevor die Cousins Silo Coffee im Sommer 2013 eröffneten, kannten sie die Gastronomie eigentlich nur als Kunden. Morgan war nach Abschluss seines Masters in Business Administration von Melbourne nach Berlin gezogen, James mit einem Master in Architektur. „Ich wollte eigentlich nur ein paar Monate bleiben und entdeckte dann das Kater Holzig", er legt eine kurze Pause ein, „... das hat Spaß gemacht." Augenzwinkern. So gut das Clubbing, so unzufrieden war er aber mit einem anderen Aspekt des Hauptstadtlebens - und das wurde die Quelle der Inspiration zum eigenen Café.
„Es war sehr einfach. Ich wollte in Friedrichshain ein gutes Frühstück essen und dachte, es muss hier auch andere Leute geben, die das wollen", erinnert er sich. „Warum finden wir dann kein gutes Frühstück in der Nachbarschaft?" So kam er mit James zu dem Entschluss, diese Lücke selbst zu schließen. „Wir sagten uns, lass' uns teures Essen machen, wirklich gut zusammengestellt, mit hochwertigen Zutaten."
Die Bereitschaft, mit hohen Preisen in den Markt zu gehen, eröffnete den Australiern kulinarische Möglichkeiten, die andere Cafés in ihrem Umfeld nicht hatten. Neun bis zwölf Euro pro Teller nehmen sie auch heute noch. „Wir konnten pro Gericht doppelt so viel ausgeben, das hat sonst niemand getan." Eier und Milch aus biologischem Anbau, hochwertige Avocados und Sauerteigbrote, das Ganze optisch ansprechend angerichtet. „Instagrammable", so nennt Morgan solche Gerichte.
Ein Frühstück im Silo Coffee: Hochwertige Zutaten haben für die Macher Priorität.
Sein Cousin James entwickelte ein entsprechendes Konzept für die Einrichtung des Cafés: minimalistisch, mit weißen Wänden, viel Holz und etwas Backstein. Handgemacht und qualitativ hochwertig, das sollte dieses Ambiente ausstrahlen. „Mit dem Silo wollten wir das Gefühl reproduzieren, dass wir in Australien haben, wenn wir in Cafés gehen."
Der Ansatz ist aufgegangen. Seit zwei Jahren ist das Café profitabel. Beide Gründer konnten sich relativ bald aus dem Tagesgeschäft herausziehen, um an neuen Ideen zu arbeiten. James kümmert sich um Administratives, Morgan um Marketing und Strategie. 43 Mitarbeiter haben sie für ihre beiden Cafés und die Rösterei inzwischen angestellt. „Wir haben es sehr gut hinbekommen, die richtigen Leute in die richtigen Positionen zu setzen", erklärt Morgan.
Das Café stelle nach wie vor das Herz der Unternehmung dar. Aufgrund seines Erfolgs bekamen die Cousins Ende 2016 ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten: Im Erdgeschoss von The Circus Hotel in Berlin-Mitte sollte ein neues Konzept für eine Mischung aus Café und Cocktailbar entwickelt werden. Nur einen Monat hatten sie Zeit bis zur Eröffnung. Morgan lacht: „Wenn man einmal anfängt, Läden zu eröffnen, ist es ein bisschen wie ein Rausch."
Das Commonground bietet wesentlich mehr Raum als das Silo Coffee und damit auch Möglichkeiten zur gastronomischen Entfaltung. Das Angebot reicht vom bewährt hochwertigen Brunch über Barfood, das an die australische Cuisine angelehnt ist, bis zu klassischen und ungewöhnlichen Cocktailkreationen wie dem Nori Martini oder dem Oaxacan Tonic.
Auf der Bierbank vor der Braustaube Marzahn trinkt Morgan die letzten Schlucke seines Filterkaffees. Einen Brunch-Boom beobachte er gerade in Berlin. An Samstagen sei im Commonground ohne Reservierung manchmal kein Platz zu bekommen. Mehr Cafés böten heute ein hochwertiges Frühstück an als vor fünf Jahren. Wenn der Unternehmer über „good brunch" spricht, ist seine Heimat die Referenzgröße.
Wie kommt es denn, dass es in Städten wie Melbourne oder Sydney so eine ausgeprägte Kaffee- und Esskultur gibt, Mister Love? Als Kontinentaleuropäer würde man Australien ja nicht zwingend als erstes mit großen kulinarischen Würfen in Verbindung bringen. Morgan lächelt. „Es ist ein junges Land. Wir haben nicht diese überlieferten Rezepte für Nationalgerichte." Genau dies öffne Raum zum Experimentieren. „In Italien sagen sie: ‚Ein Gericht ist gut, wenn es richtig ist', also einem Rezept entspricht", so Morgan. „Das haben wir nicht. Wir haben nur, was wir mit unseren Gaumen schmecken."
Neben dem Mangel an Traditionen und der Freiheit, die damit einhergeht, gibt es weitere Faktoren, die die Esskultur befördern. Australien ist Einwanderungsland, Menschen aus aller Welt bringen ihre Rezepte und kulinarischen Vorlieben mit auf den Fünften Kontinent. Außerdem sei es einfach, an gute Zutaten zu kommen, weil Australien viele landwirtschaftliche Erzeugnisse selbst hervorbringe. Und klar, dass es in den großen australischen Städten viel verfügbares Einkommen gibt. Dieses in Händen von Menschen, die bereit sind, es für Essen auszugeben, befeuert die Entwicklung ebenfalls.
Viel mehr als nur kalter Kaffee: Ein Cold Brew im Silo Coffee.
Blick auf die Uhr, Morgan muss gleich zurück in die Rösterei. Es gilt, heute noch einige Chargen zu rösten, zu probieren, zu sortieren und zu verpacken. Handwerklich gute Produkte herzustellen, ist nicht nur ein Anspruch, der sich heutzutage besonders dankbar vermarkten lässt. Es ist vor allem verdammt viel Arbeit. Das Dröhnen der Röstmaschine, das leise Meeresrauschen, wenn die Arme durch die abkühlenden Bohnen fahren ... Stunde um Stunde um Stunde.
Letzte Frage an den Kaffeeprofi: Was macht eigentlich guten Kaffee aus? Dazu könnte er jetzt natürlich stundenlang dozieren; Temperatur, Partikelgröße, Qualität des Equipments, und so fort. „Ich glaube, die Umgebung und wie der Kaffee serviert wird, ist am Wichtigsten" so Morgan. „Kaffee ist so etwas wie ein soziales Gleitmittel, etwas, das Leute zusammenbringen kann." Der Kaffeeproduzent grinst: „Wir verabreden uns nicht auf einen Kaffee, weil wir dringend einen Kaffee brauchen, sondern weil wir den Freund treffen wollen. Es könnte auch ein Tee sein."
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