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Waterkant in Investorenhand

MieterEcho 422 / Februar 2022

Was in Hamburg nicht funktioniert, soll in Berlin Vorbild werden

Von Philipp Möller

Den Wohnungsbau zur „Chefinnensache" machen. Diese Ankündigung wiederholte die neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bereits im Wahlkampf bei nahezu jedem öffentlichen Auftritt. Noch im Januar will Giffey Vertreter/innen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, der Genossenschaften und der privaten Wohnungswirtschaft an einen Tisch bringen und mit ihnen im ersten Quartal 2022 ein „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen" schmieden. Als Vorbild für ihren Pakt mit der Wohnungswirtschaft dient Giffey das „Bündnis für das Wohnen" in Hamburg. Doch in Hamburg sind die Mieten 2021 stärker gestiegen als in den letzten 25 Jahren, wie der neue Mietspiegel zeigt.

Laut Koalitionsvertrag ist der Zweck des neuen Berliner Bündnisses gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft und den zuständigen Senats- und Bezirksverwaltungen sowie Mieterverbänden den „Mieterschutz und bezahlbaren Wohnungsbau konsequent und koordiniert voranzutreiben", um „für bezahlbare Mieten im Bestand zu sorgen, um die soziale Mischung in der Stadt zu erhalten und Verdrängung entgegenzuwirken." Koordiniert wird dieses Bündnis aus der Senatskanzlei, die Giffey untersteht und der damit eine zentrale Rolle bei der Steuerung und dem Ankurbeln des Wohnungsbaus zukommt. Wie genau das Bündnis inhaltlich gefüllt wird und wer sich daran tatsächlich beteiligt, ist derzeit noch offen. Klar ist hingegen: Das Bündnis ist mit seinem Prinzip der „Kooperation statt Konfrontation" mit den privaten Wohnungsunternehmen das Kernstück der sozialdemokratischen Neuausrichtung der Wohnungspolitik.

Beim „Bündnis für das Wohnen" in Hamburg rollte der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach jahrelangem Stillstand in der Wohnungspolitik unter drei CDU-geführten Regierungen und einem Wohnungsdefizit von mehr als 40.000 Wohneinheiten den privaten Investor/innen den roten Teppich aus. 2011 vereinbarten der Hamburger Senat und die fünf großen wohnungswirtschaftlichen Verbände in der Hansestadt sowie die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG, pro Jahr einen Baubeginn für mindestens 6.000 Wohnungen zu erreichen. Auf die städtische SAGA GWG entfielen dabei zunächst 1.000 Wohnungen. Für private Investor/innen wurde der sogenannte Drittelmix entwickelt, wonach sie bei größeren Bauprojekten 1/3 geförderte Wohnungen errichten müssen, die sie mit 1/3 freifinanzierten Wohnungen sowie 1/3 Eigentumswohnungen querfinanzieren dürfen. 2016 wurden die Zielzahlen auf 10.000 Neubauten erhöht, wovon die SAGA GWG 2.000 Wohnungen errichten sollte. Darüber hinaus macht das Bündnis Vorgaben für die energetische Modernisierung des Gebäudebestands, für die Baukultur sowie für die Bereitstellung von Wohnraum für Transferleistungsbezieher/innen, wohnungs- und obdachlose Menschen und Wohnungsnotfälle. In der Liegenschaftspolitik stellte der SPD-Senat das Verfahren vom Höchstpreisprinzip auf das Konzeptverfahren um. Bei der Vergabe von landeseigenen Grundstücken entscheidet dabei laut Senatsvorgaben zu 80% das eingereichte Konzept und zu 20% der angebotene Preis. Um Genehmigungsprozesse und Ausschreibungsverfahren zu beschleunigen, schloss der Senat darüber hinaus den „Vertrag für Hamburg - Wohnungsneubau" mit den sieben Hamburger Bezirken.

