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Asowsches Meer: Warum gerade Deutschland Druck auf Moskau machen kann

Während Merkel bei Putin anruft und Deeskalation fordert, spricht der russische Präsident von groben Verletzungen des internationalen Rechts. | Quelle: WELT / Achim Unser

Bislang hat sich Angela Merkel nicht zur Eskalation im Asowschen Meer geäußert. Dabei kann sie wie kaum jemand sonst Einfluss auf Wladimir Putin ausüben. Eine Abhängigkeit Deutschlands könnte sogar zum Vorteil werden.

Von Philipp Fritz und Ansgar Graw

Wieder einmal zwingen weltpolitische Ereignisse die Bundesregierung zum Handeln: der russische Beschuss eines ukrainischen Schiffes - nicht unter falschem Abzeichen wie seinerzeit auf der Krim -, die Eskalation im Asowschen Meer, die Verhängung des Kriegsrechts in Teilen der Ukraine. Deutschland kommt hier eine Schlüsselrolle zu.

Als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land der EU ist es zum einen der wesentliche Antreiber des Sanktionsregimes gegenüber Russland, die Bundeswehr ist im Rahmen einer Nato-Mission in Litauen aktiv. Zum anderen über Unternehmen vor Ort und nicht zuletzt über das umstrittene Gaspipelineprojekt Nord Stream 2 durch die Ostsee ist Deutschland auf besondere Art mit Russland verbunden - und kann so Druck ausüben, auch wenn man sich das in Berlin nur widerwillig eingesteht.

Der Ernst der Lage immerhin wird erkannt. Außenminister Heiko Maas sagte am Montag während eines Besuchs in Madrid, die Entwicklung im Asowschen Meer zeige, dass der Konflikt in der Ostukraine und auf der Krim weiterhin eine Gefahr für die Sicherheit in Europa sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bisher jedoch erstaunlich still.

Lange wird sie es nicht bleiben können, denn am Donnerstag trifft sie den ukrainischen Premierminister Wolodymyr Groisman in Berlin. Der Besuch ist zwar seit Längerem geplant, allerdings bekommt er nun einen anderen Charakter. Im Mittelpunkt werden nicht die ukrainisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen stehen, sondern die Frage nach einer weiteren Verschärfung des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland und wie diese zu verhindern ist.

Durch deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine oder gar die Bundesmarine im Asowschen Meer? Das dürfte ein frommer Wunsch der Ukraine bleiben. Berlin verfügt über andere Mittel, Russland Grenzen aufzuzeigen, so die Ukraine zu unterstützen und auf eine europäische Friedensordnung zu pochen. Tatsächlich kann Nord Stream 2 sich gerade jetzt als eine Chance erweisen. Donald Trump und die polnische Regierung weisen zurecht regelmäßig auf eine zunehmende Rohstoffabhängigkeit Deutschlands von Russland hin.

Umgekehrt gilt diese Abhängigkeit aber auch für das russische Staatsunternehmen Gazprom und den Kreml. Jetzt mit einem Einfrieren des Projekts zu drohen, würde Präsident Wladimir Putin, der offenbar bereit ist, den Konflikt mit der Ukraine immer weiter zu eskalieren, zeigen, dass ein abermaliger Bruch internationaler Normen in Europa nicht hinzunehmen ist. Andeutungen, die Sanktionen schrittweise abzubauen, wie sie Politiker verschiedener Parteien gern machen, könnten einer weiteren Verschärfung der Sanktionen weichen.

Als Konsequenz aus dem „eklatanten Rechtsbruch" Russlands gegenüber der Ukraine im Konflikt um die Meerenge von Kertsch verlangen die Grünen von der Bundesregierung ein Umdenken. „Die Bundesregierung muss der höchst umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 eine politische Absage erteilen", sagte die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock WELT. Und weiter: „Das jetzige Agieren Russlands unterstreicht, dass auch die Zusagen Russlands, die Ukraine solle durch den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht abgehängt werden, keinen Pfifferling wert sind."

Russland ist wirtschaftlich stärker auf Deutschland angewiesen als umgekehrt. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und den ostmitteleuropäischen Ländern der EU - Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn - ist mittlerweile größer als das mit Russland.

Es hilft nur „wirtschaftlicher Liebesentzug"

Deutschland ist in dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland auch deswegen so bedeutend, weil es sich nicht nur im Minsker Friedensprozess zusammen mit Frankreich, der Ukraine und Russland engagiert. Sondern auch, weil sich die westliche Führungsmacht USA unter Donald Trump ihrer Glaubwürdigkeit in Sachen Abschreckung beraubt hat.

Die USA, wirtschaftlich und handelspolitisch kaum mit Moskau verbunden, konnten Russland immer nur mit der Faust drohen. Auch vor diesem Hintergrund war eine deutsche Ostpolitik im Sinne eines „Wandels durch Annäherung" möglich. Die Zeiten sind heute andere. Wenn Deutschland seiner Verantwortung für Europa gerecht werden möchte, dann hat es lediglich die Möglichkeit eines „wirtschaftlichen Liebesentzugs".

Dass Wirtschaft und Handel effektive Druckmittel in den internationalen Beziehungen sind, demonstriert ausgerechnet Russland auf rücksichtslose und brutale Art. Die Halbinsel Krim, die im Norden an das Asowsche Meer grenzt, wurde 2014 völkerrechtswidrig von Russland annektiert. Die Gewässer rundherum versteht Moskau seitdem klar als seine Hoheitsgewässer.

Der Angriff auf die ukrainische Marine verdeutlicht, dass das Abschneiden dieses Teils der Ukraine Auswirkungen auf das gesamte Territorium des Landes hat. Russland versucht, Kiew wirtschaftlich zu schaden, indem es den Zugang zu seinen Häfen im Asowschen Meer erschwert, vor allem Mariupol.

Die Eröffnung der Brücke über die Meerenge von Kertsch, die das russische Festland mit der Krim verbindet, im Mai dieses Jahres hat Moskaus Position - wirtschaftlich, politisch, strategisch - zusätzlich gestärkt und die der Ukraine deutlich geschwächt. Handelsschiffe einer bestimmten Größe zum Beispiel können nicht unter der Brücke hindurchfahren. Ohne Moskaus Wohlwollen läuft hier nichts mehr.

Das muss Berlin ein Lehrstück sein. Russland verfolgt ein Ziel der Destabilisierung und des schrittweisen Einflussgewinns. Deutschlands Ziel muss es sein, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu erhalten und teils wiederherzustellen. Berlins Hebel sind Sanktionen und ein drohendes Aussetzen von Nord Stream 2. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt zu handeln.

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