Zwei Drittel der neuen Wohnungen nicht bezahlbar

Tatsächlich zog der Neubau seit 2011 von rund 3.700 Fertigstellungen auf mehr als 8.500 neue Wohnungen im Jahr 2015 stark an und erreichte im Jahr 2018 erstmals die Zielmarke von mehr als 10.000 fertiggestellten Wohnungen. Insgesamt entstanden zwischen 2011 und Ende 2020 fast 77.000 Wohnungen, davon mehr als 21.700 geförderte. Knapp 70% des Wohnungsbaus in Hamburg sind für Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen nicht bezahlbar. Die Vorgaben des Drittelmix wurden damit nicht erfüllt. Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Hamburger Linksfraktion lag der Anteil von Sozialwohnungen mit einer Anfangsmiete von derzeit 6,80 Euro/qm zwischen 2011 und Ende 2020 bei durchschnittlich 25%. Zusammen mit den „Hamburg-Wohnungen", die als zweites Fördermodell eine Startmiete von 8,90 Euro/qm aufweisen, stellt das geförderte Segment einen Anteil von rund 30% am Neubaugeschehen. Eigentumswohnungen machen rund 28% aus. Den Löwenanteil hatte der freifinanzierte Mietwohnungsbau mit durchschnittlich rund 45% der Fertigstellungen, wobei diese Wohnungen mit durchschnittlichen Mietpreisen von 11 bis 16 Euro/qm jenseits der Leistbarkeitsgrenzen vieler Hamburger/innen liegen. 49% der Hamburger Haushalte haben einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Trotz der bis zu 3.000 fertiggestellten Sozialwohnungen pro Jahr geht ihr Gesamtbestand aufgrund einer höheren Zahl an auslaufenden Bindungen kontinuierlich zurück. Der Gesamtbestand sank von rund 100.000 Sozialwohnungen im Jahr 2011 auf knapp 77.500 im Jahr 2020. Um privaten Investor/innen den geförderten Wohnungsbau möglichst schmackhaft zu machen, setzte der Hamburger Senat zwischen 2011 und 2019 zudem auf eine sehr kurze Bindungsdauer von lediglich 15 Jahren. Nicht wenige der im „Bündnis für das Wohnen" errichteten Sozialwohnungen dürften daher bereits in den kommenden zehn Jahren aus der Bindung fallen.

Doch nicht nur der soziale Wohnungsbau geriet in der investorengetriebenen Neubaupolitik der Hansestadt unter die Räder, auch die Mietpreisentwicklung konnte nicht gedämpft werden. Der Ende Dezember veröffentliche Mietspiegel 2021 stieg im Durchschnitt um 7,3% und damit stärker als in den vergangenen 25 Jahren. Er belegt damit das Scheitern des Hamburger Modells mit seinem sozialdemokratischen Mantra des „Bauen, Bauen, Bauen". Der Bau von Eigentumswohnungen und der teure, freifinanzierte Wohnungsbau entlastet die stark angespannten unteren und mittleren Preissegmente des Wohnungsmarktes kaum. Mit dem Konzeptverfahren beförderte der Senat vor allem private Wohnungsunternehmen, die 2011 und 2018 in rund 80% der Fälle Zugriff auf die landeseigenen Grundstücke erhielten. Laut dem Recherchekollektiv „Correctiv" entschied im Jahr 2017 bei etwa 1/4 der Verkäufe nicht das beste Konzept, sondern der Preis über die Grundstücksvergabe. Neben Preisanstiegen im Neubau nannte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) erhöhte Modernisierungsaktivitäten als Ursache für den starken Anstieg des Mietspiegels. Damit bewies die Senatorin die Notwendigkeit einer schärferen Regulierung des Bestandes, gegen die sich der Hamburger Senat aufgrund seiner engen Kooperation mit der Wohnungswirtschaft stets gestellt hatte.

Nachjustierungen in Hamburg

Das Versagen des Hamburger Modells bei der sozialen Wohnraumversorgung dämmert mittlerweile auch dem Hamburger Senat, der bei der Fortschreibung seines Bündnisses im vergangenen Jahr vorsichtig nachjustierte. So erhöhte die Hansestadt die Sozialquote bei größeren Bauprojekten von 33% auf 35% und weitete die Bindungsdauer für neue geförderte Wohnungen auf 30 Jahre aus. In zentralen Lagen soll die Sozialquote bei bis zu 50% liegen. Schrittweise soll der geförderte Wohnungsbau von 3.000 auf 4.000 Fertigstellungen pro Jahr aufgestockt werden. Die Vergabe von Grundstücken soll zukünftig häufiger über Erbbaurechte erfolgen. Ob diese Maßnahmen Wirkung entfalten, bleibt abzuwarten. Von einer grundsätzlichen Neuausrichtung hin zu einem bedarfsgerechten Neubau kann jedoch keine Rede sein.

In Berlin dürfte die genaue Ausgestaltung des Bündnisses zu einem Streitpunkt zwischen den Koalitionären werden. Ursprünglich wollte die SPD den Pakt lediglich auf das Ankurbeln des Neubaus ausrichten. In den Koalitionsverhandlungen konnten Grüne und Linke jedoch auch Punkte wie eine „sozialverträgliche Mietengestaltung", die Bereitstellung von Wohnraum für Wohnungslose oder Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten auf die Agenda setzen. Soziale Zugeständnisse sollen aber nicht durch gesetzliche Regulierung, sondern durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen erreicht werden. Diese dürften jedoch Gegenleistungen vom Senat erwarten und versuchen über das Bündnis weitere politische Eingriffe in ihre Verwertungsmöglichkeiten oder gar die Vergesellschaftung ihrer Bestände abzuwehren. Dabei kommt ihnen gelegen, dass die SPD weder das Parlament noch zwingend andere Senatsmitglieder in das Bündnis einbeziehen muss und mit der Senatskanzlei, dem Stadtentwicklungsressort sowie sechs Baustadträt/innen über erhebliche Gestaltungsspielraume verfügt, um den privaten Investor/innen das Feld zu bereiten.

MieterEcho 422 / Februar 2022

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